Nur für zwei Jahre . . . Nilgün Tasman liest in Geislingen

Allein, nur mit ihrem Kater als Gesellschaft, verbringt die kleine Nilgün ihre Vormittage in ihrer Wohnung in Göppingen. Die Eltern sind arbeiten, die ältere Schwester in der Schule. In den katholischen Kindergarten darf sie nicht. Sie ist Türkin. Wenn jemand klopft, weiß die Fünfjährige, was sie sagen muss: "Meine Mama ist bloß kurz Brezeln holen gegangen und in fünf Minuten wieder zurück . . ." Nilgün Tasman ist 1968 in Istanbul geboren und wenige Monate später mit ihren Eltern nach Deutschland gekommen. "Nur für zwei Jahre" heißt der Standardsatz der Immigranten damals: Das erste Jahr, bis wir das Geld für ein Auto zusammengespart haben. Das zweite für ein Haus am Meer. Eine reine Selbsttäuschung für die meisten.

Die heute in Stuttgart lebende Buch- und Theaterautorin las auf Einladung des Integrationsbeauftragten der Stadt Geislingen und der Stadtbücherei aus ihren Erinnerungen "Ich träume deutsch und wache türkisch auf". Aus Sicht eines Kindes schildert sie darin - und den Zuhörern in der gut besuchten Stadtbücherei - das Zerrissensein zwischen zwei Kulturen. Aber auch, wie sie als fantasievolles Mädchen beide Kulturen für sich miteinander in Einklang zu bringen versuchte.

So wächst sie auf zwischen ihrer von Traditionen geprägten Babaane - der Großmutter väterlicherseits - bei der sie und ihre Schwester zwei Jahre in Anatolien leben und ihrer feministischen Tante Birsan in Deutschland, zwischen Heimlichkeiten und Lügen, aber auch den wunderbaren Traditionen der islamischen Fastenzeit, während dieser die Familie und die türkischen Bekannten zusammenrücken.

Offen erzählt Nilgün Tasman von den Misshandlungen, die ihr eine katholische Nonne angetan hat, als sie als Fünfjährige nun doch in den katholischen Kindergarten kommen sollte. Und von der Depression der Mutter, die sich in Deutschland immer als Fremde, immer entwurzelt fühlte.

"Tinten lecken" - ein Synonym für Bildung - wird zum Leitsatz in Nilgün Tasmans Leben. Sie macht eine Friseurlehre, geht in Geislingen auf die Berufsschule, eröffnet einen Salon in Göppingen, liest immer viel, studiert Psychologie. Und sie bricht mit den türkischen Traditionen.

Am Ende der Lesung, bei der sie viel mehr erzählt als gelesen hatte, beantwortete Nilgün Tasman viele Fragen aus dem Publikum.

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