Politik und Psychologie: Virus der Grandiosität bei Wulff, Guttenberg und Co

Mächtige gewöhnen sich an eine Art psychischen VIP-Zustand. Der Psychologe Hans-Jürgen Wirth erklärt, wie Politiker in den Rausch eines übersteigerten Narzissmus geraten.

Bundespräsident Christian Wulff im Blick der Kameras

Bundespräsident Christian Wulff im Blick der Kameras

Frage: Herr Wirth, Menschen machen Fehler – was ist so suspekt daran, wenn ein mächtiger Mensch wie unlängst der Bundespräsident das Recht auf Fehler für sich in Anspruch nimmt?

Hans-Jürgen Wirth: Im Prinzip gar nichts. Fehler sind tatsächlich menschlich, wir alle begehen sie. Doch so, wie etwa Herr zu Guttenberg von seiner "großen Dummheit" spricht, oder Herr Wulff von seinem "großen Fehler", scheint es sich um manipulative Versuche zu handeln, an das Mitgefühl und Verständnis des Publikums zu appellieren. Was beide nicht sagen, ist: Ich habe da mit kalkulierter Absicht gehandelt, ich habe mir eben einen Vorteil – einen verdächtig günstigen Kredit, oder mehr Ansehen über eine abgeschriebene Doktorarbeit – verschaffen wollen. Ich wusste, dass das ein Risiko enthält, und ich hätte darüber besser nachdenken sollen. Von der Dimension des absichtlichen Kalküls wollen solche Ausreden nichts preisgeben.

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Frage: Warum sind gerade prominente Machtmenschen so anfällig für diese Art von Selbstbetrug und Täuschung?

Wirth: Politiker sind nicht unbedingt von vornherein Blender und Narzissten. Viele beginnen ihre Karriere mit dem idealistischen Wunsch, die Gesellschaft zu gestalten, etwas zu verändern, sich einzusetzen für andere. Dann aber geraten sie nach und nach von der Provinz ins breite Rampenlicht, sie werden auf einmal, so scheint es ihnen, enorm wichtig. Sie sehen sich, und die Öffentlichkeit sieht sie, an der Seite anderer Prominenter, Wirtschaftsbosse, Showstars, die sich bereits eine gehörige Portion Grandiosität angeeignet haben.

Frage: Und das färbt ab?

Wirth: Ja, da entsteht die Gefahr, dass sich Politiker in der Grandiosität solcher anderer spiegeln, dass sie davon trunken werden, wie von Champagner. Denn die Verführung ist groß, eigene Unsicherheiten, mit denen sie bei ihren Aufgaben konfrontiert werden, durch die glitzernde Hülle zu überspielen, auch vor sich selber.

Frage: Christian Wulff reklamierte in seinem Fernseh-Interview für sich "die Menschenrechte", als sei er ein politisch Verfolgter.

Wirth: Da hat er eine Moralkeule hervorgeholt, die eindeutig zu groß war. Niemand würde ihm die Menschenrechte absprechen – doch darum geht es ja gar nicht. Gleichwohl ist es auch nachvollziehbar, welche Belastungen Politiker in Spitzenpositionen ertragen müssen, wenn die Öffentlichkeit bereit ist, jeden Makel aufzuspüren. Permanent durchleuchtet zu werden, auch im Privatleben, das bedeutet eine enorme psychische Belastung. Was andere im Alltag anstellen, sei es die schwarzarbeitende Putzfrau oder die kleine Unterschlagung bei der Steuer, das stellt für einen Politiker ein hohes Risiko dar. Ich musste jetzt manchmal an Bill Clinton denken, als sein sexueller Fehltritt vor Millionen in aller Welt ausgebreitet wurde. Vermutlich war das für ihn kaum zu ertragen.

Frage: Prominente müssten besonders vorsichtig sein. Sie scheinen sich aber häufig für geradezu unangreifbar zu halten.

Wirth: Sobald der frühe Idealismus in den Rausch eines übersteigerten Narzissmus umkippt, gewöhnen sich Mächtige gern an eine Art psychischen Vip-Zustand: Ich kann mir das leisten, denn ich leiste Ungewöhnliches. Wenn auf dem Grund der Seele auch Selbstwertprobleme liegen, verführt die Macht dazu, das vor sich und anderen zu verbergen. Das Gefühl für die eigenen Grenzen schwindet.

Frage: "Mein Bild wird überall gesendet, mein Name überall zitiert ..."

Wirth: ... da werden Kränkungen als umso schlimmer empfunden! Wer dann dennoch von Bild bloßgestellt oder öffentlich infrage gestellt wird, der kann sich plötzlich nicht mehr im Griff haben. Dann kann es passieren, dass jemand zum Hörer greift und einen Chefredakteur einschüchtern will. Der Narzissmus ist derart verletzt, dass narzisstische Wut das Resultat ist.

