Nach Vandalismus-Serie in Kassel: Woher kommt dieser Hass?

Frau Professor Möller, zuletzt kam es vermehrt zu Schäden durch Vandalismus. Warum tun Menschen das?

Prof. Heidi Möller: Das sind oft Menschen, die emotional wenig mit anderem verbunden sind und haltende Beziehungen, Wertschätzung und Nähe selten erfahren haben. Das sind auch Menschen, die wenig Sinnvolles in ihrem Leben finden. Sie haben nicht das Gefühl, dass sie ihr Leben gestalten können. Sie spüren deshalb keinen Eigenwert, empfinden die Welt als ungerecht und sehen sich als Opfer.

Und diese Situation schlägt dann in Zerstörung um?

Möller: Es entwickelt sich langsam ein ohnmächtiger Hass auf alles, auf Menschen und Dinge. Wenn ich mit nichts emotional verbunden bin, dann schätze ich nicht nur mich selbst nicht wert, sondern auch nicht die Dinge und Menschen, die mich umgeben.

Die Zerstörungskraft, die sie in sich tragen, können sie nicht regulieren und konstruktiv nutzen. Diese äußert sich dann in Zerstörungswut.

Mit welchem Ziel?

Möller: Durch solche Aktionen verschaffen sie sich Gehör, weil sie das Gefühl haben, dass sie die Gesellschaft nicht verstehen und umgekehrt. Sie treten dann eine Art Kampf gegen die Welt an - das verschafft ihnen eine innere Entlastung. Die Zerstörung entlastet von inneren Konflikten.

Über was für Menschen reden wir denn konkret, die überwiegend solche Taten begehen?

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Möller: Ich habe ja fünf Jahre im Strafvollzug gearbeitet - und bei Vandalismus handelt es sich um kriminelle Taten. Das ist kein Kavaliersdelikt. Da kann man schon eindeutige, soziale Zusammenhänge erkennen. Da sind häufig bestimmte soziale Gruppen, die zu solchen Taten neigen: Dabei handelt es sich um Menschen, die sagen, ich habe keine sinnvolle Tätigkeit und bekomme keine Anerkennung. Nehmen Sie das Beispiel vom Herkules: Viele Kasseler sind ja mit dem Herkules emotional verbunden - so eine Beziehung zu ihrer Stadt haben die Menschen nicht.

Inwiefern versuchen diese Menschen, Aufmerksamkeit dadurch zu erreichen?

Möller: Es ist ein Erheischen von negativer Aufmerksamkeit. Normalerweise macht man das durch Leistung, wenn das nicht möglich ist, wird man berühmt durch negative Aufmerksamkeit. Die Zerstörung sorgt also für eine Art Bestätigung.

Viele Menschen behaupten ja, dass diese Fälle zugenommen haben und insgesamt die Rücksichtslosigkeit untereinander steigt. Da drängelt sich jemand an der Kasse vor oder nimmt einem die Vorfahrt. Manch ein Buchautor schreibt schon von der „Rüpel-Republik“. Stimmt das?

Möller: Man liest und sieht ja häufig, dass alles schlimmer wird. Das ist objektiv nicht so. Das kann man an der Kriminalstatistik ablesen, wo viele Delikte zurückgehen. Wissenschaftlich ist erwiesen, dass negative Dinge stärker in der Erinnerung bleiben: Ein schlechtes Erlebnis braucht neun positive, um neutralisiert zu werden.

Wenn sie eine unfreundliche Kassiererin im Einkaufsmarkt erleben, müssen sie neun nette treffen, damit sich diese Erfahrung wieder ausgleicht.

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