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Professor hält Märtyrertum für Mythos

Von Jochen Paulus.
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Ein Kriminologe stellt das gängige Bild von Selbstmordattentätern infrage: Die meisten opferten sich nicht primär für eine höhere Idee, sondern es gehe ihnen mehr um den eigenen Tod.

Zwei der Attentäter vom 11. September: Abdulaziz al-Omari (links) und Mohammed Atta auf dem Weg zum Flugzeug.

Zwei der Attentäter vom 11. September: Abdulaziz al-Omari (links) und Mohammed Atta auf dem Weg zum Flugzeug.
Bild: Portland Police/Keystone

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Seit seiner Kindheit fühlte er sich isoliert von anderen. Er lachte möglichst nicht und glaubte, dass «Freude das Herz tötet». Musik verdammte er ebenso wie gutes Essen, und Sex fand er zum Schämen. Mit 27 machte er ein Testament. Das war sechs Jahre, bevor er die Selbstmordattentäter anführte, die am 11. September 2001 Flugzeuge ins World Trade Center und ins Pentagon steuerten.

War Mohammed Atta einfach ein religiöser Fanatiker, der sein Leben für seine Überzeugungen gab? Oder aber ein lebensmüder Depressiver, der sich mit dem Todesflug einen geheimen Sterbewunsch erfüllte? Atta wies acht von elf möglichen Kennzeichen einer Depression auf, darunter traurige Stimmung, Hoffnungslosigkeit, Schuldgefühle, Energielosigkeit und Todesgedanken. Viele depressive Patienten kommen auf weniger Merkmale der Erkrankung.Diese «psychologische Autopsie» Attas hat Adam Lankford erstellt, ein Kriminologie-Professor an der University of Alabama. Er hält Atta für einen typischen Fall und ist überzeugt: «Selbstmordattentäter haben viel mehr mit Menschen gemeinsam, die Suizid begehen», als mit solchen, die «ihr Leben selbstlos für ein gemeinsames Ziel opfern».

Das widerspricht der bisher gängigen Ansicht, wie sie der Politikprofessor Robert Pape von der University of Chicago so zusammenfasst: «Selbstmordattentäter sind weit normaler, als viele von uns gerne glauben würden.» So sah es auch Lankford lange. Doch dann studierte er neben der wissenschaftlichen Literatur Bekennervideos, Internetnachrichten, Liebesbriefe und Tagebucheinträge von Attentätern. Er stiess auf eine «Litanei von Angst, Versagen, Schuld, Scham und Wut». Bei über 130 Selbstmordattentätern entdeckte er die gleichen Risikofaktoren, die von Menschen bekannt sind, die sich das Leben nehmen: 44 Täter litten an Depressionen oder anderen psychischen Störungen, 12 hatten schwere Verletzungen oder Behinderungen, 66 den plötzlichen Tod eines geliebten oder eng befreundeten Menschen erlebt.

Einsam, depressiv, verzweifelt

In seinem Buch «The Myth of Martyrdom» (Palgrave Macmillan 2013) beschreibt Lankford viele traurige Täterbiografien näher. So hatte Umar Abdulmutallab, der ein Flugzeug über Detroit sprengen wollte, im Internet verkündet: «Ich habe niemanden, mit dem ich reden könnte, den ich um Rat fragen könnte, der mir helfen würde, und ich fühle mich depressiv und einsam.» Auch Wafa Idris, die erste Palästinenserin, die sich in Israel in die Luft sprengte, befand sich in einer schweren Lebenskrise. Sie hatte eine Fehlgeburt erlitten und konnte deshalb keine Kinder mehr bekommen. Ihr Mann hatte sich deshalb von ihr getrennt, und sie war voll Scham zu ihrer Mutter zurückgegangen.

Die Reaktionen auf Lankfords These fallen sehr gemischt aus. Die führende Wissenschaftszeitschrift «Nature» be scheinigt ihm «überzeugende, gut kombinierte Belege», der prominente Harvard-Psychologe Steven Pinker lobt die «faktengestützte Analyse». Nicht überzeugt ist freilich Politikwissenschaftler Pape, der die mit über 2500 Fällen grösste Untersuchung von Selbstmordattentätern vorgelegt hat. Depressiv seien beispielsweise weniger als fünf Prozent, argumentiert Pape. Diese Forschung sei allerdings «in der Breite besser als in der Tiefe», gibt Lankford zurück. Von vielen Tätern seien Pape überhaupt nur das Geschlecht, die Organisation und Details des Anschlags bekannt – bei diesem Informationsstand ergäben sich natürlich keine Hinweise auf persönliche Probleme.

