Nationalstolz: Warum sich die Deutschen selbst nicht mögen

Im Revier ist man stolz auf seine Heimat. Jeder zweite Bürger gibt an, sich stark mit dem Ruhrgebiet verbunden zu fühlen. Auch in Köln ist man gerne Lokalpatriot. Bei jedem Heimspiel im Müngersdorfer Stadion empfängt der Stadionsprecher alle Kölner und ihre Gäste mit dem Satz: „Willkommen in der schönsten Stadt Deutschlands“.

Frauen Fussball WM 2011 in Deutschland

Foto: picture alliance / Stefan Matzke/sampics
Frauenfußball-WM 2011: Deutsch sein kann doch so schön sein

Doch mit dem Deutschsein tut man sich hierzulande schwer. „Im Vergleich mit anderen Ländern ist die nationale Identität in Deutschland am schwächsten. Das hat nicht nur unsere Studie gezeigt, auch bei anderen Untersuchungen ist Deutschland immer das Schlusslicht“, sagt Ulrich Schmidt-Denter, Professor für Psychologie an der Universität zu Köln.

Er hat das Deutschsein genau untersucht und wollte nicht nur herausfinden, wie wir uns selbst sehen, sondern auch, wie unsere Nachbarländer Dänemark, Polen, Tschechien, Österreich, die Schweiz, Frankreich, Belgien, Luxemburg und die Niederlande über uns denken.

Zehn Jahre Forschung

Insgesamt 6122 Jugendliche und ihre Eltern wurden von Schmidt-Denter und seinem Team befragt. Und das nahm viel Zeit in Anspruch. Zehn Jahre dauerte es, all die Menschen zu interviewen, ihre Antworten auszuwerten und eine Analyse zu schreiben. Doch jetzt liegen die Ergebnisse vor.



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      Die Deutschen sind fremdenfreundlich und sehr selbstkritisch. In keinem anderen Land finden fremdenfreundliche Statements so viel Zustimmung wie in Deutschland. Europaweit belegt das Land einen unangefochtenen Spitzenplatz. Gleichzeitig mögen sich die Deutschen nicht besonders gerne. Im Falle einer Wiedergeburt würden sie gerne als Spanier, Brite oder Amerikaner auf die Erde kommen.

      Ein 18-jähriger Deutscher sagte zum Beispiel: „Ich glaube, ich wäre gerne Brite. Mich fasziniert das Nationalgefühl, was die Briten haben, ich find das oft ulkig, aber auch echt interessant.“

      Während unsere Nachbarn in den Fragebögen ganz selbstbewusst ankreuzten „Ich finde mein eigenes Land sehr sympathisch“, wie es die Schweizer, Franzosen und Polen taten, so stimmten viele Deutsche der Aussage zu „Ausländer haben viele positive Eigenschaften, die uns Deutschen fehlen“.

      Positiver Effekt der Fußball-WM 2006

      Doch diese etwas traurige Haltung der Deutschen sich selbst gegenüber war in den zehn Jahren der Untersuchung nicht beständig. Denn als glücklicher Zufall fiel die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in den Forschungszeitraum und das globale Sportfest eignete sich für die Psychologen hervorragend als Gegenstand der Untersuchung zur „nationalen Identität“.

      Schmidt-Denter und sein Team hatten bereits vor der Weltmeisterschaft einen Großteil der Befragungen in Deutschland und den Nachbarstaaten abgeschlossen und stellten ein Jahr nach dem Fußball-Ereignis einer vergleichbaren Gruppe dieselben Fragen.

      Der Effekt der Weltmeisterschaft ließ sich eindeutig feststellen: „Das Großereignis hat Deutsche und Ausländer zusammengeführt“, sagt Schmidt-Denter. „Es hat auf der einen Seite den Nationalstolz der Deutschen gestärkt und zudem ihre Toleranz und Fremdenfreundlichkeit vergrößert. Viele denken ja, dass das eine das andere ausschließt, aber das Gegenteil war hier der Fall.“

      Patriotismus tue gut, weil es die eigene Identität stärke und Selbstsicherheit vermittle. So könne man auch Fremden gegenüber offener sein.

      "So was hab ich noch nie erlebt"

      Nach Meinung des Kölner Psychologen ist solch ein großes Fest ein gutes Mittel zur Integration, denn es fördert die Gemeinsamkeiten. „Im Vorhinein dachten viele, die starke Rivalität zwischen den Ländern, die ein internationales Turnier mit sich bringt, könnte zu Aggressionen zwischen den Fans führen, aber das Gegenteil ist eingetreten. Im Vordergrund stand das gemeinsame Feiern.“

      Eine überwältigende Mehrheit von 85 Prozent gab an, mit der deutschen Nationalmannschaft mitgefiebert zu haben. Jugendliche mit und ohne Migrationhintergrund haben das gleichermaßen so erlebt. Ein 17-jähriger Türke sagte im Interview: „Da waren ja auch manche überrascht, dass die Ausländer auch alle so voll für die Deutschen waren. Ja, bei mir war das auch, dass ich mein deutsches Trikot angezogen hab und mit den Deutschen gefeiert hab.“

