"Nur Beckenbauer hat immer Glück"


01.06.2012 08:07 Uhr Kultur

Konstantin Wecker wird 65 Jahre alt und fühlt sich alles andere als „scheintot“

Der bayerische Liedermacher hat gelernt, was Scheitern heißt. Seiner Kunst hat das durchaus gut getan, und seinem Glauben hat es nicht geschadet.

Der Liedermacher, Komponist und Schauspieler Konstantin Wecker hat "Das pralle Leben" gewagt und in seinem gleichnamigen Lied beschrieben. Der künstlerische Aufstieg gehörte zu diesem Leben ebenso dazu wie der persönliche Absturz. Foto: dpaFür Konstantin Wecker gehört das Scheitern zum Leben dazu. Der Sohn eines Opernsängers hat in seiner Heimatstadt München Musik, Philosophie und Psychologie studiert. Als Liedermacher war er stets so poetisch wie gesellschaftskritisch ("Ich lebe immer am Strand", "Wieder dahoam"). Wegen verbotenen Kokainbesitzes wurde Wecker im April 2000 zu 20 Monaten Haft auf Bewährung und einer Geldbuße von 100 000 Mark verurteilt. Veronika Wawatschek sprach mit dem Münchner Musiker anlässlich seines 65. Geburtstags am heutigen Freitag.

Herr Wecker, was würde der 25-jährige Konstantin über den heutigen sagen?

KONSTANTIN WECKER: Damals dachte ich, dass man ab 50 relativ scheintot ist.

Und nun werden Sie 65.

WECKER: So ist es, erstaunlich eigentlich.

Spielen Sie auf die Zeiten an, in denen Sie weit unten waren?

WECKER: Ich kenne kaum jemanden in meinem Alter, der nicht tiefe Strecken der Sinnentleerung im Leben hatte. Bei mir war das halt besonders öffentlich. Das Leben ist Leid, wie Buddha sagt. Intellektuell wusste ich auch mit 20, dass alles vergänglich ist. Mit dem Herzen versteht man es aber erst später. Mit 20 habe ich geschrieben: "Lang mi ned o, du deppada Tod." Da glaubte ich, dass man den Tod besiegen kann. Jetzt hab ich ein Lied über das Sterben geschrieben, für einen Freund. Eigentlich war’s doch für mich. "Es geht zu Ende", heißt es. Eine sehr deutliche Auseinandersetzung mit dem Tod.

Was hat Sie dazu gebracht, immer weiterzumachen?

WECKER: Wirklich zu leben fängt man ja erst an, wenn man den Tod gesehen hat, ihn eingesehen und akzeptiert hat.

Sie zitieren Buddha, welche Rolle spielt Glaube in Ihrem Leben?

WECKER: Ich bin ja katholisch aufgewachsen in Bayern, von Religionslehrern erzogen worden, die zu 90 Prozent Nazis waren. Mir wurde da ein Gottesbild eingeprügelt, das ich ablehnte, sobald ich eigenständig denken konnte. Es gab Ausnahmen wie einen wunderbaren Religionslehrer im Gymnasium.

Und Ihre Familie?

WECKER: Meine Eltern waren sehr frei. Meine Großmutter war sehr gläubig, die raste wirklich jeden Morgen in die Frühmesse, zum Rosenkranz. Wir sagten alle, wenn sie stirbt, wird sie mit einem Frohlocken zu ihrem Herrgott gehen. Und dann haderte sie in ihren letzten Tagen doch mit ihrem Glauben, und alles brach zusammen.

Glauben Sie an Gott?

WECKER: Nein. Jesus, dieser Mann aus Nazareth, wie der Theologe Eugen Drewermann ihn nennt, der gibt mir etwas. Aber solche Verrücktheiten wie die jungfräuliche Geburt, das ist einfach Idiotie, es tut mir leid. Da müsste man eigentlich sofort Agnostiker werden.

