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«Nötig ist Geld – und Respekt»

Soziologe Pascal Hug sagt, die Ebola-Epidemie offenbare die gesellschaftliche Differenz zwischen Nord und Süd.

Ein Schulzimmer ist in Monrovia, der Hauptstadt von Liberia, zur Isolationsstation umfunktioniert worden. Foto: Getty Images

Ein Schulzimmer ist in Monrovia, der Hauptstadt von Liberia, zur Isolationsstation umfunktioniert worden. Foto: Getty Images

Der Soziologe und Anthropologe ist Dozent an der Universität Omar Bongo in Libreville (Gabun) und Lehrbeauftrager für afrikanische Gesellschaftssysteme an der Uni St. Gallen.

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Warum ist es so schwierig, die Ebola-Epidemie einzudämmen?
Die Wahrscheinlichkeit, dass man als Ebola-Patient stirbt, ist sehr hoch – das allein macht schon deutlich, welch riesige Herausforderung an Medizin und Bevölkerung diese Krankheit darstellt. Vermutlich liesse sie sich jedoch relativ einfach in den Griff bekommen, wenn in den betroffenen westafrikanischen Staaten nicht eine enorme Armut herrschen würde und die Gesundheits- und Schulsysteme nicht derart miserabel funktionieren würden.

Es braucht Geld und Personal?
Um eine so heftige Ebola-Epidemie einzudämmen, muss schnell, pragmatisch und mit der nötigen Autorität gehandelt werden. Da ist Ethnoromatik fehl am Platz. Nötig ist mehr Geld, mehr lokales und internationales Personal – und Respekt. Momentan ist hauptsächlich Westafrika betroffen. Die Ängste, die Ebola auslöst, sind aber verständlicherweise global, wobei jede Gesellschaft auf ihre Art, mit ihrem soziokulturellen Repertoire auf die Situation reagiert.

Was lehren uns die verschiedenen Reaktionen – jene in der betroffenen Region, jene in Europa?
Die Ebola-Epidemie ist so etwas wie ein Vergrösserungsglas, das Stärken und Schwächen der Gesellschaftssysteme sichtbar macht. Man erkennt, wo es zwischen Europa und Afrika gesellschaftliche Unterschiede gibt und welche Auswirkungen sie haben. Will man Ebola wirksam bekämpfen, braucht es ein Bewusstsein für diese Unterschiede.

Konkret?
Zu den Stärken Afrikas gehören die Übergangsrituale, die insbesondere in Westafrika verbreitet sind. So ist namentlich der Übergang in den Tod stark ritualisiert. Das Trauern und Abschiednehmen geschieht im grossen Rahmen und unter starker Anteilnahme der afrikanischen Grossfamilien. In dieser Anteilnahme manifestiert sich der starke soziale Zusammenhalt. Gerade in Westafrika gehört es zum Wesen einer Gemeinschaft, dass neben den Lebenden auch die Verstorbenen dazu zählen.

Die Ahnen bleiben Teil der Gesellschaft?
Ein wichtiger Teil! Es ist im Verständnis dieser Gemeinschaften von grösster Bedeutung, dass die Verstorbenen sorgfältig und respektvoll ins Ahnenreich begleitet werden. Die ritualisierte Gestaltung des Sterbens und die «Eingemeindung» des Ahnenreichs ins diesseitige Leben nimmt dem Tod ein bisschen von seinem Schrecken. Der Umgang mit dieser Trennung ist in Afrika souveräner als bei uns, wo es nahezu keine Übergangsrituale mehr gibt und der Tod oft verdrängt und verbürokratisiert wird.

In Zeiten von Ebola werden die Totenrituale zum Risiko.
Es ist eine Perfidie dieser Krankheit, dass sie genau dort einfällt, wo ein Potenzial Westafrikas liegt – beim natürlichen, unverkrampften Umgang mit dem Altwerden und dem Tod als Trennung. Ein Teil der Trauernden kommt mit den Toten in Berührung. Sie waschen sie und wachen bei ihnen und gehen damit ein tödliches Risiko ein, weil eine mit Ebola infizierte Leiche hochansteckend ist.

