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Per Joystick durch das Herz
Ein Organ ausser Takt
Bei Menschen mit Herzrhythmusstörungen schlägt das Herz nicht mehr im Takt, weil der Herzmuskel falsche Impulse liefert. 2013 sind in der Schweiz 4612 Katheterablationen zur Behandlung von Herzrhythmusstörungen durchgeführt worden, mehr als doppelt so viele als zehn Jahre zuvor. Der Eingriff erspart dem Patienten eine medikamentöse Dauertherapie. Der Patient wird in der Regel nur örtlich betäubt, anschliessend schieben Ärzte verschiedene Katheter unter Röntgendurchleuchtung ins Herz. Meistens geschieht das über die Leistenvenen, seltener auch über Arm- oder Halsvene. Im Herz wird der Ursprungsort der Rhythmusstörung, der falsche Impulse liefert, aufgesucht. Mit Hochfrequenzstrom wird das Gewebe am entsprechenden Ort erwärmt und verödet. Der ganze Eingriff dauert eine bis vier Stunden. (nla)
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Ein Chirurg im grünen Operationsmantel, Mundschutz, Gummihandschuhe, ein Skalpell und der narkotisierte Patient. So, wie man sich eine Operation vorstellt, ist sie in Wirklichkeit nicht immer. Moderne Technik verändert das Spital. Zum Beispiel das robotergesteuerte Herzkatheter-Navigationssystem Phocus. Damit können Herzrhythmusstörungen behandelt werden, ohne dass der Kardiologe unmittelbar neben dem Patienten steht. Sobald der Arzt den mit einer magnetischen Spitze versehenen Katheter in der Herzkammer platziert hat, geht er in ein Nebenzimmer. Von dort aus steuert er den Katheter millimetergenau per Joystick durch das Herz.
Der Patient befindet sich während der bis zu vier Stunden dauernden Behandlung auf einer fahrbaren Liege. Neben ihm hängt das weisse, wuchtige System von der Decke, das mit sieben Elektromagneten besetzt ist. Der Apparat erinnert an futuristische Sofas, die im Raum schweben.
Die Elektromagneten erzeugen ein Feld, an dem sich die magnetische Katheterspitze ausrichtet. Über die Stromstärken in den Elektromagneten kann der Arzt den Katheter präzise durch das Herz navigieren und genau diejenigen Stellen im Herz ansteuern, welche für die Rhythmusstörung verantwortlich sind. Das Herzmuskelgewebe am entsprechenden Ort wird dann durch Hochfrequenzstrom verödet und kann keine falschen Impulse mehr übermitteln – man nennt diese Behandlung Katheterablation.
Vorteile sind noch zu beweisen
Die roboterbasierte Technologie soll den Eingriff sicherer und wirksamer machen als die bisherige Methode, bei welcher der Arzt den Katheter manuell steuert. Manche Stellen des Herzes konnten so nur schwer erreicht werden. «Wir erwarten, dass sich die genaue Steuerung des Katheters positiv auf das Resultat der Behandlung auswirkt», sagt Dominik Bell, Chef von Aeon Scientific in Schlieren. Das Unternehmen, welches das Phocus-System entwickelt hat, ist als Start-up-Firma aus dem ETH-Institut für Robotik und Intelligente Systeme (Iris) entstanden. Natürlich hofft der Jungunternehmer auch auf die Effizienz von Phocus. «Der Eingriff soll weniger lange dauern, der Personalaufwand eher tiefer sein, und es sollen mehr Patienten behandelt werden.»
Das muss er aber zuerst belegen. Bis jetzt ist Phocus nicht zum Einsatz gekommen. Das Unternehmen wartet noch auf die Zulassung. «Diese werden wir teilweise basierend auf Resultaten aus Tests, Experimenten im Labor und der Orientierung an ähnlichen, bereits eingesetzten Geräten beantragen», sagt Bell. Immerhin wurde die Firma bereits mit dem Swiss Technology Award in der Kategorie «Start-up» ausgezeichnet.