      Eine 17-jährige Deutsche erzählte ebenfalls völlig begeistert von ihren Eindrücken: „Also die Stimmung in Deutschland war richtig großartig, so was hab ich noch nie erlebt, also überall, also es war wirklich das erste Mal, dass ich gemerkt hab, dass die Deutschen stolz auf sich sind.“

      Anhand der vielen Aussagen konnte Schmidt-Denter eindeutig feststellen, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund sich nach der WM plötzlich besser mit Deutschland identifizieren konnten. Dies hat einen simplen Grund: „Wenn die Deutschen gerne deutsch sind und es als etwas Positives empfinden, ist es für Ausländer auch viel leichter, sich mit Deutschland zu identifizieren. Wir sprechen oft davon, dass sich gerade Türken zu wenig integrieren, aber das ist auch nachvollziehbar. Sie kommen aus einem Kulturkreis, wo es selbstverständlich ist, auf sein Land und sein Volk stolz zu sein. Wenn bei den Deutschen Nationalstolz nicht geschätzt wird, dann ist es nicht attraktiv für Ausländer ,deutsch’ sein zu wollen.“

      Rückfall in Nationalismus befürchtet

      Es klingt fast so einfach wie der Rat, den Single-Berater ihren Kunden geben: Man kann nur von anderen geliebt werden, wenn man sich selbst liebt. Doch warum fällt es vielen Deutschen so verdammt schwer, sich selbst zu mögen?

      „Die Deutschen meinen, sie müssten immer selbstkritisch sein, um den Rückfall in den Nationalismus zu verhindern. Das liegt auch an der Art, wie in der Schule Geschichte unterrichtet wird“, sagt Schmidt-Denter.

      „Es wird sehr emotional übers Dritte Reich berichtet. Häufig werden gerade die Schicksale der Juden stark emotionalisiert. Das spricht vor allem Mädchen an.“ Genau das spiegeln auch die Antworten deutscher Mädchen wider. Im Vergleich zu Jungen ist ihr Gefühl von nationaler Identität viel schwächer. „Die Antipathie gegenüber dem Eigenen wächst und das ist nicht gut. Da verfehlt die Pädagogik ihr Ziel.“

      Nachkriegszeit unterbewertet

      Die zwölf Jahre, die das Dritte Reich gedauert habe, werden im Unterricht immer wieder durchgekaut, sagt Schmidt-Denter. Und dabei komme die Nachkriegszeit viel zu kurz. Doch da gäbe es auch viel Positives über Deutschland zu berichten.

      Ihn wundert es nicht, dass viele junge Migranten ein eher negatives Bild von Deutschland hätten, wenn es ihnen im Unterricht so vermittelt werde. „Ihr heutiges Bild von Deutschland wird durch die starke Fokussierung auf Judenhass und den Zweiten Weltkrieg negativ emotionalisiert. Erwachsene Migranten, die hier nicht in die Schule gegangen sind, haben einen viel positiveren Blick auf Deutschland.“

      Und nicht nur die. Auch unsere Nachbarn blicken durchaus wohlwollend auf das Stück Land zwischen Nord- und Ostsee und den Alpen. Bei den beliebtesten Ländern unter allen Jugendlichen belegt Deutschland Platz fünf und bei den Eltern Platz sechs.

      Besonders beliebt sind wir bei unseren französischen Nachbarn. So lautet zumindest das Ergebnis einer weltweiten BBC-Umfrage, an der sich 30.000 Menschen aus 28 Nationen beteiligten. 84 Prozent der Franzosen bewerteten Deutschland positiv – kein anderes Land hat uns weltweit so lieb.

      Guter und einem schlechter Nationalstolz

      Von Frankreich können wir außerdem lernen, inwiefern folgender Satz tatsächlich zutrifft: Man kann nur von anderen geliebt werden, wenn man sich selbst liebt. Die Franzosen lieben sich nämlich selbst, haben also einen ausgeprägten Nationalstolz, wie die Auswertungen von Schmidt-Denter zeigen, und belegen gleichzeitig Platz eins bei den Sympathiewerten anderer Länder.

      Schmidt-Denter unterscheidet zwischen einem guten und einem schlechten Nationalstolz. Man müsse zwischen Patriotismus und Nationalismus differenzieren.

      „Beim Patriotismus steht die Bindung an das „Eigene“ im Vordergrund und kann mit großer Offenheit gegenüber dem Fremden einhergehen. Beim Nationalismus zählt nur das eigene Land und alles Fremde wird abgewertet. Das ist schlecht.“

      Typisch deutsch ist allein die Tatsache, dass sich ein Forscher zehn Jahre mit dem Deutschsein auseinandersetzt, denn wie Friedrich Nietzsche sagte: „Es kennzeichnet die Deutschen, dass bei ihnen die Frage ‚Was ist deutsch’ nie ausstirbt“.

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