Positive Psychologie – Todfeind der Wirklichkeit

Auch wenn ein Psychologe, der positive Psychologie anwendet, guten Gewissens seinem Patienten zu einem positive(re)m Weltbild rät, macht er sich mitverantwortlich für die historische Unbewegtheit, das gesellschaftliche Unheil und den universalen Verblendungszusammenhang unserer Tage. Er verleumdet nicht nur das Unheil unserer Gesellschaft, er schließt den kompletten gesellschaftlichen Kontext aus, der das Individuum wegen seinem Konflikt mit dem Gesellschaftskomplex erst in die Lage einer psychischen Störung bringt. Positive Psychologie ist also nichts weiter als ein systemaffirmativer Erhaltungsfaktor des Kapitalismus.
Diese Art der „Therapie“ ist nicht nur Nachhaltig-destruktiv für den Einzelnen, weil es bei positiver Psychologie nicht um Vergangenheitsbewältigung sondern um positives Zukunftsdenken geht, sie steht einer freien Gesellschaft sogar unverträglich gegenüber. Sie verschleiert die Realität und setzt sich alternativen Handlungsmöglichkeiten eines kranken Individuums entgegen. Sie ist der Todfeind der Erkenntnis von gesellschaftlicher Wirklichkeit und jeden Fortschritts in ein besseres Leben. Sie legt verbildlicht das Diktat der Gesundheit über den Metastasenüberzogenen Gesellschaftskörper.

Die Eingabe des Schlagworts „Glück“ erzielt auf amazon 48.194 Ergebnisse. Es gibt unzählige Ratgeber zum Thema Glück und Lebensfreude, doch wenn auch nur ein einziges Werk davon wirklich helfen würde, bleibt die Frage warum es denn überhaupt so viele gibt. Die Antwort ist leider mehr destruktiv, als dem Optimismus zugewandt: Es gibt kein Patentrezept. Der Rat mit einer positiven Einstellung durchs Leben zu gehen ist zwar gut gemeint, aber schlichtweg nicht für jeden Menschen möglich.
Wir leben in einer Gesellschaft am Rande des Abgrunds, in der immer mehr Menschen aufgrund unsozialer und schädlicher Zustände erkranken, aufgrund deren zu Drogen und Medikation greifen oder sich gar das Leben nehmen. Das eigentlich “Gute” im Menschen, dessen er in der bestehenden Gesellschaft beraubt wird und zu Menschenuntypisch unsozialen Verhaltensweisen gezwungen wird, bringen ihn in Konflikte mit seinen Sehnsüchten nach Liebe, Entfaltung und Anerkennung.
Jeder ist sich selbst der nächste, und das nicht aufgrund natürlich-angeborener Eigenschaften des Menschen, sondern durch die Sozialisation in einer kranken Gesellschaft, in der Erfolg, Konkurrenz und unsoziale Verhaltensweisen im Sinne des Wirtschaftswohles gefördert werden.

Positive Psychologie pauschalisiert viele Aspekte unter ihrem Namen. Sie wehrt sich selbst gegen die Medikation von psychisch Kranken und fordert die Akzeptanz des Einzelnen gegenüber seinem Unheil. Doch schon der indische Philosoph Jiddu Krishnamurti erkannte frühzeitig, dass es „kein Zeichen von Gesundheit“ ist, „an eine zutiefst kranke Gesellschaft gut angepasst zu sein“.
Wichtig ist der positiven Psychologie nicht die Analyse des Ursprungs, der Wurzel des Übels. Viel wichtiger sei der Blick nach vorne, das blinde Vertrauen in ein positives Weltbild gegenüber eine kranken Gesellschaft, die eigentlich keinerlei Gründe haben sollte, sich selbst zu zelebrieren. Positive Psychologie ist also weder ein Schritt nach vorne, noch zur Seite. Sie verlangt den Schritt zurück in die individuelle Bewusstlosigkeit und die Akzeptanz der kollektiven Ohnmacht.

Renn nur nach dem Glück,
doch renne nicht zu sehr,
denn alle rennen nach dem Glück,
doch das Glück rennt hinterher.

- (Brecht)

http://www.lebenimkapitalismus.de/

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