Nichts ist blau

Farben erzeugen eine Welt im Kopf. Sie leiten das menschliche Unterbewusstsein. Unbeeindruckt von unserer Ratio bringen wir Vorstellungen und Bilder mit Farben in Zusammenhang. Die psychologische Bedeutung der vier Grundfarben Gelb, Grün, Blau und Rot ist vielschichtig. Nehmen wir als roten Faden für diese Geschichte einfach die Lieblingsfarbe von Klaus und Markus Fritzsche: Blau. Die beiden führen die Geschäfte des Farben- und Lackherstellers Mipa - im Firmenlogo blau geschrieben - aus Essenbach bei Landshut, der zu den führenden Unternehmen in der Lackbranche zählt. Rein psychologisch gesehen, passt diese Farbe allerdings nicht so gut zu der Firma.

Blau, so sagen es die Psychologen, strahlt Ruhe und Vertiefung aus. Ausruhen bedeutet das also. Reines Blau ist deshalb eine passive Farbe.

Trifft im Falle von Mipa aber nicht zu: Denn das Unternehmen ist in den vergangenen Jahren alles andere als passiv auf dem Lack- und Farbenmarkt unterwegs gewesen. Dies zeigen die wesentlichen wirtschaftlichen Kennzahlen aus den vergangenen Geschäftsjahren. So stieg der Umsatz jährlich um über zehn Prozent an. 2012 erwirtschaftete der Lackhersteller rund 100 Millionen Euro. Der Plan für 2013: erneut ein Umsatzwachstum im zweistelligen Prozentbereich. Die Mitarbeiterzahl stieg ähnlich kontinuierlich an. Aktuell sind bei Mipa und den 22 Tochterfirmen mit 45 Standorten rund 850 Menschen beschäftigt. Am Hauptsitz in Essenbach arbeiten knapp 500 Mitarbeiter. Damit zählt Mipa mit zu den größten Arbeitgebern im Landkreis Landshut.

"Keimzelle" der heutigen Firma ist ein um das Jahr 1900 in Landshut gegründetes Geschäft, das vom Onkel des Urgroßvaters der Gebrüder Fritzsche betrieben wurde. Auf Urgroßvater Paul Mittermayer geht auch der heutige Firmenname zurück. Berndt Fritzsche übernahm in den 1970er-Jahren die Geschäftsführung und tätigte "wesentliche Weichenstellungen", wie seine beiden Söhne heute sagen. Er baute den Bereich Maschinen- und Fahrzeuglacke zum größten Geschäftszweig der Firma aus und trieb die Internationalisierung voran. "Vorher war es ein Sammelsurium an verschiedensten Produkten", so Markus Fritzsche. Anfang der 1990er-Jahre sorgte ein durch die Ost-Öffnung bedingtes, explosionsartiges Wachstum am Mipa-Standort in der Nähe des Landshuter Bahnhofes für Platzmangel. Deshalb folgte Mitte der 1990er-Jahre der Bau eines neuen Werkes in Essenbach.

60 Prozent der Produkte werden in rund 80 Länder geliefert

Mipa liefert die Fahrzeuglacke nicht in die Autofabriken. Das Hauptgeschäft der Essenbacher stellt die Reparatur von Fahrzeugen dar. Wenn ein Auto also nach einem Unfall in eine Lackiererei kommt, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass es dort mit Mipa-Produkten lackiert wird, denn das Unternehmen zählt weltweit mit zu den Branchenführern. Etwa zwei Drittel des Gesamtumsatzes generiert Mipa mit den Fahrzeug- und Maschinenlacken. Geliefert werden sie in rund 80 Länder rund um den Globus. Entsprechend hoch ist die Exportquote: Sie beträgt aktuell über 60 Prozent.

