Mit sechs Jahren wird Ingo zu Inga – Kölner Stadt

Schon als sie ganz klein war, hat Inga* gemerkt, dass etwas bei ihr anders ist. „Ich wusste nicht, was los ist“, erzählt das Mädchen, das vor 13 Jahren als ein Junge namens Ingo zur Welt kam. „Ich habe auch mit Autos gespielt, aber bei mir haben sich die Autos verliebt und geheiratet.“ Inga ist transsexuell und sagt von sich: „Ich habe mich immer schon als Mädchen gefühlt.“

Im Kindergarten gehörte sie noch zur Gruppe der Jungs, erzählt die Berliner Gymnasiastin. „Mit sechs in der ersten Klasse habe ich gesagt, dass mich alle Inga nennen sollen.“ Freunde und Lehrer wussten da schon Bescheid. „Die Lehrer haben mich das erste Jahr mit meinem Jungennamen angesprochen, aber ich bin auf die Mädchentoilette gegangen und habe mich mit den Mädchen umgezogen.“ Inga wurde mit kurzen Haaren eingeschult, heute fallen sie lang und glatt. Niemand, der sie so sieht, käme auf die Idee, dass sie kein Mädchen ist.

Es geht um Identität

„Vom Wesen her war sie sehr weich, sehr zart“, erinnert sich Mutter Christiane*. „Ich dachte erst: Na gut, ein Softie.“ Sie hielt ihren Ingo für einen zurückhaltenden Jungen. Doch je weiblicher das Verhalten ihres Kindes wurde, umso ungehaltener wurde sie: „Ich habe gesagt: „Guck mal, wie die anderen Jungen das machen, warum machst du das nicht auch so?““ Dann fing Christiane an, ihren Sohn als Mädchen zu sehen und stellte fest: Das passt. „Aber ich dachte trotzdem nicht, dass mein Kind transsexuell ist.“

Korrekter ist heutzutage der Begriff Transidentität, erklärt Sandra Wißgott vom Verein Trans-Ident in Wolframs-Eschenbach. „Denn die Sexualität ist nur ein Aspekt von vielen, es geht aber vor allem um Identität.“ Dass der Körper nicht zum eigenen Gefühl passt, merkten die meisten schon in der frühen Kindheit, im Grundschulalter, spätestens aber mit Einsetzen der Pubertät. „Da ist das Empfinden sehr stabil und ändert sich nur noch selten.“

Geschlechtsangleichende Operation

Ein in der Öffentlichkeit bekanntes Mädchen ist die deutsche Sängerin Kim Petras, die als Tim zur Welt kam. Auch sie sagt: „Ich habe mich schon immer wie ein Mädchen gefühlt.“ Allerdings hätten ihre Eltern sie anders behandelt als die Geschwister. Bereits mit 16 Jahren lässt sie eine geschlechtsangleichende Operation machen - eine kleine Sensation in diesem Alter. „Natürlich hatte ich Angst vor den Schmerzen“, sagt Kim heute. „Aber hauptsächlich war ich erleichtert, dass ich die Operation überhaupt bekam.“

Diesen Schritt hat auch Inga fest eingeplant - wenn sie 18 Jahre alt ist. „Ich möchte mich als Frau entwickeln. Das gehört für mich dazu“, sagt sie selbstbewusst. Inga nimmt bereits Medikamente, die das Testosteron unterdrücken, damit zum Beispiel der Stimmbruch nicht einsetzt. Bald kommen weibliche Hormone.

Ein Gericht muss entscheiden

Die gesetzliche Altersgrenze von 18 Jahren für die Operation habe das Bundesverfassungsgericht vor einigen Jahren gekippt, erläutert der Rechtsanwalt Rudolf Ratzel aus München. Theoretisch darf auch eine 15-Jährige eine Geschlechtsangleichung vornehmen lassen. Praktisch komme das aber nie vor. So gut wie alle Transsexuellen lassen sich erst operieren, wenn sie volljährig sind.

Zwei Gutachten müssten die Notwendigkeit des Eingriffs bestätigen, und dann müsse ein Gericht darüber entscheiden, erklärt Ratzel, der auch Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht beim Deutschen Anwaltverein (DAV) ist. Dabei geht es um die Frage: Ist der Betroffene wirklich transsexuell? Wenn ja, zahlt die gesetzliche Krankenversicherung die Operation.

Angst, zum Außenseiter zu werden

Die Medizin habe große Fortschritte gemacht, sagt Sandra Wißgott. „Die Geschlechtsangleichung ist ein relativ sicherer Weg, wenn sonst keine Erkrankungen da sind.“ Je jünger der Mensch aber sei, desto genauer würden Ärzte in die Begutachtung einsteigen. Außerdem sei es leichter, aus einem Mann eine Frau zu machen als andersherum.

Der Leidensdruck der Kinder wächst meist, je länger sie im falschen Körper heranwachsen. „In der Pubertät, wenn sich die Geschlechtsteile verstärken, schämen sich die Mädchen für ihre Brüste und binden sich zum Beispiel ein Handtuch um den Oberkörper“, erzählt Wißgott. Und auch die Jungs hätten es schwer, wenn sie sich nicht typisch männlich verhalten. „Ein Junge wird dann einfach als 'schwul' bezeichnet, über so ein Schimpfwort denkt niemand nach.“ Dadurch entstehe Angst, zum Außenseiter zu werden, nicht anerkannt zu sein.

Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen

Die Jungs aus ihrer Klasse wüssten, dass sie transsexuell ist, erzählt Inga. Und klar interessiere sie sich für Jungs, sagt sie und wird dabei etwas rot. „Ich gehe auf die Leute zu und sage es ihnen ganz offen. Die finden das meist gar nicht schlimm und behandeln mich deswegen nicht anders.“

Es sei wichtig, dass Kinder Vertrauen zu ihren Eltern hätten und offen sprechen könnten, sagt Wißgott. „Aber Eltern haben schnell Angst, dass sie in der Erziehung versagt haben.“ Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen können professionelle Hilfe leisten. Inga und ihre Mutter Christiane sind zum Beispiel im Netzwerk Trans-Kind-Netz, über das Inga ein anderes Transmädchen in ihrem Alter kennengelernt hat - heute sind beide beste Freundinnen. Inga wünscht sich vor allem, dass Menschen wie ihnen Glauben geschenkt wird. „Wenn man missverstanden und ungerecht behandelt wird, ist das ein ganz schlimmes Gefühl.“ (dpa)

*Die Namen von Inga und Christiane wurden aus rechtlichen Gründen geändert.

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