Neue Krankheiten: Sind zwei Wochen Trauer schon eine Depression?

Es erscheint in wenigen Tagen und sorgt bereits weltweit für Aufregung: Das DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders), auch Bibel der Psychiatrie genannt, ist ein Handbuch zur Diagnose psychischer Störungen. 14 Jahre lang haben Hunderte von Fachleuten aus 19 Ländern definiert, wo normales Verhalten aufhört und psychische Störungen beginnen.

"Das Standardwerk hat auch großen Einfluss auf die Forschung und Behandlung in Deutschland", sagt Professor Wolfgang Lutz, Leiter der Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Trier. Das ICD (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems), ein System für Diagnosen der Weltgesundheitsorganisation, orientiere sich daran.

Der DSM-Herausgeber, die American Psychiatric Association, wird gescholten. Kritiker fürchten, dass die Grenze zwischen gesund und krank gefährlich nah an normales Verhalten heranrückt. Alltägliche Probleme des Lebens würden zu Krankheiten abgestempelt. Etwa Trauer: Wer sich nach dem Tod eines geliebten Menschen antriebslos fühlt, apathisch ist und schwer aus dem Bett kommt, würde laut neuem Handbuch bereits nach zwei Wochen eine Depression bescheinigt und gegebenenfalls Medikamente bekommen. Vorher lag die Grenze bei zwei Monaten.
"Ein normaler Trauerprozess wird als Krankheit eingestuft", sagt Alexander Marcus, Chef der Kinder- und Jugendpsychiatrie im Trierer Mutterhaus. Stefan Hofmann, Psychologie-Professor an der Boston Universität und zurzeit Gast an der Uni Trier, war an einer DSM-5-Arbeitsgruppe beteiligt. Er meint, die Diskussion zeige auch die Schwierigkeit der Diagnose psychischer Erkrankungen. "Wir haben den Luxus von Laborwerten nicht. Diagnosen basieren lediglich auf dem, was der Behandler fragt und der Patient sagt", erklärt Hofmann.

Streit um neue Bibel der Psychologen - Wie ein neues Diagnose-Handbuch Gesunde zu psychisch Kranken machen könnte


Diagnose einer psychischen Erkrankung wird angeblich zu schnell und zu häufig gestellt. Foto: Arno Burgi/Symbolbild

 




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