Mein Elefant

Der Elefant ist ein Pessimist. Meint jedenfalls Jonathan Haidt, Psychologie-Professor an der New York University und Autor des lesenswerten Buches "Die Glückshypothese". Mit der Metapher des Elefanten beschreibt Haidt den unbewussten Anteil der menschlichen Psyche: ein kräftiges, argwöhnisches, leicht beleidigtes Wesen, das seinen eigenen Willen hat. Programmiert, sich und seinen Reiter (das Bewusstsein) vor Unheil zu bewahren, konzentriert sich der Elefant auf potenzielle Gefahren: einmal von einer Schlange gebissen oder erschreckt, vermutet er fortan überall Schlangen und Schmerz.

Es bedurfte dieser Erklärung, um einigermaßen zu begreifen, warum mich der neue Billa-Kassier so ärgert. Sobald ich ihn sehe, verkrampft sich mein Inneres und dumpf pocht in mir die Wut. Mit Haidt gesprochen: Mein Elefant scheut und fletscht - metaphorische Dickhäuter können das - die Stoßzähne. Wenn möglich, wechsle ich zur Nebenkassa. Oft ist aber nur eine Kassa offen, denn die Filiale ist klein. Dann zwinge ich den Elefanten zur Räson, grüße nicht und knurre nur, wenn der Kassier mich nach der Billa-Karte fragt. Schnell stopfe ich die Nahrungsmittel in den Sack. Bezahle hastig und stürze aus dem Geschäft.

Das Bild vom Elefanten ist nur ein Teil der Erklärung. Unklar ist immer noch, was das Tier so irritiert. Dass der Kassier Deutscher ist, damit kann ich umgehen. Anders als der Betrunkene unlängst in der U4, der sich auf vulgäre Weise darüber beschwerte, in Wien nur noch deutschdeutsche Sprachfarben wahrzunehmen, bin ich tolerant. Gehe sogar mit einem Mädel aus, das in Dinklage aufgewachsen ist - einer Stadt im Süd-Oldenburger Land, wo die Menschen "Holla, die Waldfee" sagen, wenn sie überrascht werden.

Vermutlich liegt es an der Penetranz der Freundlichkeit. Jeden Kunden begrüßt der Kassier, als wäre er seine Lieblings-Tante. Allein wie er Bitte und Danke sagt und jedem ein schönes Wochenende wünscht! Immer wieder überlegte ich mir, wie ich ihn dazu bringen könnte, sein wahres Gesicht zu zeigen. Einmal stand ich kurz davor, ihn zu beuteln und anzuschreien: "Schluss jetzt mit diesem Mummenschanz!"

Alle Versuche, den Elefanten zu besänftigen, nutzen nichts: Er verblieb in Abwehrhaltung. Offenbar sind ihm grantige Menschen lieber. Wie aber dieser Lage entkommen? Nach Jonathan Haidt gibt es drei Möglichkeiten. Erstens: Drogen. (Kommt für mich nicht in Frage, weil ich beim Einkauf im Kopf klar sein muss.) Zweitens: Kognitive Psychotherapie. (Zu teuer.) Drittens: Meditation. (Zu zeitaufwändig.)

Inzwischen habe ich für mich eine neue Taktik entdeckt: Ich habe den Supermarkt gewechselt. Ist vielleicht bloß Verdrängen. Aber dem Elefanten gefällt’s. Er schnurrt wieder wie ein Kätzchen.

Matthias G. Bernold, geboren 1975, lebt als Journalist in Wien.

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