Sie waren aber lange Mitglied der katholischen Kirche.

WECKER: Ich hatte unbewusst Angst, dass mich ein Blitzstrahl trifft, wenn ich austrete. So tief sitzt das Trauma einer katholischen Erziehung in Bayern. Als ich dann 2001 aus dem Standesamt rausging, fühlte ich mich nicht nur befreit, ich hatte eine ganz andere Beziehung zu Gott.

Wie hat sich die geäußert?

WECKER: Ich war diesen Hass los, den ich auf den Dogmenverein hatte. Jetzt leuchtet mir das Christentum auch wieder ein, Jesus, dieses radikale Einsetzen für die Außenseiter etwa. Aber dafür habe ich christliche Mystiker wie Meister Eckhardt gebraucht. Das ist wie mit einem guten Zen-Meister.

Wie meinen Sie das?

WECKER: Wenn wir in ein Zen-Kloster gehen, wollen wir immer reden. Ein guter Zen-Meister aber sagt: Setz dich erst mal und sei ruhig. Das habe ich übrigens auch in katholischen Klöstern erlebt. Wir haben zwar geredet, aber nach einer halben Stunde war das auch gut. Und dann habe ich einfach mitpraktiziert.

Nach der Zeit im Gefängnis sind Sie nach Andechs gegangen. Warum nicht in ein asiatisches Kloster?

WECKER: Ein indischer Elefantengott – das wäre nicht meine Bilderwelt. Ich tue mich schwer damit, meine kulturelle Bilderwelt zu verlassen. Ich bin damals übrigens nicht wegen des Bieres nach Andechs gegangen. Ich habe radikal gefastet. Die Mönche haben gedacht, da sitzt ein Wahnsinniger.

In einem Gedicht aus den 80er Jahren beschreiben Sie, wie Sie Gott stockbesoffen begegnen.

WECKER: Genau, auf dem Klo. Ich bin ihm auch im Knast begegnet. Man könnte das als Erleuchtungserlebnisse beschreiben. Es gibt diese Begegnungen, dieses Eins-Sein mit allen, ein Hinaustreten aus der Zeit. Das haben wir alle schon mal erlebt, in Momenten innigster Liebe etwa. Man hat keine Sorgen mehr.

Das klingt fast nach einem unpolitischen Konstantin Wecker.

WECKER: Mir ist mein gesellschaftliches Engagement mit dem Alter wichtiger geworden. Ich habe neulich in Frankfurt am Römer mit der Occupy-Bewegung erlebt, wie sich dieses völlig marode Wirtschaftssystem gegen Veränderungen wehrt. Der Mensch ist ein empathisches Wesen. Von Kindesbeinen an wird ihm das aber aberzogen. Es braucht einen neuen Weg, und das geht im Verbund mit ganz vielen Menschen. Die Zeiten sind vorbei, in denen einer sagt, was alle tun müssen.

Haben Sie erreicht, was Sie vom Leben wollten?

WECKER: Meine Pubertät habe ich mit Dichtern zugebracht. Trakl hat mich gerettet. Ich bin völlig versonnen in Kaffeehäusern gesessen, damit es auch jeder sehen kann. Mit 14, 15 wollte ich dann Opern komponieren. Aber die "Tosca" gibt es ja schon. Mit 18 wollte ich meine Gedichte vertonen und die manchmal vortragen.

Sie haben sich Ihren Jugendtraum also erfüllt?

WECKER: Ja, das habe ich. Erfolg ist wichtig. Wahrscheinlich aber war das Scheitern wichtiger. Scheitern gehört dazu. Es gibt nur eine Ausnahme: Franz Beckenbauer. Der hat das Glück gepachtet.

Artikel vom 01. Juni 2012, 03.20 Uhr (letzte Änderung 01. Juni 2012, 08.25 Uhr)

 

<!--#CMS_DATA(field="source" prefix="")-->

Kommentar verfassen


Leave a Reply