Neben den Fahrzeuglacken gibt es von Mipa auch andere Beschichtungsstoffe: Baufarben und Holzlacke. Die beiden in der Schreiner-Branche bekannten Marken Rosner und Henelit beispielsweise gehören zur Mipa-Gruppe. Während die Autolacke über Händler vertrieben werden, gibt es die Baufarben und Holzlacke von Mipa hauptsächlich in eigenen Filialen. Sieben Geschäfte betreibt Mipa deshalb in Bayern. Die Konzentration im Baufarbenbereich auf den regionalen Markt hat ihren Grund, denn Baufarben etwa nach Asien zu liefern, macht laut Klaus Fritzsche keinen Sinn: "Wir arbeiten in Deutschland schadstofffrei. Organische Lösemittel kommen in den Farben nicht mehr vor. In China jedoch ist das anders, deshalb kann dort deutlich günstiger produziert werden."

Blau, so heißt es in der Psychologie weiter, ist die Farbe der unbegrenzten Dimensionen. Alles, was blau ist, wirkt deshalb immer sehr distanziert und weit entfernt. In Kombination mit anderen Farben wirkt das Blau deshalb immer am weitesten entfernt.

Stimmt bei Mipa wieder nicht: Denn die Firma ist sehr nah am Kunden und achtet darauf, welche Farben gerade beliebt sind. Der große Trend bei den Autofarben geht laut Markus Fritzsche "in Richtung unbunt." Weiß sei die Farbe der Stunde, während schwarz momentan leicht zurückgehe. Silber, so sagt er, sei lange Zeit äußerst beliebt gewesen. "Momentan ist die Farbe aber stark rückläufig. Rot steigt wieder etwas, blau geht deutlich zurück und grün war noch nie besonders populär." Dagegen seien Erdfarbtöne wie Kupfer oder Braun gerade populär. "Ich glaube, das ist aber eine kurzfristige Geschichte."

Aus 70 Komponenten werden mehr als 45 000 Farbtöne gemischt

Bei den Autolacken arbeitet Mipa mit Mischsystemen. Aus 70 Grundkomponenten können rund 45 000 verschiedene Farbtöne erzeugt werden. "Und die sind auch tatsächlich unterschiedlich", sagt Markus Fritzsche. Damit in der Lackiererei der richtige Farbton getroffen wird, gibt es ein eigens von Mipa entwickeltes Computersystem, das auf Basis einer umfangreichen Farbensammlung die richtige Rezeptur errechnet. Nahezu jeden Farbton muss sich Mipa selbst erarbeiten: "Denn ein Rezept eines Autoherstellers hilft meistens gar nichts, weil wir die Farben ja mit unseren eigenen Mischungen herstellen müssen", so Markus Fritzsche. Jedes Jahr kommen so etwa 1 000 neue Farbtöne hinzu. Während in der Autofabrik ein Roboter den Lack aufträgt und dieser anschließend bei über 100 Grad Clesius getrocknet wird, sieht die Technik in einer Lackiererei anders aus. Hier wird mit einer Lackierpistole und weitaus niedrigeren Trocknungstemperaturen gearbeitet. Das Ergebnis jedoch muss das gleiche sein. "Es stellt einen unwahrscheinlich hohen Aufwand für uns dar, diese Farbtöne perfekt nachzustellen. Und das oft nur für einen sehr geringen Verbrauch", so Markus Fritzsche. Ganz genau können es auch die beiden Mipa-Chefs nicht sagen, wie viele Farbtöne es bei Mipa gibt. Sie schätzen, dass es etwa ein halbe Million sind.

Im Baufarbenbereich indes gehen die Trends laut Markus Fritzsche derzeit wieder hin zur Farbe weiß. Auch cremefarbene Töne sind ihm zufolge beliebt. "Alles soll natürlich aussehen, auch beim Holz. Die knalligen Farben im Innenbereich werden weniger." Hier hat Mipa noch mehr Farbtöne im Angebot als bei den Fahrzeuglacken.

Blau war der Farbstoff, der früher am leichtesten und billigsten zu gewinnen war. Daher galt Blau als die Farbe des Volkes und als nicht besonders hochwertig.