Weniger Röntgenbelastung
Eigentlich sollte jeder Arzt das System bedienen können. «Bisherige Trainings haben gezeigt, dass ein Mediziner die Bedienung unseres Systems schneller lernt als den manuellen Eingriff», sagt Bell. Ein gewichtiger Vorteil sei, dass der Arzt während der Behandlung vor der Röntgenstrahlung geschützt sei. Diese ist nötig, damit die Mediziner den Katheter im Herz sehen können. Im Gegensatz zum Patienten, der der Strahlung nur während der Behandlung ausgesetzt ist, kommen Ärzte bei jedem Eingriff mit ihr in Kontakt.
Eingriffe per Joystick bei Herzrhythmusstörungen gibt es schon seit längerem. Erik Wissner, Oberarzt in der Asklepios-Klinik St. Georg in Hamburg, steuert Katheter mithilfe von Magnetfeldern durch die Herzen seiner Patienten. Die Klinik setzt das amerikanische Navigationssystem Stereotaxis seit 2003 ein. Im Gegensatz zu Phocus funktioniert es nicht mit Elektromagneten, sondern mit Permanentmagneten. Diese lassen sich nicht komplett ausschalten und sind auch aktiv, wenn sie nicht gebraucht werden.
Die Patienten fänden das System faszinierend, sagt Wissner, und auch er selber arbeitet gerne damit. «Der Eingriff wird sicherer, wir haben weniger Komplikationen und sind vor der Röntgenstrahlung geschützt.» Die Erfolgsraten der neuen Methode seien allerdings vergleichbar und die Behandlungsdauer gleich geblieben – anfangs habe man sogar länger gebraucht.
Seine Erfahrungen decken sich mit bisherigen Studien zu den neuen elektronisch gesteuerten Systemen. Diese hätten nicht zeigen können, dass sich Sicherheit, Wirksamkeit und Dauer des Eingriffs wirklich verbessert hätten, schrieb der Kardiologe Laurent M. Haegeli vom Universitätsspital Zürich im vergangenen Juni im Fachmagazin «Cardiovascular Medicine».
Ob sich das Schweizer System Phocus in der Praxis bewähren und die Hoffnungen erfüllen wird, zeigt sich nächstes Jahr. Im Januar 2015 beginnt die Installation einer ersten Anlage. Firat Duru, Bereichsleiter der Rhythmologie am Universitätsspital Zürich und medizinischer Leiter des Projekts, wartet gespannt auf die Inbetriebnahme. Er hat die Entwicklung während dreier Jahre in Zusammenarbeit mit der ETH betreut. Nach ersten erfolgversprechenden Versuchen mit Schweinen hofft er, spätestens Mitte 2015 erste Patienten behandeln zu können. Er sei überzeugt, dass das neue Navigationssystem eine präzise Steuerung der Ablationskatheter und eine signifikante Minimierung der Strahlenbelastung erlauben werde.
Kardiologie ist erst der Anfang
Wohin die Anlage zu stehen kommt, ist unklar. In der Abteilung Kardiologie des Unispitals Zürich ist laut Firat Duru der Platz knapp. Auch würden dort bautechnische Gründe gegen die Installation von Phocus sprechen. Duru ist aber zuversichtlich, bald einen Standort gefunden zu haben, zum Beispiel in einem Forschungstrakt in Schlieren oder bei einer Partnerklinik in der Region.
Für die elektromagnetische Technik, für welche die ETH Zürich das Patent besitzt, ist der Einsatz in der Kardiologie erst der Anfang. Geplant ist, in Zukunft auch andere Instrumente mithilfe von Magnetfeldern durch den Körper zu navigieren. «Vorstellbar wären zum Beispiel Organspiegelungen», sagt Duru.
(Tages-Anzeiger)
Erstellt: 15.12.2014, 19:08 Uhr
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