Frage: Narzissmus per se ist ja nichts Pathologisches.

Wirth: Nein. Einen gesunden Narzissmus brauchen wir alle, ein Gefühl von Selbstwert, von sinnvollem und sinnstiftendem Dasein. Problematisch wird es, wo eigene Gefühle von Minderwertigkeit nicht reflektiert, sondern als riesig empfunden und mit Grandiosität überspielt werden. Es kommt zur Schauspielerei, das Authentische geht verloren. So wird die psychische Dynamik zu Dynamit – denn es fehlt die Realitätsprüfung. Man könnte diesem Typus den paradox klingenden Rat geben: Mach dich nicht so groß, so klein bist du doch gar nicht. Wenn die Erwartungen an die eigene Rolle übersteigert sind, wie auch im Fall Guttenberg, löst sich die Bodenhaftung.

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  1. http://de.wikipedia.org/w...

  2. sollte an seinem früheren Empörungs-Potenzial
    gemessen werden.
    Er befindet sich in unkontrollierter Hybris.

  3. Ganz gleich wie mit der Personalie Wulff umgegangen wird, aber an einem Vorwurf kommt die Nation Deutschland nicht vorbei.

    Es gibt keine Anstalten, weder von der Presse, der Opposition, den nicht politisch tätigen Gelehrten und schon gar nicht von der Regierung, daraus eine Lehre zu ziehen.

    - wird die Stellenbeschreibung des BP angepasst - Nein
    - werden Regeln für Politiker verschärft - Nein
    - werden Strafgesetzgebungen angepasst, bzw. konkretisiert - Nein

    oder in anderen Fällen
    - ist nach Stuttgart21 das Baurecht reformiert worden - Nein
    - sind nach den Plagiatsaffären Gesetze verschärft worden - Nein
    - ist ein Verfassungskonformes Wahlrecht erarbeitet worden - Nein

    oder noch viel gravierender
    - warum hat Deutschland keine Verfassung?
    - warum steht im GG "Gewaltenverschränkung", obwohl jede Demokratie eine echte Gewaltenteilung als Grundlage haben muss?
    - warum kann das Volk nicht über Themen zu Europa abstimmen, obwohl dies im GG und in einem Urteil des BVerfG zum Lissabon-Vertrag so niedergeschrieben ist?

    Deutschlands Politik lebt vom Vergessen, wie der BP ja selbst bestätigt hat.

    PS: Widersprechen Sie diesem Kommentar nicht, wenn er Ihnen nicht gefällt, sondern nur, wenn Sie einen Punkt daraus widerlegen können.

    - warum hat Deutschland keine Verfassung?
    Deutschland hat eine Verfassung, deren Name ist "Grundgesetz". Es ist für eine Verfassung nicht notwendig, unmittelbar vom Volk beschlossen worden zu sein.

    - warum steht im GG "Gewaltenverschränkung", obwohl jede Demokratie eine echte Gewaltenteilung als Grundlage haben muss?
    Wo haben Sie das her? Art. 20 GG (und andere, siehe auch http://de.wikipedia.org/w...) sagt es doch eindeutig.

    - warum kann das Volk nicht über Themen zu Europa abstimmen, obwohl dies im GG und in einem Urteil des BVerfG zum Lissabon-Vertrag so niedergeschrieben ist?
    Weil die Mehrheitsparteien im Bundestag bisher kein "Bundesvolksabstimmungsgesetz" vorgelegt haben, die den Art. 20 GG in durchführbare Form gebracht haben. Nur die Grünen haben das bisher gefordert, aber keine Mehrheit dafür gefunden. Das mag man bedauern, aber das ist die Macht des Wählers.

    - warum hat Deutschland keine Verfassung?
    Deutschland hat eine Verfassung, deren Name ist "Grundgesetz". Es ist für eine Verfassung nicht notwendig, unmittelbar vom Volk beschlossen worden zu sein.

    - warum steht im GG "Gewaltenverschränkung", obwohl jede Demokratie eine echte Gewaltenteilung als Grundlage haben muss?
    Wo haben Sie das her? Art. 20 GG (und andere, siehe auch http://de.wikipedia.org/w...) sagt es doch eindeutig.

    - warum kann das Volk nicht über Themen zu Europa abstimmen, obwohl dies im GG und in einem Urteil des BVerfG zum Lissabon-Vertrag so niedergeschrieben ist?
    Weil die Mehrheitsparteien im Bundestag bisher kein "Bundesvolksabstimmungsgesetz" vorgelegt haben, die den Art. 20 GG in durchführbare Form gebracht haben. Nur die Grünen haben das bisher gefordert, aber keine Mehrheit dafür gefunden. Das mag man bedauern, aber das ist die Macht des Wählers.

