Mein Gott, das Wetter – Freitag

Vergangenen September beteiligten sich 10.000 Menschen an der größten Klima-Demonstration, die Berlin je gesehen hat. Weltweit gingen Hunderttausende auf die Straße. Es ist eine stattliche Zahl in Anbetracht eines Themas, das nicht gerade dazu prädestiniert ist, die Aufmerksamkeit der Menschen zu fesseln. Psychologen zufolge lassen sich Menschen nur schwer für Themen mobilisieren, die unsichtbar und ungewiss sind, erst in der Zukunft voll zum Tragen kommen und einem überdies noch Opfer abverlangen. Aber stimmt das wirklich? Gehen nicht jedes Jahr Millionen Menschen in die Kirche, um etwa die Auferstehung Jesu Christi zu feiern? Der Lohn, den sie sich hierfür erwarten können, ist nicht nur ungewiss, sondern entzieht sich gleich völlig der Sphäre dessen, was wir überhaupt wissen können.

So gesehen ist die Frage naheliegend, ob die Klimabewegung nicht einiges von der Religion lernen könnte. Aber damit rührt man an einem Tabu und überschreitet die streng gehütete Grenze zwischen Wissenschaft und Glauben, zwischen liberalem Umweltschutz und konservativer Religion. Klimatologen achten ganz besonders darauf, zur Sprache des Glaubens gebührenden Abstand zu halten. So beschwert sich etwa der wissenschaftliche Chefberater der australischen Regierung, Ian Chubb: „Jeden Tag werde ich gefragt, ob ich an den Klimawandel glaube, dabei ist das doch keine Frage des Glaubens. Es geht um das Verständnis und die Interpretation wissenschaftlicher Erkenntnisse.“

Glaube, ein vergiftetes Wort

Erkenntnisse können allerdings viele Formen annehmen. Untersuchungen zeigen eindeutig, dass wissenschaftliche Daten über den Klimawandel Menschen nicht wachrütteln können. Die Kognitionspsychologie – in den letzten Jahren unterstützt durch das Neuroimaging des Gehirns – liefert jede Menge Belege dafür, dass unser analytischer Verstand die Daten zwar akzeptiert, dass wir aber nur durch emotionale Trigger, die auf unseren Werten und unserem Identitätskern basieren, zum Handeln gezwungen werden.

„Glaube“ ist ein vergiftetes Wort. Diejenigen, die den Klimawandel bestreiten, spotten darüber, wenn sie erklären, die globale Erwärmung sei zu einer „neuen Religion“ geworden. Empirische Wissenschaft mit spiritueller Offenbarung zu vergleichen ist absurd und wertet beides ab. Klimawandel hat nichts mit Glauben zu tun, sehr wohl aber mit Überzeugung. Darüber, was die Menschen vom Klimawandel überzeugt, wissen wir allerdings so gut wie nichts. Wissenschaftler und Aktivistinnen sind stets davon ausgegangen, es würde genügen, ein Buch zu lesen oder sich eine Dokumentation anzusehen. Wenn das Christentum sich bei der Verkündigung des Evangeliums daran orientieren würde, wie Umweltschützer auf den Klimawandel aufmerksam machen, bräuchten die Kirchen nichts weiter als ein paar Bibeln und eine Seite im Internet.

Die Religionen hingegen verstehen sehr gut, dass eine Überzeugung Zeit braucht, um zu reifen. Sie können gar nicht anders. Die Weltreligionen sind die Gewinner des Wettbewerbs unter tausenden spirituellen Angeboten. Sie haben eine Formel gefunden, Menschen zu bewegen, zu inspirieren und zu überzeugen.

Auf unserem Planeten steigen die Temperaturen. Doch die Politik hat darauf immer noch keine Antwort gefunden. Ist der Kimawandel noch zu stoppen? Im dritten Teil unserer Serie steht das Engagement der Bürger im Mittelpunkt

Wenige haben diese Experimente konsequenter durchgeführt als die evangelikalen Prediger, die jeden Tag auf dem Marktplatz der Kulturen um neue Anhänger und Spenderinnen werben. Einer von ihnen ist Joel Hunter, der charismatische Pastor der Northland Church, die in der Rangliste der US-amerikanischen „Megakirchen“ in Sachen Mitgliederzahl immerhin an 30. Stelle steht.

Anders als die meisten seiner Glaubensbrüder predigt Hunter über den Klimawandel, der seiner Meinung nach die göttliche Schöpfung bedroht. Er teilt das mit seinen Zuhörern als eine persönliche „Epiphanie“. Der außergewöhnlich begabte „Menschenfischer“, der sich eine Gemeinde aus über 15.000 Gläubigen aufgebaut hat, willigte mit Begeisterung ein, als ich ihn fragte, ob er bereit wäre, einige grundsätzliche Lehren für die Klimabewegung zu formulieren.