Wo ist der Ausweg?
Die Helfer holen, verpackt in «Astronautenanzüge», die Kranken und Toten aus den Dörfern und isolieren sie. Die Vorgehensweise ist verständlich und pragmatisch, doch sie schafft Wertkonflikte. Wenn das medizinische Personal den Einheimischen die Ebola-Opfer wegnimmt und diese zum Sterben in ein Spital bringt, entstehen in den Familien grosse Schuldgefühle. Die ritualisierte, respektvolle Bestattung ist nicht mehr möglich, und das macht Angst.

Wovor fürchten sich die Angehörigen?
Die Hinterbliebenen fürchten, dass die Verbindung mit dem Ahnenreich beeinträchtig oder sogar zerstört wird und dass sich die Ahnen mit einem Unheil rächen könnten. Viele Unglücke werden in Afrika mit Übernatürlichem erklärt. Und übernatürlich ist auch alles, was mit den Ahnen zusammenhängt. In Afrika begegnet man alten, kranken und schwachen Menschen mit viel Ehrfurcht. Im Wortsinn: Man verehrt und fürchtet sie, weil sie dem Ahnenreich nahestehen.

Lassen sich die Rituale anpassen?
Das wäre ein interessanter Ansatz, doch die Zeit ist knapp. Es ist nicht der Moment für ethnologische Studien über alternative Trauerrituale. Eine Möglichkeit ist, dass man die Gemeinschaften ihre Opfer beerdigen lässt, unter der Bedingung, dass die Toten in eine Hülle gepackt werden. Es könnte ja eine Hülle sein, durch die man das Gesicht des Toten erkennen kann. Eine Epidemie kann nicht ohne Autorität eingedämmt werden. Gleichwohl ist es wichtig, dass auf die lokalen Empfindungen Rücksicht genommen wird. Nur so lässt sich verhindern, dass es zu weiteren gewaltsamen Konflikten kommt. Menschen im Sahel haben nicht nur für ihre Rituale gute Gründe. Auch die in Afrika verbreitete enorme Angst vor Spitälern basiert auf rationalen Überlegungen.

Woran denken Sie?
Man muss den Kontext sehen: Einige ­afrikanische Regimes vernachlässigen neben dem Gesundheits- auch ihr Bildungssystem. Es fehlt nicht nur an Ärzten und am Pflegepersonal, sondern auch an Lehrern auf allen Stufen. Das hat Folgen. So ist zum Beispiel vielen Leuten selbst der Nutzen elementarer Hygienemassnahmen wie regelmässigem Händewaschen nicht bewusst. Indem der einheimischen Bevölkerung Wissen vorenthalten wird, sichern die Regimes letztlich ihre Macht ab – denn Wissen ist bekanntlich Macht. Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, dass das Verhältnis zur westlichen Schulmedizin in der Bevölkerung ambivalent ist. Man weiss zwar um ihr Potenzial, hat aber gleichzeitig Angst.

Woher kommt die Angst?
Es hält sich das Gerücht, dass weisse Ärzte an schwarzen Patienten Medikamente ausprobieren würden. Die unter Europäern verbreitete Überzeugung, immer genau zu wissen, was für Afrika gut sei, trägt auch nicht zur Entspannung bei. Hinzu kommt, dass die Leute in den Spitälern sterben, was viele Einheimische im Glauben bestärkt, das wahre Unheil sei nicht die Krankheit, sondern der Spital. Wären die Kranken daheim gepflegt worden, wären sie – so der Glaube – gesund geworden.

Ein ziemlich irrationaler Glaube.
Die Angst vor jenen Ärzten, die als Helfer aus Europa oder den USA kommen, mag eine emotionale Seite haben. Die – in Afrika weit ausgeprägtere – Angst vor den eigenen Spitälern ist dagegen absolut nachvollziehbar. Ich verstehe in West- und Zentralafrika jeden, der keinen Fuss in ein einheimisches Spital setzt. Erstens, weil es an kompetentem Personal fehlt, aber auch an Wasser, Elektrizität, Leintüchern und Medikamenten – und wenn es Medikamente hat, sind sie oft gefälscht. Zweitens, weil die Angst verbreitet ist, dass den Spitalpatienten Organe gestohlen werden.

