Montagsinterview mit dem Psychologen Gerhard Büttner: „In den Ferien geht …

Ein paar Tage noch, dann fangen endlich die Sommerferien an. Alle freuen sich drauf, aber der Moment der Zeugnisbergabe vorher bringt doch viele noch mal zum Zittern?

PROF. BTTNER: Die Sommerferien sind fr Kinder etwas Besonderes, aber die Noten am Jahresende haben eben Konsequenzen auf die Schulwahl, Versetzungen etc. Das ist ein Einschnitt, Anlass fr berraschungen bei den Eltern sollte das Zeugnis aber nicht sein. Sie sollten das Geschehen in der Schule das ganze Jahr ber verfolgen und wissen, was auf sie zukommt.

Dann msste sich kein Kind frchten, zu Hause sein Zeugnis auf den Tisch zu legen. Wie starten denn Familien gut in die Ferien?

PROF. BTTNER: Egal, wie die Noten ausgefallen sind, Ferien sind ein bedeutsamer Teil der Schulzeit, die Kinder brauchen diese Erholung. Zumal diesmal in Hessen die Zeit zwischen den Oster- und Sommerferien enorm lang war. . .

Es waren 15 Wochen Schulzeit. Ist das zu lang?

PROF. BTTNER: Ja. Ich lebe in Bayern, da ist der Rhythmus gleichmiger bers Jahr verteilt. Ich empfand das fr meinen Sohn und die ganze Familie als wohltuend.

Umso wichtiger ist fr kleine Hessen jetzt Erholung?

PROF. BTTNER: Ja, es wre fatal, wenn man die Ferien nur dafr verwenden wrde, um etwas nachzuholen, was im Laufe des Schuljahres versumt wurde.

Sie raten also ab von Summerschool und Nachhilfe?

PROF. BTTNER: Ich wrde zumindest nicht die ganzen Ferien dafr nutzen. Wenigstens in den ersten Wochen sollte man der Erholung den Vorrang geben. Alles sacken lassen, Abstand gewinnen. Zum Ende hin kann man sich wieder annhern an den Schulalltag, den Rhythmus umstellen, sich langsam vorbereiten.

Eltern sollten also in den Ferien nicht zu Lehrern mutieren?

PROF. BTTNER: Man sollte nicht erwarten, dass man in den Ferien alles nachholen kann, wenn man 48 Wochen in der Schule nicht nutzen konnte. Mit Nachhilfe kann man untersttzen, aber nicht alles korrigieren. Wenn etwas gar nicht funktioniert, muss man sich eher eine andere Schule suchen.

Man kann also in den Ferien nicht allzu viel Schulwissen dazu lernen. Aber Studien zeigen, dass man enorm viel davon vergessen kann.

PROF. BTTNER: Es ist noch viel schlimmer. Wir wissen, das nicht nur das Wissen abnimmt, sondern dass in den Sommerferien auch Intelligenz verloren geht. Das Phnomen kennen wir auch von Studenten.

Das spricht nicht fr die groen Ferien.

PROF. BTTNER: In der Regel ist das Wissen ja nicht vllig verloren, es kann schnell wieder aktiviert werden.

Also die Kinder vergessen das Gelernte nicht so, als htten sie noch nie davon gehrt?

BTTNER: Wir unterscheiden verschiedene Tiefen des Vergessens. Sie knnen sich das vorstellen wie eine Bibliothek: Da gibt es viele Bcher, auf die sie zugreifen, wenn ein Thema gefragt ist. Darunter sind Bcher, die sie gerade nicht finden. Das heit ja nicht, dass das Buch, also das Wissen, nicht da ist. Es ist fr sie nur momentan nicht verfgbar, weil sie den Weg dorthin nicht kennen. Wenn man mit den Kindern ber Themen spricht, ist das alte Wissen sehr viel schneller wieder aktiviert als wenn sie noch nie davon gehrt htten.

Das heit, Sie wrden sich nicht hinter diejenigen stellen, die Sommerferien fr zu lang, fr Kinder langweilig und frs Lernen hinderlich ansehen?

PROF. BTTNER: Nein, das sehe ich nicht so. Weil die Ferien eben Zeit bieten, auch mal ganz andere Sachen als im Alltag zu tun. Fr den familiren Zusammenhalt ist das wichtig. Man kann mit den Kindern Dinge erleben, die in der Schule so nicht vermittelt werden. Reisen, ins Museum gehen, raus in die Natur. . .

Oder man kann einfach mal faul sein?

PROF. BTTNER: Das sollte man den Kindern unbedingt erlauben. Dass sie mal ausschlafen, chillen, wie sie heute sagen. Man sollte die Schule nicht im Privaten weiterfhren, also alles durchtakten.

Etliche Frankfurter Kinder und Eltern blicken mit Sorge auf das nchste Schuljahr, weil es fr sie auf einer Schule beginnen wird, die sie sich nicht ausgesucht haben. Rund 500 Frankfurter Kinder haben keinen Platz auf einem Wunschgymnasium bekommen. Wie kann man ihnen nun die Sorgen nehmen?

PROF. BTTNER: Das ist eine unschne Situation, wenn man nicht in die Schule, nicht in die Klasse kommt, in die man mchte. Aber Erfahrungen zeigen, dass sich Kinder relativ gut darin einfinden. Weil sie neue Freunde finden, im Kollegium sicher Lehrer haben, die ihnen zusagen. Es gibt nicht selten das Phnomen, dass Kinder, denen man ein Vierteljahr spter den Wechsel anbietet, das dann gar nicht mehr wollen.

