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In der Psychologischen Methodenlehre werden bislang vor allem Verfahren der sozialwissenschaftlichen Psychologie diskutiert. Dabei ist soweit kaum aufgefallen, dass die Biopsychologie bzw. Neurowissenschaft ein anderes Verständnis von "Kausalität" und vom "Experiment" pflegt als die sozialwissenschaftliche Psychologie. An einigen Stellen gibt es sogar wörtliche Widersprüche zwischen den methodologischen Ausgangsannahmen der beiden Arbeitstraditionen. Ihre Befunde bilden deshalb zusammen genommen keinen unmittelbar konsistenten Wissensbestand. Dr. Julia von Thienen (Berlin) entwickelt das Verfahren der Methodenanalyse, um Inkonsistenzen zwischen Forschungsmethoden und ihren Befunden abzuklären. Die Berücksichtigung verschiedener Kausalniveaus hilft im Anschluss, trotz inkompatibler Ausgangsannahmen gemeinsame Wissensbestände und Modelle zu entwickeln.

Um Inkonsistenzen zwischen verschiedenen Forschungsmethoden und ihren Befunden herauszuarbeiten, fragt die Psychologin mit der Methodenanalyse, warum ein bestimmtes methodisches Vorgehen von seinen Vertretern jeweils als wissenschaftlich sinnvoll und seriös akzeptiert wird. Die Thesen, die in der Literatur zur Begründung von Forschungsverfahren angeführt werden, artikulieren so die teils gegensätzlichen Vorannahmen und Zielstellungen verschiedener Arbeitstraditionen.

Brüche der Forschungslogik bestehen allerdings nicht nur zwischen der sozialwissenschaftlichen Psychologie einerseits und der Biopsychologie bzw. Neurowissenschaft andererseits. Sogar innerhalb der sozialwissenschaftlichen, quantitativ-experimentellen Arbeitstradition gibt es konkurrierende Kausalbegriffe. Einige methodische Handlungen basieren hier auf einem liberalen, kontrafaktisch-interventionistischen Kausalverständnis. An anderen Stellen wird ein strenger, probabilistisch-nomologischer Kausalbegriff genutzt. In wieder anderen Zusammenhängen kommt ein extrem strenges, deterministisches Kausalverständnis zum Tragen.

Um wissenschaftliche Verfahren nach ihren methodologischen Vorannahmen zu systematisieren, führt die Autorin Methodenlandkarten ein. Bleibt bei der Befundinterpretation unberücksichtigt, welche Grundannahmen in der Forschung jeweils vorausgesetzt wurden, scheinen sich die Befunde mit der Zeit "merkwürdig zu verhalten". Wenn bspw. unbemerkt vom liberalen zum strengen Kausalverständnis gewechselt wird, kommt später oft Verwunderung oder Frustration auf, weil sich die Befunde nicht wie erwartet replizieren lassen.

Daneben entwickeln die neurowissenschaftliche und die sozialwissenschaftliche Psychologie in systematischer Weise verschiedene Methoden der Kausalforschung. Da sie unterschiedliche Ziele verfolgen, sind auch ihre Gütestandards für Experimente verschieden. In der sozialwissenschaftlichen Psychologie legt man bspw. großen Wert darauf, dass Experimente mindestens zwei verschiedene Versuchsbedingungen umfassen (Bedingungsvariation). Das macht in dieser Forschungstradition Sinn, weil geklärt werden soll, ob Unterschiede der Ausgangsbedingung bzw. der unabhängigen Variablen geeignet sind, unterschiedliche Ausprägungen der abhängigen Variablen zu erklären. In der Biopsychologie werden jedoch auch Experimente mit einer einzigen Versuchsbedingung aufgesetzt, um Kausalhypothesen zu prüfen. Die Biopsychologie will ein Kausalgeschehen erklären, indem sie herausarbeitet, wie es physisch abläuft. Unterschiedliche Versuchsbedingungen braucht sie nur, wenn es schwer fällt, das interessierende Hirngeschehen von anderen, nicht-interessierenden Prozessen zu unterscheiden. Die resultierenden Kausalurteile der beiden Forschungstraditionen scheinen sich dann teilweise sogar wörtlich zu widersprechen. Umgekehrt artikulieren sogar Kausalsätze, die dem Wortlaut nach gleich klingen, durchaus unterschiedliche Behauptungen.

Um verschiedenen Forschungstraditionen trotz inkompatibler Ausgangsannahmen den Aufbau gemeinsamer Wissensbestände zu ermöglichen, wird das Konzept der "Kausalniveaus" eingeführt. Kausalniveaus basieren auf unterschiedlichen Maßgaben, von denen sich Wissenschaftler in der Praxis leiten lassen (können). Zum einen wird festgelegt, was überhaupt untersucht werden soll, wenn Ursachen und Wirkungen interessieren. Kommen beispielsweise nur Ereignisse oder auch Eigenschaften als Ursachen in Betracht? Ist es erforderlich, den interessierenden Ablauf raum-zeitlich präzise einzugrenzen? Zum anderen geht es darum, wie Ursachen und Wirkungen beschrieben werden sollen. Ist es bspw. zulässig, werthaltige und teleologische Begriffe in der wissenschaftlichen Theoriebildung zu nutzen?

Biopsychologen und sozialwissenschaftlich orientierte Psychologen arbeiten in der Kausalforschung mit unterschiedlichen Maßgaben - und so gleichsam auf verschiedenen Kausalniveaus. Damit gelingt es ihnen, unterschiedliche Forschungsziele zu erreichen und auch unterschiedliche Muster im Weltgeschehen sichtbar zu machen. Vor diesem Hintergrund argumentiert die Autorin, dass es sinnvoll ist, wenn die Forscher in verschiedenen Arbeitstraditionen auch unterschiedliche methodologische Maßgaben befolgen - obwohl die von ihnen erzeugten Forschungsbefunde so nicht unmittelbar mit einander kompatibel sind. An Beispielen demonstriert sie, wie gleichwohl fachübergreifend konsistente Wissensbestände gebildet werden können, indem ein Geschehen jeweils parallel auf verschiedenen Kausalniveaus beschrieben wird.

=79tx_ttproducts_pi1[product]=1136cHash=55e3263c87]Julia von Thienen: Kausalniveaus - Eine Methodenanalyse zur Kausalforschung der Psychologie
Pabst 2013, 316 Seiten, ISBN 978-3-89967-871-0

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