Wer stiehlt diese?
In West- und Zentralafrika befürchtet die Bevölkerung, dass einzelne hochrangige Exponenten okkulte Praktiken anwenden, um ihre Macht zu erweitern oder zu sichern. Zu diesen Praktiken gehört, dass Opfer, in wenigen Fällen sogar Menschenopfer, gebracht werden. So kommt es vor, dass Personen, die nach hohen Ämtern streben, sich mit kraftspendenden Objekten ausrüsten: mit menschlichen Organen, die bei Ritualmorden geraubt worden waren. Will jemand ein besserer Redner werden, besorgt er sich eine Zunge, braucht er zusätzliche Energie, organisiert er sich ein Sexualorgan. Die Angst, dass in den Spitälern und Leichenhäusern und sogar auf Friedhöfen die Organe von Kranken und Toten gestohlen werden, ist verbreitet. Sie manifestiert sich auch in der in West- und Zentralafrika populären Überzeugung: Wenn es jemand nach ganz oben schafft, dann nicht, weil er besonders viel Talent besitzt, sondern weil er grosse Opfer gebracht hat.

Das zeugt von wenig Vertrauen in die eigene Elite.
Tatsächlich ist das Misstrauen in der Bevölkerung gegenüber «ihren» Behörden, Autoritäten und Führungskräften gross. Es ist das Misstrauen der vielen Armen gegenüber den wenigen Steinreichen. Dass sich Letztere selbst bei harmlosen Beschwerden nicht von einheimischen Ärzten, sondern in Europa oder Südafrika behandeln lassen, trägt zu diesem Misstrauen bei. Die Furcht vor den eigenen Gesundheitseinrichtungen ist also nicht irrational, sondern pragmatisch.

Wie soll sich der Westen verhalten?
Die vom Ebola-Virus betroffenen ­Gebiete brauchen vor allem eines: Hilfe – einerseits von der eigenen Elite, die über Geld und Macht verfügt, andererseits von der internationalen Gemeinschaft. Der Fall Ebola zeigt aber auch exemplarisch, wie gering das gegenseitige Wissen ist. In Afrika wird Europa gleichzeitig idealisiert und diabolisiert – einerseits wird Europa oft für das eigene Elend verantwortlich gemacht. Andererseits werden viele europäische Moden sofort übernommen.

Und umgekehrt: Wie sehen die Europäer Afrika?
Für viele Europäer verkörpert Afrika das Fremde, Unheimliche schlechthin. Europäer haben Angst, dass sie selbst von Ebola angesteckt werden und dass aus der regionalen eine globale Epidemie werden könnte. Diese Ängste sind verständlich. Es fällt aber auch auf, mit wie wenig Empathie Europa auf die Epidemie bis anhin reagiert. Es gibt kaum öffentliche Spendenaufrufe. Ich will aber niemanden für seine Ängste verurteilen – beide Seiten, die europäische wie die afrikanische, haben ihre Gründe für ihre Empfindungen. Und vielleicht bietet ja Ebola die Chance, dass das gegenseitige Nichtverstehen ein bisschen abnimmt.

Was wünschen Sie sich?
Eine etwas symmetrischere Berichterstattung über Afrika. Gibt es Gräuel und Schrecken, wird das medial inszeniert. Dass in Afrika sehr junge Gesellschaften mit enorm viel Innovationspotenzial leben, dass sie Fähigkeiten haben, die wir nicht haben, eine grosse Geduld zum Beispiel – das alles verschwindet hinter den Bildern des Schreckens. Ausserdem: Ebola ist schlimm. Die Opferzahlen sind gross und werden noch wachsen. Aber aktuell sind in Afrika von 54 Ländern hauptsächlich vier betroffen. Weit öfter als an Ebola stirbt man in Afrika an Malaria, Aids, Alkoholismus, Hepatitis, ­Parasiten und Verkehrsunfällen. Hinzu kommen jene Krankheiten, auch genetische, die zwar verbreitet, bei uns aber praktisch unbekannt sind, weil nur Schwarze davon betroffen sind.

