Professorin Bettina Pause nennt Platzsturm „menschliches Verhalten“

Bettina Pause, Sozial-Psychologin an der Uni Düsseldorf, hat die Ereignisse der Nachspielzeit gegen Hertha BSC untersucht.

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dpa

Alle möglichen Leute rannten auf das Feld: Männer und Frauen, alt und jung. Von Gewalt war nichts zu sehen.

Düsseldorf. Am Abend des 15. Mai saß Bettina Pause vor dem Fernseher. Wie Millionen andere erlebte sie den Moment, als hunderte Fortuna-Fans das Feld beim Spiel gegen Hertha BSC rund 90 Sekunden zu früh stürmten. Doch im Gegensatz zu denen, die von Ausschreitungen und einer neuen Qualität der Fußballgewalt sprechen, hat Pause eine andere Erklärung für die Minuten, die Fortunas Aufstieg bis heute in Frage stellen.

Pause ist Professorin für Sozial-Psychologie an der Uni Düsseldorf und stellte am Mittwoch ihre wissenschaftlichen Beobachtungen zu den Ursachen des verfrühten Platzsturms vor: Noch am Abend habe sie bemerkt, dass das Verhalten der Fans ein „Lehrbuch-Kapitel aus meiner Vorlesung und eine ganz normale menschliche Handlung“ sei. Spätere Gespräche mit Bekannten und Studenten, die im Stadion oder gar selbst auf dem Platz waren, hätten ihre Deutung untermauert.

In einer ungewohnten Situation suchen sich die Menschen Experten

Das zu frühe Losrennen sei ein Paradebeispiel für das Phänomen, das Psychologen „Informationaler sozialer Einfluss“ nennen. Soll heißen: Wer sich in einer ungewohnten und vor allem unklaren Situation befindet, orientiert sich automatisch an Experten, die in ihrem Handeln souverän wirken und ahmt ihr Verhalten nach.

Dieses Mal müsse man allerdings von „vermeintlichen Experten“ sprechen. Für eine derartige Situation, als emotionalisierter Fan am Spielfeldrand beim Profifußball zu stehen, gäbe es keine Fachleute. Durch die ungewöhnlich lange Nachspielzeit und die fehlende Zeitanzeige wussten auch die wenigen, die als erstes auf den Platz rannten, nicht, wann das Spiel wirklich beendet ist. So missdeuteten sie einen Pfiff, handelten dementsprechend falsch und waren schlechte Vorbilder für die Nachahmer.

Dass die meisten auf ein Startsignal durch andere warteten und es keine organisierte Aktion von Randalierern war, könne man allein an der Formation der Platzstürmer sehen. „Sie starteten nicht parallel wie bei einem Wettrennen, sondern sternförmig: Einer rennt los, 20 hinterher, dann 50, 100, am Ende alle. Die Fans waren nicht bösartig, sondern zeigten ein biologisch normales Verhalten“, sagt Professorin Pause und spricht von einem kulturübergreifenden Phänomen.

In 99 Prozent der Fälle seien die Suche und das Nachahmen eines Experten die richtige Entscheidungen. „Normalerweise hilft das weiter“, sagt die Professorin und nennt Beispiele: der erste Tag in der neuen Arbeitsstelle, die ersten Stunden in einer anderen Kultur, der erste Besuch in einem Fünf-Sterne-Restaurant. Auch in Notsituationen wie bei einem Feuer könne man dieses Verhalten beobachten. „Die Menschen wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen und warten ab, bis sie jemanden finden, der zu wissen scheint, was er tut.“

Erste theoretische Untersuchungen zu dem Thema gab es 1936. Der Psychologe Muzaffer Serif lud Probanden in einen dunklen Raum mit nur einem hellen Punkt an einer Wand. Da die Orientierung fehlte, dachten die Teilnehmer, der Punkt würde sich bewegen, was er aber nicht tat. Nachher wurden sie gefragt, wie weit sich der Punkt bewegt habe. Je mehr Versuchsteilnehmer sich auf eine Distanz einigten, desto mehr stimmten dieser zu. Auch sie vertrauten den vermeintlichen Experten.



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