Eine Folge der aktuellen Platzknappheit sind lange Schulwege. Klauen wir unseren Kindern Zeit?

PROF. BTTNER: Ja. Aber auf der anderen Seite ist das so. Fr Kinder, die auf dem Land leben, ist ein langer Schulweg ganz normal. Das gehrt zum Leben, es ist nicht immer ein Wunschkonzert.

Also sollten Eltern und Kinder der Schule erst mal eine Chance geben?

PROF. BTTNER: Aus der Psychologie wissen wir: Was man nicht ndern kann, mit dem sollte man sich anfreunden. Das heit nicht, dass man nicht erstmal versuchen sollte, die Dinge zu ndern. Das haben die Eltern ja auch getan. Aber nun ist ein guter Rat, es einfach zu probieren. In vielen Fllen wird man feststellen, dass alles gar nicht so schlimm ist. Aber es wird auch Flle geben, wo eine nderung unvermeidlich ist.

Das ist sicher eine Sorge der Eltern. Sie frchten, dass ihren Kindern die Schulzeit unntig schwer gemacht wird.

PROF. BTTNER: Ich glaube, Eltern machen sich am Anfang mehr Sorgen, als am Ende gerechtfertigt ist. Kinder sind durchaus robust.

Manche aber sind viel sensibler als sie ihrem Umfeld verraten. Der Freitod eines elfjhrigen Mdchens in Kranichstein hat das gerade auf tragische Weise vor Augen gefhrt. Sie soll Probleme in der Schule gehabt haben. Ist das ein Einzelfall?

PROF. BTTNER: In dieser krassen Form ist es wirklich selten, zumal das Mdchen so jung war. Das heit aber nicht, dass nicht auch andere unter Hnseleien, unter Mobbing leiden.

Ist das noch viel schlimmer als schlechte Noten?

PROF. BTTNER: Was anders ist als frher ist die Dimension. Durch die virtuellen Mglichkeiten bleiben die Gemeinheiten nicht mehr in der Schule. Schlimm waren Hnseleien und hnliches fr Kinder schon immer, aber heute erfahren alle davon; im Prinzip die ganze Welt. Und vergessen wird das dann nie mehr. Aber das Problem ist nicht allein der Schule anzulasten. Mobbing kann auch im Sportverein passieren, im Jugendzentrum, in der Nachbarschaft. Aber Lehrer und Eltern sollten sich dessen bewusst sein, das da eine reale Gefahr ist. Sollten wissen, wie sie reagieren, woran sie solche Flle erkennen.

Woran erkennen denn Eltern, wenn ihre Kinder in schweren Krisen stecken? Es gibt doch sicher Anzeichen?

PROF. BTTNER: Das kommt aufs Alter an. Bei Kindern im Grundschulalter sollten Eltern genauer hinschauen, wenn Sohn oder Tochter sich pltzlich sehr verschlossen geben, nicht mehr am Familienleben teilnehmen, ihr Verhalten auffllig ndern. Bei 15-, 16-Jhrigen, die ohnehin dazu neigen, sich zurckzuziehen, zu Hause nicht mehr viel zu reden, ist es deutlich schwieriger, Anzeichen zu erkennen.

Aber gerade in diesem Jugendalter lauern in der Regel die Gefahren. Auf der anderen Seite verlieren Vter und Mtter in dieser Phase an Einfluss, die Freunde, die Peergroup, bernehmen. Wie bleiben Eltern dennoch dran?

PROF. BTTNER: Sie knnen nicht gegen die Peergroup an, es bringt wenig, den Freundeskreis der Kinder rundweg abzulehnen. Auf keinen Fall sollten Eltern in dieser Phase den Kontakt zu den Kindern aufgeben, sondern vielmehr mitgestalten, dass sich die Beziehung zu ihnen ndert.

An welchem Punkt kommen denn Eltern und Kinder in Ihre Beratungsstelle?

PROF. BTTNER: Mainkind ist eine Beratungsstelle fr Lernschwierigkeiten, fr Aufmerksamkeitsschwierigkeiten und fr Hochbegabung. Fr psychosomatische Flle haben wir weniger Expertise, diese Kinder vermitteln wir weiter.

Es heit immer, die Zahl der Kinder mit Lernschwierigkeiten nehme zu. Besttigt sich das in ihrer Praxis?

PROF. BTTNER: Ja.

Und die Zahl der Hochbegabten, steigt die auch?

PROF. BTTNER: In der Gesamtbevlkerung gibt es zwei bis drei Prozent Hochbegabte. Die meisten Kinder, die hier vorgestellt werden, sind nicht hochbegabt. Das sind sehr kluge Kinder, von denen die Eltern wollen, dass sie hochbegabt sind.

Die Erwartungen ihrer Eltern knnen fr Kinder eine echte Brde sein?

PROF. BTTNER: Auf der einen Seite ist es positiv, wenn man sich selbst und wenn einem andere etwas mehr zutrauen als man bislang kann. Denn wir haben alle ein Entwicklungspotenzial und das wird dadurch gefordert. Aber wenn Eltern weit ber das Potenzial ihrer Kinder hinausgehen, dann wird es zur Belastung. Das kann sich sehr schdlich auswirken.


Zur Person: Pendler – zum Wohle des eigenen Sohnes

Seit 2003 arbeitet Gerhard Bttner, Professor fr Pdagogische Psychologie, an der Goethe-Uni. Er lehrt und forscht vor allem zum Schwerpunkt selbstreguliertes Lernen, Lernfrderung, die Entwicklung

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