Die Farben und Lacke von Mipa hingegen sind im Premiumsegment angesiedelt. Im Baumarkt gibt es sie deshalb nicht zu kaufen. Zudem sind die Produkte aus den Fabriken des Essenbacher Unternehmens hochinnovativ. Die letzte große Innovation im Produktbereich ist erst im vergangenen Jahr auf den Markt gekommen: ein sogenanntes Express-System für Fahrzeuglacke. Sowohl Grund- als auch Füllerlacke aus dieser neuen Reihe trocknen relativ schnell ohne hohe Temperaturen. "Ein Lackierer spart sich mit diesem System über 60 Prozent der Energie, die er vorher für die Trockenkabine gebraucht hat. Und gleichzeitig spart er sich 60 Prozent der vorher benötigten Zeit ein", sagt Markus Fritzsche.

Seine Preis-Prognose: Obwohl diese neue Lösung auch Kosten einspart, werden Lacke mittel- bis langfristig wohl teurer werden, weil der Grundstoff aus dem begrenzten Rohstoff Erdöl besteht. Da es weltweit nur einige wenige Firmen gibt, die Rohstoffe wie etwa Pigmente für Lacke herstellen, ist Mipa hier mit einer laut Markus Fritzsche "unschönen Situation" konfrontiert: Die Hersteller können die Preise nach Belieben diktieren. Wenn der Rohölpreis also nach oben geht, hat das für Mipa unmittelbare Auswirkungen. "Wir können das mit unserem Händlern aber nicht so machen und sofort die Preise anheben. Diese Preissprünge müssen wir eine gewisse Zeit absorbieren", sagt Klaus Fritzsche.

Blau gilt in der Psychologie weiterhin als eine kalte, kühle Farbe. Die intensive Konfrontation mit Blau setzt die gesamten Körperfunktionen herab. Der Schatten des Sonnenlichts ist bläulich, Eis und Schnee schimmern bläulich, Haut wird bei Kälte blau. Wenn man friert, ist man blau gefroren.

Kühl und distanziert - das sind weder Klaus noch Markus Fritzsche. Im Gegenteil. Sie empfangen herzlich und offen. Der Besuch bei ihnen am Firmensitz in Essenbach dauert mehrere Stunden und hinterlässt aufgrund der Offenheit der beiden Geschäftsführer einen sympathischen Eindruck. Eine Geschichte, die sie erzählen, handelt von duftenden Snowboards. Es war einer der ausgefallensten Aufträge, den Mipa zu bewerkstelligen hatte: Man sollte Farben für Sportgeräte mischen, die Gerüche absondern. Und es gab da offenbar tatsächlich jemanden, der sich ein Snowboard mit Pizzageschmack zulegen wollte. Einer bevorzugte den Duft eines Spaghetti-Bolognese-Gerichtes. Der Clou bei der ganzen Sache: Die Farben sondern den Duft nur bei einer Berührung mit menschlichen Körperteilen ab. Dagegen wirken Lacke für Kampfjets oder Flugzeuge, wie es sie bei Mipa ebenso gibt, richtig langweilig.

Snowboards mit Geschmack und eine Diebstahlsicherung

Eine andere kuriose Anwendung von Mipa-Farben könnte man als Diebstahlsicherung für Gerüste bezeichnen. Denn große, schwere Malergerüste sind teuer und verschwinden immer häufiger von Baustellen. Viele Betriebe tun sich schwer, einen Nachweis zu erbringen, wenn eine andere Firma das eigene Gerüst von der Großbaustelle mitgenommen hat. Um vor Gericht für eine eindeutige Beweislage sorgen zu können, gibt es bei Mipa spezielle Markierfarben. Jeder Kunde bekommt hier eine Farbe, der eine Serie von ganz speziellen Ingredienzien beigemischt wurde. Diese Beigaben können später, im Falle des Konflikts, im Labor bei Mipa genau identifiziert werden. Bei mehreren Fällen vor Gericht ist auf diesem Wege schon für Klarheit gesorgt worden.

