Prozess um Amoklauf Breiviks Mutter – "Er war jenseits von allem"

Der Prozess, in dem der Schuldige von Beginn an fest stand, nimmt zum Ende hin Fahrt auf: In Oslo ist geradezu ein Glaubenskrieg darüber ausgebrochen, ob der Angeklagte Anders Behring Breivik zurechnungsfähig ist oder nicht.

Jetzt hat das erste und offizielle der zwei Gutachterteams, das den Attentäter für schuldunfähig hält, seine Ergebnisse in Saal 250 des Osloer Stadtgerichts vorgestellt. Die beiden Psychiater Torgeir Husby und Synne Sørheim halten Breivik, 33, für unzurechnungsfähig. Ihre Diagnose: paranoide Schizophrenie.

Bereits Tage zuvor sagten mehrere Sachverständige aus, die Breivik im Gefängnis beobachtet oder die beiden psychologischen Gutachten bewertet haben. Sie teilen nicht die Auffassung der bestellten Gutachter Husby und Sørheim. Sie sagen, der Attentäter, der ein Regierungsgebäude sprengte und anschließend auf der Insel Utoya 69 Menschen erschoss, habe genau gewusst, was er tat.

In dieser Gemengelage könnte die Aussage von Breiviks Mutter den Ausschlag geben. Sie wird zwar nicht selbst vor Gericht auftreten und hat die Zusage, ihr Vernehmungsprotokoll vorzulesen, zurückgezogen. Trotzdem werden ihre Einlassungen gegenüber der Polizei und den Gutachtern im Saal thematisiert und somit bekannt werden.

"Er verbat mir zu niesen"

Das erste Team maß dem Gespräch mit der Mutter großen Wert bei: Ihre Aussagen seien ein wichtiger Baustein für die Diagnose paranoide Schizophrenie gewesen. Immerhin war sie als Mutter seine Bezugsperson und diejenige, mit der Anders Breivik am meisten Zeit verbrachte. Wenn sich das Gericht der Diagnose paranoide Schizophrenie anschließt, landet Breivik in einer geschlossenen Psychiatrie – für ihn ein "Alptraum", wie er vor Gericht einräumte.

Die Mutter erklärte, dass ihr Sohn sich "ab 2006 ganz verändert" habe und "ab 2010 gänzlich merkwürdig" wurde. Er habe viel am Computer gespielt und wurde böse, wenn sie ihn dabei unterbrach. Von vielen Begebenheiten, die Husby und Sørheim als Anzeichen einer Psychose deuten, erfuhren die Gutachter zuerst durch die Mutter. Beispielsweise sein verändertes Auftreten, das Tragen eines Mundschutzes, seine Angst vor Spinnen sowie viele andere ungewöhnliche Verhaltensweisen.

"Er lebte in einer Traumwelt"

"Von 2010 an wurde er ganz merkwürdig. Er verbat mir zu niesen, und wollte nicht in einem Zimmer mit mir sein", sagte die Mutter zu Husby und Sørheim. "Er war jenseits von allem. Er lebte in einer Traumwelt, in der er alles hatte, was er nie erreichte."

Als nächstes wird der Professor für Klinische Psychologie Svenn Torgersen aussagen. Auch er glaubt, dass die Erklärung der Mutter wichtig ist, meint aber, dass sie keine Psychose dokumentieren würden. "Ihre Aussage muss man im Zusammenhang sehen. Es sind die Erzählungen einer schockierten, entsetzten, traurigen, geschlagenen und vielleicht auch bösen Frau. Ich habe sie gelesen und kann nicht finden, dass sie irgendwelche Konklusionen begründen könnten", sagte Torgersen.

Staatsanwalt Svein Holden betonte, es sei nicht seine Aufgabe, die Relevanz des Vernehmungsprotokolls der Mutter zu bewerten. "Das überlassen wir den Gutachtern", sagte Holden.

The hands of Norwegian mass killer Anders Behring Breivik are pictured in a courtroom in Oslo
© REUTERS
Breiviks Rechtsanwalt Geir Lippestad

Anders Behring Breivik  vor Gericht in Oslo

Psychiater hält Breivik doch für gesund

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