Seiner Meinung nach muss eine Überzeugung vorsichtig genährt werden. Dabei sei es enorm wichtig, eine Community zu haben, die einen auf dem Weg begleitet und unterstützt. Nur in diesem Rahmen sei es den Menschen möglich, ihre Zweifel offen zum Ausdruck zu bringen und sie „gemeinsam zu durchschreiten“. Irgendwann stelle er die Menschen dann vor eine Entscheidung und lade sie ein, sich öffentlich zu engagieren. Wenn die Evangelikalen missionieren, werden die Menschen aufgefordert, vorzutreten, um damit zu zeigen, dass sie die Veränderung in ihrem Leben annehmen – Billy Graham nannte das den „Aufruf“. Die frisch Bekehrten sollten ihr neu gewonnenes Bekenntnis dann im Rahmen ihres praktischen Engagements immer wieder neu gegenüber Ungläubigen bekräftigen, meint Hunter.

Eine Community aufbauen

John Houghton ist methodistischer Laienprediger und war Ko-Vorsitzender bei der Gründung des Intergovernmental Panel on Climate Change. 2002 lud er führende US-amerikanische Evangelikale, von denen die meisten dem Klimawandel mit großer Skepsis gegenüberstanden, ein, sich eine Woche lang mit wissenschaftlichen Studien zum Thema vertraut zu machen. Unter den Teilnehmern befand sich der damals führende Sprecher der National Association of Evangelicals und einflussreiche Repräsentant der christlichen Rechten, Richard Cizik. Zur Bestürzung seiner Gesinnungsfreunde sprach Cizik nach seiner Rückkehr in allen US-Medien von seinem „Damaskuserlebnis“ und seiner „Bekehrung zum Klimawandel“. Wie Houghton zeigt sich auch der Direktor des Grantham Institute for Climate Change, Professor Brian Hoskins, davon überzeugt, dass die wissenschaftliche Information dieses transformative Moment braucht. „Wir bereiten oft das Umfeld, in dem Saulus erleuchtet werden und zu Paulus werden kann.“

Erleuchtung? Bekehrung? Zeugnis? Offenbarung? Diese Begriffe kommen in unseren Diskussionen, wie wir mehr Menschen für den Klimawandel mobilisieren können, nicht vor. Aktivistinnen übernehmen zwar einzelne Komponenten – die Teilnahme an einer Demonstration ist etwa eine Form öffentlichen Engagements –, tun dies aber, ohne das Gesamtpaket zu verstehen. Es gibt immer mehr Blogs und Webseiten, aber wir tun nur wenig, um eine Community aufzubauen, die auch im realen Leben erfahrbar ist. Wir unterhalten uns pausenlos miteinander, aber vermeiden es, über unseren eigenen Tellerrand hinauszublicken.

Weil Umweltschützer so wenig von Überzeugung verstehen, wissen sie auch nicht mit Verzweiflung oder Trauer umzugehen. Zweifel verachten wir und niemand ist da, um sie „gemeinsam zu durchschreiten“. Wir erwarten von den Menschen, dass sie mit ihren Hoffnungen und Ängsten allein klarkommen und geben ihnen nichts an die Hand als ein paar Konsumentscheidungen zur Energieeinsparung und hin und wieder eine Petition. Wir reden auch nicht über Dinge wie Gnade und Vergebung für uns oder unsere Vorfahren. Hunter hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass wir den Menschen eine gewaltige Ladung an Schuld und Verantwortung aufbürden, ohne ihnen einen Ausweg aufzuzeigen. Diesbezüglich haben die Kritiker recht: Der Klimawandel würde eine ziemlich erbärmliche Religion abgeben, die nur Schuld und Angst kennt, während sie von Erlösung und Vergeben nichts weiß.

Unser Verständnis des Klimawandels basiert auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, nicht auf Glauben. Der Glaube, der sich in Kirchen, Moscheen und Tempeln zeigt, basiert auf einem tiefen Verständnis menschlicher Antriebe und Gefühle. Nur wenn wir diese unterschiedlichen Aspekte unserer Psyche zusammenbringen, wird es uns gelingen, etwas zu verändern. Dann können wir jedem, der hören will, sagen: „Ich habe das Wissen vernommen und die Fakten abgewogen. Jetzt bin ich überzeugt. Folge mir.“

George Marshall ist Gründer der britischen Umweltorganisation Climate Outreach Information Network

Übersetzung: Holger Hutt

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