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23.04.2013, 09:10 | Wissenschaft | Autor: idw | 0 Kommentare



Die Fachrichtung Psychologie der Universität des Saarlandes unterhält auf dem Saarbrücker Campus zwei ambulante psychologische Einrichtungen, die grundsätzlich allen gesetzlich Krankenversicherten offen stehen: Eine davon ist die neuropsychologische Lehr- und Forschungsambulanz, die Patienten mit Hirnschädigung, zum Beispiel nach Schädelhirnverletzungen oder Schlaganfällen, behandelt. Gleichzeitig betreibt sie Forschung und ist für eine praxisnahe Lehre zuständig.

Die Anzeichen sind offensichtlich, und doch werden sie von den Betroffenen selbst oft gar nicht wahrgenommen: Beim Rasieren oder Schminken vergessen sie ihre linke Gesichtshälfte. „Wenn Patienten eine Hälfte ihres Körpers oder des Raumes vernachlässigen, ist es offensichtlich, dass sie am so genannten Neglect-Syndrom leiden“, sagt Georg Kerkhoff. Er ist Inhaber des bundesweit einzigen Lehrstuhls für Klinische Neuropsychologie und Leiter der neuropsychologischen Universitätsambulanz an der Uni. „Wenn beispielsweise die rechte Hirnhälfte geschädigt ist, reagieren die Betroffenen kaum oder nur extrem verzögert, wenn man sie von links anspricht, oder sie übersehen Gegenstände auf der linken Seite.“ Das tritt besonders häufig nach einem Schlaganfall auf, hat Kerkhoff festgestellt. Das Neglect-Syndrom ist eines seiner Spezialgebiete. Neben Seh- und Wahrnehmungsstörungen erforscht er auch Beeinträchtigungen des Denkens und Erinnerns sowie der emotionalen Verarbeitung bei Patienten, die eine Schädigung des Gehirns erlitten haben.

Neben ihrer Grundlagenforschung arbeiten Georg Kerkhoff und sein Team in der Lehr- und Forschungsambulanz daran, neue Diagnostik- und Therapieverfahren für hirngeschädigte Patienten zu entwickeln. Die Leitung der Ambulanz teilt sich der Wissenschaftler mit der Diplom-Psychologin Caroline Kuhn. Auch sie ist Klinische Neuropsychologin, darüber hinaus approbierte Verhaltenstherapeutin. Sie hat sich auf die Psychotherapie von hirngeschädigten Patienten spezialisiert und behandelt dabei insbesondere Patienten mit multipler Sklerose und mit Wesensveränderungen nach Hirnschädigung.

Ihr offizielles Label als Neuropsychologische Universitätsambulanz erhielt die Einrichtung im Februar vergangenen Jahres, obwohl sie bereits seit 2006 im kleinen Rahmen arbeitet. „Seit dem ersten Januar 2013 übernehmen die gesetzlichen Krankenversicherungen die Kosten für ambulante neuropsychologische Diagnostik und Therapien, wenn eine neurologische Erkrankung vorliegt. Patienten nach einem Schlaganfall, Kopfverletzungen oder Hirntumoroperationen können sich nach ihrer Entlassung aus der Akut- oder Rehabilitationsklinik in unserer Universitätsambulanz vorstellen“, erklärt Georg Kerkhoff. „Solche Patienten sind oft noch viele Jahre nach der stationären Reha durch die Auswirkungen der Hirnschädigung beeinträchtigt. Eine ambulante Nachversorgung ist dann dringend notwendig, um die Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen oder die Selbstständigkeit des Patienten zu erhalten.“

Gerade im Saarland gibt es wegen der Überalterung der Bevölkerung vergleichsweise viele Patienten mit Schlaganfällen, Hirnblutungen und anderen Hirnerkrankungen. Für die Versorgung dieser neurologischen Patienten reiche gegenwärtig das regionale Angebot nicht aus, denn die Uni-Ambulanz und eine niedergelassene Praxis seien die einzigen ambulanten Therapieangebote im Saarland, weiß Kerkhoff „Als Lehr- und Forschungsambulanz haben wir zwar keinen Versorgungsauftrag – das heißt, wir müssen nicht jeden Patienten aufnehmen –, aber die Nachfrage ist riesig.“ Die kommt inzwischen auch immer mehr von Eltern, deren Kinder Entwicklungsstörungen, Probleme beim Rechnen oder Aufmerksamkeitsschwächen zeigen. Derzeit betreuen Georg Kerkhoff und sein Team etwa 30 bis 40 Patienten, im Durchschnitt eineinhalb bis zwei Jahre lang. Dabei behandeln die Neuropsychologen nicht nur die Störungen, sondern unterstützen die Patienten auch bei der Reintegration in den Beruf oder ins alltägliche Leben zuhause. Darüber hinaus helfen sie, sozialmedizinische Fragen zu klären, Hilfsmittel zu organisieren oder – auf Wunsch des Patienten – mit Angehörigen oder Vorgesetzten zu sprechen. Im Bedarfsfall werden die neuropsychologischen Patienten auch psychotherapeutisch unterstützt.

Viel Zeit und Energie verwenden die Wissenschaftler vor allem darauf, unterschiedliche Behandlungsverfahren auf ihre Wirksamkeit zu testen. Beim Neglect-Syndrom erwiesen sich beispielsweise so genannte Bottom-up-Verfahren am effektivsten. Dabei wird das Gehirn des Patienten durch leichte elektrische Reize oder visuelle Bewegungsstimuli dazu angeregt, die Aufmerksamkeit unwillkürlich auf die vernachlässigte Seite zu richten. „Die Ergebnisse unserer Therapiestudien kommen einerseits dem Patienten zugute, andererseits ermöglichen sie uns die anwendungsorientierte Lehre“, so Kerkhoff. „Unsere Studenten lernen also Untersuchungsmethoden und Behandlungsverfahren nicht nur aus Büchern kennen, sondern unmittelbar am Patienten.“ Gerade diese Praxisnähe des Fachs qualifiziere die angehenden Klinischen Neuropsychologen schon frühzeitig für den klinischen Arbeitsmarkt.

Link zur Ambulanz:
www.uni-saarland.de/lehrstuhl/kerkhoff/neuropsychologische-lehr-und-forschungsambulanz.html

Fotos von Prof. Georg Kerkhoff und Caroline Kuhn können Sie unter folgendem Link herunterladen: www.uni-saarland.de/pressefotos

Kontakt:
Prof. Dr. Georg Kerkhoff
Akad. Rätin Caroline Kuhn
Tel.: 0681 302-57381
E-Mail: c.kuhn@mx.uni-saarland.de

Hinweis für Hörfunk-Journalisten: Sie können Telefoninterviews in Studioqualität mit Wissenschaftlern der Universität des Saarlandes führen, über Rundfunk-Codec (IP-Verbindung mit Direktanwahl oder über ARD-Sternpunkt 106813020001). Interviewwünsche bitte an die Pressestelle (0681 302-4582) richten.

Quelle: idw




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