Blau steht in einem speziellen Kontext auch für die Farbe von Schwänzern: blaumachen.

Sollten Klaus und Markus Fritzsche tatsächlich einmal "blaugemacht" haben, dann nicht sehr oft. Denn Mipa hat die unternehmerischen Hausaufgaben gemacht und rüstet sich mit einem großen Investitionsprojekt für die Zukunft. In Essenbach werden in den kommenden Jahren die Produktionskapazitäten verdoppelt - es ist eine der größten Ausbaumaßnahmen in der Firmenhistorie. Ende des vergangenen Jahres hat Mipa dafür den Hauptsitz durch einen Zukauf um etwa 16 000 Quadratmeter erweitert. Noch in diesem oder im kommenden Jahr soll mit dem Bau einer neuen Logistikhalle begonnen werden. Die bestehenden Logistikbereiche werden dorthin ausgelagert und die frei werdenden Flächen für zusätzliche Produktionsanlagen genutzt. Die Investitionssumme beträgt insgesamt rund 15 Millionen Euro, wobei zehn Millionen Euro auf das Logistikgebäude entfallen und fünf Millionen Euro auf neue Produktionsmaschinen. Das neue Logistikzentrum wird im Endausbau eine Fläche von 10 000 Quadratmetern aufweisen. Wann die Endausbaustufe erreicht sein wird, steht noch nicht fest.

Eine neues Logistikzentrum und mehr Produktion am Hauptsitz in Essenbach

Dafür jedoch ist schon heute sicher, dass im Zuge der Maßnahme zahlreiche neue Arbeitsplätze in Essenbach entstehen. Allein in den neuen Lager- und Produktionsbereichen werden es mindestens bis zu 50 neue Stellen sein, so die Fritzsche-Brüder. Mehr Produkte bedeuten aber auch einen erhöhten Personalbedarf in den nachgelagerten Firmenbereichen.

Aktuell fertigen die Mipa-Mitarbeiter in Essenbach rund 25 000 Tonnen an Lack- und Farbprodukten. Damit ist der Hauptsitz auch der weitaus größte Produktionsstandort in der Firmengruppe. Mipa betreibt zudem fünf weitere Produktionsstandorte in Europa, die Spezialbereiche oder den jeweiligen regionalen Bedarf abdecken. Die Schweizer Lackfabrik etwa exportiert nahezu keines ihrer Produkte ins Ausland.

Vor allem außerhalb Europas will Mipa in den kommenden Jahren den Vertrieb weiter ausbauen. Vor drei Jahren wurde eine Niederlassung in Marokko gegründet, die laut Markus Fritzsche "sehr gut läuft". Etwas später folgte eine Neugründung in Singapur. Erst vor Kurzem ging eine neue Vertriebstochter in China an den Start. Dort liefert Mipa auch Lacke an Sportartikelhersteller, die dort Skier und Snowboards produzieren.

Größere Akquisen sind bei Mipa derzeit keine in Planung. Die letzte Übernahme war der Kauf der Holzlackmarke Rosner im Jahr 2010. Ein Jahr zuvor erwarb Mipa das Werk der Firma Herlac in Coswig bei Dresden mit rund 50 Mitarbeitern. 2008 übernahmen die Essenbacher die Firma Henelit in Villach in Österreich mit 100 Mitarbeitern.

Und da Blau an dieser Stelle so schlecht wegkommt, noch etwas zur Ehrenrettung dieser Farbe. Sie ist nicht nur die erklärte Lieblingsfarbe der Österreicher, sondern auch die Farbe der Sicherheit. Sie signalisiert, dass man keine Angst um etwas oder jemanden zu haben braucht. Versicherungen zieren sich daher sehr gerne mit Blau, denn es symbolisiert auch Vertrauen, Zusammenarbeit, Harmonie, Hingebung, Freundschaft.

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