  4. Die Medien haben eine Macht erlangt, die ihnen nicht zusteht.

    Bundestagsreden finden schon lange nicht mehr in der Öffentlichkeit statt. Stattdessen werden Kommentare dazu und Kommentare zu den Kommentaren verbreitet.

    Der Chefredakteur der BILD macht es sich zur Aufgabe, erst PRO Wulff zu arbeiten und ihn dann, wenn es mehr Auflage verspricht, abzustrafen Da geht es um MACHT, nicht um Information. Und eine gewisse Tina Hausten (oder so ähnlich) arbeitet mit krassen LÜGEN um den Bundespräsidenten blosszustellen.

    NICHTS, gar nichts ist einzuwenden gegen das Ausgraben von Informationen, besonders von unliebsamen Informationen über Politiker.

    Aber wenn der UMGANG MIT DEN MEDIEN inzwischen das allerwichtigste ist, was ein Politiker macht, dann sind die Massstäbe verrutscht und zwar gründlich.

    • fanta4
    • 09.01.2012 um
      15:12 Uhr

    Wulff hat die Berichterstattung über seine neue Liebschaft genutzt, um die Bevölkerung für sich zu gewinnen.

    Die ganzen Bildchen die da veröffentlicht wurden, alles nur Mittel zum Zweck.
    [...]

    Aber Mitleid habe ich keins, denn sie sind selber schuld gewesen. Nicht die Medien.

    Gekürzt. Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen und üben Sie ausschließlich sachliche Kritik. Danke. Die Redaktion/vn

    • fanta4
    • 09.01.2012 um
      15:12 Uhr

    Wulff hat die Berichterstattung über seine neue Liebschaft genutzt, um die Bevölkerung für sich zu gewinnen.

    Die ganzen Bildchen die da veröffentlicht wurden, alles nur Mittel zum Zweck.
    [...]

    Aber Mitleid habe ich keins, denn sie sind selber schuld gewesen. Nicht die Medien.

    Gekürzt. Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen und üben Sie ausschließlich sachliche Kritik. Danke. Die Redaktion/vn

  5. Ich meinte diesen Begriff im Zusammenhang mit Wulffs Freunden und Gefälligkeiten.

  6. ist es. Sehr gut!

  7. ... sich womöglich ungerecht behandelt, weil viele andere vor ihm mit ähnlichen Verfehlungen durchgekommen sind.

    Aber es hilft nichts: er hat sich erwischen lassen, er muss gehen. Weil sein Verhalten sonst zur Normalität erhoben würde, und das können wir uns nicht leisten.

  8. "was ist so suspekt daran, wenn ein mächtiger Mensch wie unlängst der Bundespräsident das Recht auf Fehler für sich in Anspruch nimmt?"

    Daran ist sicher nichts mehr oder nichts weniger supekt wie es für eine Kassiererin bei Lidl supekt wäre, einem Kunden mehrmals 2 Euro zuwenig rauszugeben

    oder

    einer Altenpflegerin, die ein paar vom Essen der Bewohner übriggebliebene Maultaschen in einer Tupperdose mit nach Hause nimmt.

    Suspekt ist lediglich, was beim einen Durchgelassen wird und beim anderen nicht, wie der Arbeitgeber damit umgeht, was für Folgen und Konsequenzen derjenige, der den Fehler beging, UNMITTELBAR zu spüren bekommt

    und warum dies so ist.

    Nein, supspekt wäre es sicher nur, wenn bei uns gleiches Recht, auch auf Fehler, für alle gelten würde. Ebenso wie gleiches Un-recht auf Fehler.

    Nun, tut es das nicht?

    Was also soll die scheinheilige Frage, was daran eigentlich so suspekt ist.

    "was ist so suspekt daran, wenn ein mächtiger Mensch wie unlängst der Bundespräsident das Recht auf Fehler für sich in Anspruch nimmt?"
    ...
    Was also soll die scheinheilige Frage, was daran eigentlich so suspekt ist.

    ... gerade der Umgang mit Fehlern den Charakter offenbart.

    Fehlerlosigkeit können wir von Politikern nicht erwarten, Rückgrat schon.

    "was ist so suspekt daran, wenn ein mächtiger Mensch wie unlängst der Bundespräsident das Recht auf Fehler für sich in Anspruch nimmt?"
    ...
    Was also soll die scheinheilige Frage, was daran eigentlich so suspekt ist.

    ... gerade der Umgang mit Fehlern den Charakter offenbart.

    Fehlerlosigkeit können wir von Politikern nicht erwarten, Rückgrat schon.

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