Ist der Kampf gegen Ebola auch deshalb schwierig, weil Tradition und Moderne – westafrikanische Rituale und europäische Medizin – aufeinanderprallen?
Es gibt keine Gesellschaft ohne Tradition, auch die moderne Medizin ist aus einer Tradition entstanden. Afrika lebt genauso wie der Rest der Welt im Jahr 2014. Es wird enorm viel kommuniziert – Skype, Whatsapp, SMS: alles sehr verbreitet. Gerade junge Leute geben oft mehr Geld fürs Kommunizieren aus als fürs Essen. Ausserdem sind gerade Afrikaner sehr begabt im Beherrschen mehrere kultureller Register: der Physiker in Benin, der in einem Hightechlabor forscht und nach der Arbeit in den Voodootempel geht – der ist keine Erfindung von mir. Es gibt in Westafrika viele solche Leute. Sie wechseln ohne inneren Konflikt zwischen ganz verschiedenen Welten. Das verschafft diesen Leuten enorme Kompetenzen. Tradition und Moderne sind durchaus kompatibel.

Aber die kulturelle Differenz bleibt.
Ja, aber diese Differenzen sind relativ. Nehmen wir die verbreitete Angst, den Zusammenhalt der Gemeinschaften zu gefährden. Diese Angst hat auch ganz pragmatische Gründe: Der Staat ist in Westafrika hauptsächlich durch seine Absenz präsent; es gibt keine Sozialinfrastruktur für Alte und Kranke. Die Rolle der Sozialversicherung tragen Familie und Gemeinschaft. Im Bemühen um eine intakte Gemeinschaft drückt sich immer auch das Bedürfnis nach Sicherheit und Geborgenheit aus – ein Bedürfnis, das auch in Europa ausgeprägt ist.

Was nichts daran ändert, dass die Ebola-Bekämpfung an Grenzen stösst, wenn sie das soziokulturelle Gefüge zu wenig berücksichtigt.
Natürlich wird der Kampf gegen Ebola durch das Aufeinandertreffen verschiedener Weltanschauungen nicht vereinfacht. Wir Europäer leben in einer Gesellschaft des Zweifelns. Wir hinterfragen, wir zweifeln – und dies aus dem Antrieb heraus, dass wir nichts tun wollen, was sich in der Zukunft rächen könnte. Im Sahel, also in den Ebola-Gebieten, dominieren dagegen Gesellschaften der Sicherheit. Für diese Gesellschaften ist das Zukünftige allein das Territorium der Göttlichkeit und der Ahnen. Es wird als eher unhöflich und deplatziert empfunden, wenn man zu viele Fragen zur Zukunft stellt.Bei dieser verbreiteten Weltanschauung besteht keine Unsicherheit bezüglich der Zukunft, weil diese ja nicht in der eigenen Macht liegt. Es sind konservative Gesellschaften im Sinn, dass man sich auf das verlässt, was in der Vergangenheit funktioniert hat.

Mit welchen Folgen?
Mit der Folge, dass Ebola auch ein Kulturschock ist. Plötzlich kommen Epidemie-Experten, die zu antizipieren versuchen. Die sagen: Wir müssen heute dieses tun, damit morgen jenes geschieht. Diese Experten stossen auf ein anderes Modell von Zivilisation. Nun sind solche Konflikte nicht unüberwindbar. Der Nutzen vorbeugender Massnahmen wird auch in Westafrika erkannt. Es braucht aber auf beiden Seiten der Wille zur Verständigung. Und es braucht die Bereitschaft, in die Prävention zu investieren.

(Tages-Anzeiger)

Erstellt: 29.08.2014, 06:56 Uhr


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