Nervenkitzel: Die Suche nach dem Kick

Was macht ein Abenteuer aus? Und warum können manche Menschen nicht genug davon bekommen, während andere es meiden? Ein Gespräch mit Marcus Roth, Professor für Differentielle Psychologie an der Universität Duisburg-Essen.

Warum suchen Menschen das Abenteuer?

Prof. Marcus Roth: In der Psychologie sprechen wir vom Merkmal „Sensation Seeking“, das Bedürfnis nach Stimulation durch neuartige und abwechslungsreiche Erfahrungen. Dieser Wunsch ist bei den Menschen ungleich stark ausgeprägt. Sie unterscheiden sich darin, wie sehr sie den Zustand des Angespanntseins als angenehm wahrnehmen. Das ist vergleichbar mit der Zimmertemperatur. Da empfinden Menschen es auch unterschiedlich, welche Temperatur für sie ideal ist.

Wovon hängt das ab?

Roth: Das hängt zum größten Teil von der genetischen Disposition ab. Das hat etwas mit dem Neurotransmitterhaushalt, dem Hormonhaushalt zu tun, aber auch, wie Menschen aufgewachsen sind, ob Eltern zum Beispiel besonders ängstlich waren.

Ist es auch eine Frage des Alters, des Geschlechts?

Roth: Alle Studien, die es dazu gibt, zeigen eindeutig Alters- und Geschlechtsunterschiede. Männer weisen leicht höhere Werte auf als Frauen. Wobei diese Unterschiede vergleichsweise klein sind. Am stärksten ist der Wunsch nach dem Nervenkitzel in der Jugend, danach nimmt er kontinuierlich ab. Das macht ja Sinn, dass man als Jugendlicher ein stärkeres Bedürfnis nach neuen und intensiven Erlebnissen hat, weil man die Umwelt erkunden muss.

Ab wann ist etwas ein Abenteuer?

Roth: Wenn der Mensch bei dem Erlebnis angespannt ist und merkt, er hat ein positives Gefühl dabei. Wie es zu erreichen ist, ist sehr unterschiedlich. Das kann durch Extremsport sein. Aber auch Schachspieler haben dieses Gefühl. Was eine Person für Mittel wählt, um das Gefühl des Nervenkitzels zu erreichen, das ist sehr davon abhängig, wie die Gesellschaft ihn geprägt hat.

Wie erlebt ein Mensch das Sensation-Seeking-Gefühl?

Roth: Er verspürt eine körperliche Anspannung, wie sie sich etwa in einem höheren Herzschlag äußert. Das Besondere ist, dass er dies als angenehm empfindet. Der Körper schüttet vermehrt Dopamin aus, der Botenstoff verleiht ihm ein Glücksgefühl. Das passiert immer, wenn wir freudig angespannt sind.

Also tun uns Abenteuer gut?

Roth: In einer Gesellschaft braucht man nur wenige Wagemutige. Wenn früher neues Obst entdeckt wurde, war es gut, dass es erst nur wenige probiert haben. Wenn die ganze Gruppe das getan hätte, wäre die Überlebenschance nicht groß gewesen.

Wie messen Sie, ob jemand ein stark ausgeprägter Sensation Seeker ist?

Roth: Wir haben einen neuen Fragebogen entwickelt. Wir wollten weg von den Fragen, was jemand konkret erleben möchte. Auch Briefmarken-Sammeln kann für jemanden, der sich da auskennt, ein sehr anspannendes Gefühl sein. Daher haben wir den Fragebogen so konzipiert, dass er nur noch erfasst, wie angenehm der Zustand des Angespanntseins ist: „Ich spüre gerne, wenn mein Herz klopft.“ Oder: „Ich mag es, in extremen Situationen angespannt zu sein.“

Ohne Risiko geht das aber nicht?

Roth: Wenn man angespannt sein möchte, verbindet man das mit einem Risiko. Bei einem Ladendiebstahl erwartet ein Jugendlicher, dass er entdeckt werden könnte. Ohne diese Erwartung wäre die Tat völlig unspektakulär. Dass er diesen Kick sucht, muss man akzeptieren. Und dann versuchen, ihm Alternativen anzubieten. Wobei das schwierig ist. Klettern ohne Seil ist ja nicht empfehlenswert.

Wann haben Sie denn zuletzt ein Abenteuer erlebt?

Roth: Ich bin kein Sensation Seeker. Ich erlebe in der Regel die Anspannung als nicht so sehr positiv.

Maren Schürmann

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