Sie knibbelt, quetscht, drckt und kratzt - bis es blutet. „Hr doch auf zu knibbeln”. Dieser Satz begleitet Sarah Meyer (Name gendert) schon fast ihr halbes Leben. Aber sie kann nicht aufhren. Das bislang wenig erforschte Verhalten nennt sich Skin Picking.

„Ich fhle nach Unreinheiten, scanne meinen Krper ab und suche, wo ich was kratzen oder drcken kann”, sagt die Studentin aus Nordrhein-Westfalen. „Es sieht hinterher schlimmer aus als vorher. Und man hrt nach einer Stelle ja auch nicht auf.” Angefangen hat alles mit 13 oder 14 Jahren, ganz genau erinnert sie sich nicht.

Skin Picking oder auch Dermatillomanie heit das bisher wenig erforschte Problem. „Wenn das Skin Picking anhaltend ber mehrere Wochen oder Monate besteht und Hautschden sichtbar werden, ist das ein Alarmsignal”, sagt Iris Hauth, Prsidentin der Deutschen Gesellschaft fr Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. Auch wie sehr das Problem den Alltag beeinflusst, spielt eine Rolle: „Viele schmen sich fr die Entzndungen oder die Narben und isolieren sich.”

Skin Picking ist oft ein Ventil. „Bei Stress, bei Anspannung, berforderung, heftigen Emotionen, Wut oder Trauer”, sagt Hauth. Viele kratzen, drcken oder quetschen auch bei Langeweile. Um das Problem angehen zu knnen, mssen Betroffene den Auslser und typische Knibbel-Situationen finden. „Dann kann man versuchen, das gewohnte Verhalten durch weniger schdliche Strategien zu ersetzen.” Das knnen Betroffene auf eigene Faust versuchen.

Dafr mssen sie nur erst einmal wissen, was mit ihnen los ist. Ingrid Bumer wusste das lange Zeit nicht. Schon mit sechs Jahren hat das Skin Picking bei ihr begonnen. Mit Ende 30 hat sie erstmals den Begriff gehrt - weil sie im Internet nach zwanghaftem Knibbeln gesucht hat.

„Mit fast 40 hatte ich dann so viele Wunden, dass ich dachte: „Jetzt muss ich zusehen, dass ich das in den Griff kriege””, sagt die heute 44-Jhrige. Sie wandte sich an eine Selbsthilfegruppe fr Zwnge, fhlte sich aber nicht so gut aufgehoben. Und so grndete sie eine eigene. Seitdem hat Ingrid Bumer das Skin Picking zu 90 Prozent im Griff. Jetzt leitet sie einmal im Monat die Treffen der Betroffenen. Auch Sarah Meyer war krzlich dort.

Sie will knftig auch regelmig zur Kosmetikerin gehen - in der Hoffnung, dass sie dann zumindest das Knibbeln im Gesicht sein lsst. Auerdem schlft sie jetzt in weier Bettwsche, um zu verhindern sich vor dem Schlafengehen blutig zu kratzen.

Zwar ist Skin Picking in erster Linie ein psychisches Problem. Dennoch kann der Hautarzt helfen, grere Schden wie Narben oder Entzndungen zu verhindern. „Die Desinfektion der betroffenen Stellen ist wichtig”, sagt Steffen Gass, Vizeprsident des Berufsverbandes der Deutschen Dermatologen. Bei Wunden kann Heilsalbe sinnvoll sein. „Die entstandenen Narben knnen mit Kortison oder Cremes auf Silikon-Basis behandelt werden.” Vielleicht kann Creme sogar einen Beitrag leisten, das Knibbeln zu reduzieren. „Cremen statt kratzen”, schlgt Gass vor.

Sein Verhalten umzutrainieren dauert. „Ein bis zwei Monate sollte man sich schon Zeit nehmen”, rt Hauth. Wer dann merkt, dass er sich selbst nicht helfen kann, sollte sich professionelle Hilfe suchen. Entweder ber den Hausarzt oder einen Facharzt fr Psychiatrie und Psychotherapie, der kognitive Verhaltenstherapie anbietet.

Gesicherte Daten ber die Zahl der Betroffenen gibt es zwar nicht - eine Studie aus den USA und eine Stichprobe aus Deutschland legen aber nahe, dass in diesen beiden Lndern etwa eineinhalb bis fnf Prozent der Erwachsenen betroffen sind.

Ausreden finden, sich abkapseln, sich verhllen und sich vor allem schmen: Sarah Meyer will etwas dagegen tun . Nach ihrer Prfungsphase an der Uni war sie so zerkratzt wie noch nie. „„So kann es nicht weitergehen.” Das dachte ich mir, als ich in den Spiegel geguckt habe.” Neben dem Besuch bei der Selbsthilfegruppe ist sie auf der Suche nach einer Therapie. Am liebsten wrde sie sich stationr behandeln lassen. „Wenn ich mir was wnschen knnte, wrde ich nur noch an einer Stelle unterm Fu kratzen.”

Skin Picking Selbsthilfegruppe

Selbstbeobachtungsprotokoll

Selbsthilfetechniken fr Betroffene

(Von Elena Zelle, dpa)