Politischer Kampf um die Sprache

Eine muslimische Mutter oder Lehrerin lernt mit einem Kind

In den letzten Jahren hat sich Sprache zu einem immer wichtigeren Thema europäischer Politik entwickelt. Während die EU mit Strategiepapieren versucht, die Mehrsprachigkeit zu fördern, beherrschen in Österreich restriktive Sprüche die Wahlkämpfe.

ÖAW Young Science
06.04.2012

Welche oftmals widersprüchlichen Sprachideologien sich dahinter verbergen, untersucht der Linguist Niku Dorostkar am Beispiel des österreichischen Diskurses über Sprache anhand von Politikerinterviews, Zeitungsartikeln und Gruppendiskussionen. In einem Gastbeitrag fasst er die Ergebnisse zusammen.

Sprachenpolitische Diskrepanzen

Von Niku Dorostkar

Porträt Niku Dorostkar

Über den Autor:

Niku Dorostkar, geb. 1983, Studium der Sprachwissenschaft sowie des Lehramtes in den Fächern Deutsch und Psychologie/Philosophie, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sprachwissenschaft der Universität Wien, seit Oktober 2011 DOC-Stipendiat der ÖAW mit dem Projekt "Diskurse über (Mehr-)Sprachigkeit im Kontext nationaler und supranationaler Sprachenpolitik"

"Je mehr Sprachen du sprichst, desto mehr bist du Mensch": Unter diesem Motto verabschiedete die EU-Kommission im Jahr 2005 ihre "neue Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit", in der sie das Sprachenlernen und die Verfügbarkeit sprachlicher Ressourcen als wichtige Ziele festlegte und entsprechende Maßnahmen zur Förderung von Mehrsprachigkeit vorschlug. Von 2007 bis 2010 gab es sogar einen eigenen EU-Kommissar für Mehrsprachigkeit, den Rumänen Leonard Orban.

In Österreich finden sich hingegen Slogans, die in eine deutlich andere Richtung weisen: "Deutsch statt ‚Nix versteh’n", "Kärnten wird einsprachig!" oder "Unser Kurs in der Bildung: der Deutschkurs" sind nur einige davon. Die Sprachideologien, die solchen Wahlkampfsprüchen zugrunde liegen, manifestieren sich auch in der sprachenpolitischen Praxis und Gesetzeslage: So wird in Österreich viel Wert darauf gelegt, dass (bestimmte Gruppen von) MigrantInnen verpflichtend Deutschkenntnisse erwerben und nachweisen müssen (etwa im Rahmen der "Integrationsvereinbarung" oder der Regelung "Deutsch vor Zuwanderung").

Mehrsprachigkeit als Chance

2008 forderte die EU-Kommission die Mitgliedsstaaten in ihrem zweiten Strategiepapier ("Mehrsprachigkeit: Trumpfkarte Europas") hingegen dazu auf, nicht nur das Erlernen von Staatssprachen zu fördern, sondern auch die bisher weitgehend ungenutzte Mehrsprachigkeit von MigrantInnen als Chance und Ressource zu begreifen.

Eine ähnliche Diskrepanz wie zwischen EU-Strategie und politischen Slogans hierzulande lässt sich in bildungspolitischer Hinsicht feststellen: Während auf EU-Ebene seit 2002 das Barcelona-Ziel forciert wird, wonach EU-BürgerInnen neben ihrer Muttersprache zwei europäische Fremdsprachen beherrschen sollen, lernten laut einer Statistik des Österreichischen Sprachenkompetenzzentrums im Schuljahr 2004/05 ungefähr 90 Prozent aller österreichischen Schüler und Schülerinnen auf der Primarstufe und der Sekundarstufe I nur eine einzige Fremdsprache, und zwar fast ausschließlich Englisch.

"Mehrsprachigkeit" versus "Fremdsprachigkeit"

Literaturhinweise:

Dorostkar, Niku (2012): Mehrdeutige Mehrsprachigkeit. Der österreichische Diskurs über Sprache im sprachenpolitischen Kontext. In: schulheft 143 (3/2011), S. 108-117.

Dorostkar, Niku (in Vorb.): Linguistischer Paternalismus und Moralismus: Sprachbezogene Argumentationsstrategien im Diskurs über ‚Sprachigkeit’. In: Aptum 1/2012.

Europäische Kommission (2005): Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Eine neue Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit. KOM(2005) 596 endgültig (PDF).

Europäische Kommission (2008): Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Mehrsprachigkeit: Trumpfkarte Europas, aber auch gemeinsame Verpflichtung. KOM(2008) 566 endgültig (PDF).

Haller, Michaeala (2007): Der schulische Fremdsprachenunterricht in Österreich. Erste Ergebnisse einer Studie zum Schuljahr 2004/05 (PDF).

Im sprachenpolitischen Diskurs werden Begriffe wie "Mehrsprachigkeit", "Einsprachigkeit" oder "(Nicht)Deutschsprachigkeit" nicht als linguistische Fachtermini verwendet, sondern als Schlagworte, die Bestandteile eines Ideologievokabulars sind. Je nach Sprachideologie und Kontext kann dabei ein und dasselbe Schlagwort (z.B. "Einsprachigkeit" oder "Fremdsprachigkeit") als positiv konnotiertes Fahnenwort oder als negativ konnotiertes Stigmawort verwendet werden.

Prinzipiell positiv konnotiert ist das Schlagwort "Mehrsprachigkeit", das als solches je nach ideologischer Positionierung entweder als Fahnenwort ins Feld geführt oder aber bewusst gemieden wird. Als positiver Begriff wird Mehrsprachigkeit etwa von der EU-Kommission besetzt, aber auch von der österreichischen Unterrichtsministerin Claudia Schmied oder den Grünen, während ihn andere politische Akteure wie die FPÖ umgehen oder negativ umdeuten (bspw. durch Analogiebildungen wie "Fremdsprachigkeit" oder durch Metaphern wie "babylonisches Sprachgewirr").

Diskursive Trendwende

Was insgesamt betrachtet auffällt, ist ein Wandel im Diskurs über Sprache, der sich seit mehreren Jahrzehnten abzeichnet: In den 1980er- und 1990er-Jahren wurde die Sprachenfrage hauptsächlich noch anhand von Themen wie Jugendsprache, Rechtschreibreform und Anglizismen ausgefochten. Dabei spielten kulturpessimistische Interpretationen eine große Rolle: Sprachwandel wurde, vorwiegend von Nicht-LinguistInnen, vielfach zum Sprachverfall hochstilisiert.

Im Mittelpunkt der Sprachdiskurse des ausgehenden 20. Jahrhunderts stand also die Problematik von Sprachnormen und Sprachwandel innerhalb einer einzelnen Sprache wie Deutsch. Zwar verwandt mit diesen Debatten, aber dennoch in eine andere Stoßrichtung weisend, erscheint demgegenüber der aktuelle Diskurs über Sprache im 21. Jahrhundert: Hier geht es nicht mehr um den Gebrauch und das innere System einer einzelnen Sprache, sondern um die Funktionen und Beziehungen von mehreren Sprachen.

Dass der diskursive Trend dahin geht, das komplexe Gefüge mehrerer Sprachen gesellschaftlich zu thematisieren und zu problematisieren, kann so gesehen bereits als implizite Anerkennung der sprachlichen Diversität unserer Gesellschaft interpretiert werden, auch wenn die gegenwärtigen Sprachdiskurse durch zahlreiche Widersprüche im Spannungsfeld zwischen nationaler und supranationaler Sprachenpolitik geprägt sind und dies auf absehbare Zeit wohl auch bleiben werden.

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