In einer eigenen Untersuchung verglich Lankford terroristische Selbstmordattentäter mit Tätern, die offensichtlich von Todeswünschen motiviert werden: Amokläufer in Schulen, Firmen oder auf der Strasse. Viele von ihnen schiessen sich am Ende selbst eine Kugel in den Kopf. Auf den ersten Blick scheinen das ganz andere Menschen zu sein. Doch sie haben die gleichen Probleme wie Selbstmordattentäter. Das entdeckte Lankford bei der Analyse aller 81 Fälle, die sich zwischen 1990 und 2010 in den USA ereigneten. Bei beiden Tätergruppen fanden sich etwa gleich viele psychische Störungen und akute Krisen sowie Probleme in der Familie, in der Schule und am Arbeitsplatz.

Auch die Vorgehensweise erwies sich als gar nicht so verschieden. So entschieden sich die zu trauriger Berühmtheit gelangten Amokläufer Eric Harris und Dylan Klebold zwar letztlich für ein Massaker in der Highschool von Columbine im US-Bundesstaat Colorado. Doch zuvor überlegten sie, ein Flugzeug auf New York stürzen zu lassen – wie später die Attentäter des 11. September.

Mit Ausnahme des 11. September forderten die angeblich politischen Taten nicht einmal mehr Opfer als die unpolitischen, tatsächlich waren es im Schnitt sogar etwas weniger. Dabei hätten viele Selbstmordattentäter leicht mehr Menschen mit in den Tod reissen können. Lankford wertet dies als Beleg, dass es ihnen in Wirklichkeit mehr um den eigenen Tod ging als um den möglichst vieler Unschuldiger.

Lieber Märtyrer als Feigling

In ihren Bekennervideos und Erklärungen für die Nachwelt erwähnen Selbstmordattentäter in aller Regel keine persönlichen Schwierigkeiten. Das wundert Lankford nicht: «Die meisten Menschen wollen lieber als heroische Märtyrer in Erinnerung bleiben denn als suizidale Feiglinge.»

Auch die hinterbliebenen Angehörigen von Selbstmordattentätern haben keinen Grund, die Heldenlegenden öffentlich zu untergraben. Ein Märtyrer in der Familie macht sich schliesslich besser als jemand, der den Freitod gewählt hat. Werden sie befragt, wiederholen sie oft einfach die offiziellen Propagandaphrasen. Doch genau auf diese wenig glaubhaften Aussagen hätten sich Forscher bislang vor allem gestützt, kritisiert Lankford. So seien sie zum Schluss gekommen, die Täter hätten keine persönlichen Gründe, sondern politische.

Ausserdem argumentierten Forscher bisher, Terrororganisationen würden keine psychisch instabilen Täter anwerben, weil die unkontrollierbar wären. Lankford fand für diese These kaum Belege. Dafür stiess er auf die Aussage eines Mahmoud genannten Rekruteurs von Selbstmordattentätern. Mahmoud liess seine Leute gezielt Ausschau halten nach «Burschen, die verzweifelt und traurig sind».

Zumindest in Einzelfällen schaffen sich Terrororganisationen solche Verzweiflungstäter offenbar selbst. Laut Lankford wurden in Afghanistan und Pakistan «Teenager entführt und von ihren Kidnappern geschlagen, um so ihren Lebenswillen zu brechen, sie suizidal zu machen und dann zu Selbstmordattentaten anzustiften».

Viele Verzweifelte allerdings melden sich freiwillig, und zwar gezielt. Sie sind «keine richtigen Mitglieder von Terrororganisationen», urteilt Lankford, «sie sind Bürger ohne terroristische Erfahrung und Verbindungen und nur dabei, um Selbstmordattentate auszuführen». Die meisten typischen Mitglieder von Terrororganisationen hingegen können sich nicht vorstellen, Selbstmordanschläge zu verüben. (Tages-Anzeiger)

Erstellt: 08.09.2013, 12:24 Uhr


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