Medizin im Umbruch: Ärzte brauchen ganzheitlichen Blick

Die Medizin der Zukunft muss dem Patienten mehr zuhören und ihn in seiner Ganzheit sehen. Das haben internationale Fachleute aus Medizin, Ethik und Theologie am Mittwoch in Linz auf dem 10. internationalen Kongress der oberösterreichischen Ordensspitäler betont. Psychologische und seelsorgliche Betreuung ist neben der Medizin für eine gelungene Behandlung schwerer Krankheiten notwendig, so der Tenor der Vortragenden, unter ihnen auch der vatikanische "Gesundheitsminister", Kurienerzbischof Zygmunt Zimowski. Zu den Ehrengästen der Veranstaltung unter dem Titel "Medizin im Umbruch - welche Gesundheitsberufe braucht die Gesellschaft von morgen?" zählten auch Gesundheitsminister Alois Stöger und Oberösterreichs Landeshauptmann Josef Pühringer.

Ernüchternd ist das Bild, das die am Kongress präsentierten Studien zum Zustand der medizinischen Berufe zeigen: Bei vielen Ärzten macht sich demnach Frust breit, 40 Prozent würden im Nachhinein einen anderen Beruf wählen. Zu den Ursachen zählt die Überforderung - in Europa stellen die Alterung der Bevölkerung und die Zunahme chronischer Krankheiten die Medizin vor neue Herausforderungen - sowie die Spezialisierung der Gesundheitsberufe, jedoch auch der Ärztemangel, der in den nächsten Jahrzehnten noch deutlicher sichtbar werden wird: Das Durchschnittsalter der Ärzte Österreichs beträgt heute 55 Jahre und viele Pensionierungen stehen an. Viele Mediziner haben den Eindruck, ihren Patienten nicht gerecht zu werden.

Zuhören wird Schlüsselkompetenz

"Die medizinische Ausbildung ist im Umbruch. Der ganze Patient wird künftig im Fokus von Therapie und Pflege sein, nicht nur die Krankheit", so eine zentrale Botschaft der Hauptrednerin Lynn Eckhert, Direktorin des Akademischen Programms von "Partners Healthcare International" an der Harvard Medical School in Boston. Wie Eckhert im "Kathpress"-Interview erklärte, gehe es neben der technischen immer mehr um die kommunikative Kompetenz - um Reden und Zuhören. "Bei unterschiedlichem Hintergrund eines Patienten ist oft ein anderer Ansatz etwa der Prävention nötig. Man muss tiefer gehen als nur in die körperliche Ebene", so die Gesundheitsforscherin.

Neben dem Augenmerk auf die Ausbildung empfiehlt Eckhert außerdem, Berufe der Sozialarbeit, Psychologie und Seelsorge stärker in den Klinikalltag zu integrieren. "Es geht etwa um die Fragen, was Krankheiten im Leben von Patienten verändern, oder wie sie mit ihren Leiden außerhalb der Spitalsmauern umgehen. Bei alten Menschen mit Diabetes sollte beispielsweise nicht nur die Behandlung oder Ernährung, sondern auch die soziale Situation und Einsamkeit im medizinischen Blickfeld sein." Derartige Schritte seien ein Beitrag für das notwendige Ziel der Gesundheitsversorgung, das Ergebnis für den Patienten zu optimieren.

Spitäler profitieren von Seelsorge

Dass die Naturwissenschaft alleine zur Heilung nicht genügt, betonte der Medizinethiker Matthias Beck in seinem Statement, in dem er vor allem das Zusammenspiel von Genetik und Epigenetik hervorhob. "Wer nach Krankheitsursachen sucht, muss auch die geistige Grundverfasstheit berücksichtigen. Denn neben der Umwelt und Lebensführung beeinflusst auch diese Ebene, die über die Endlichkeit des Menschen hinausragt, ob eine vorhandene genetische Prägung aktiviert wird oder nicht", so das Mitglied der österreichischen Bioethikkommission gegenüber "Kathpress".

Als Beispiel nannte Beck einen an Depression erkrankten Patienten, bei dem ein biografisches Gespräch zutage bringt, dass er einst das elterliche Geschäft wider Willen übernommen, wichtige Entscheidungen unter Angst getroffen und deshalb ständig an Zerrissenheit gelitten hat. "Viele haben an ihrem Leben vorbeigelebt, gingen in der Sprache der Theologie ihrer Berufung aus dem Weg. Durch Zurückführung und Aufarbeitung kann man Betroffenen Klarheit und Erkenntnis ermöglichen, die in Einzelfällen zur Neuausrichtung des Lebensweges, oft jedoch zumindest zu zusätzlichen Kapazitäten und mehr Lebensglück verhelfen", verdeutlichte der Mediziner und Moraltheologe.

Spitäler allgemein, besonders jedoch Ordensspitäler profitieren laut Beck deshalb davon, wenn sie sich den "Luxus" zusätzlichen Personals für psychologische oder priesterliche Begleitung leisten. "Nötig sind Menschen, die sich Zeit für das Aufarbeiten von Fragen nehmen, vor denen etwa Krebspatienten plötzlich stehen." Ratsam sei deren enge Teamarbeit mit den behandelnden Ärzten, die in der Ausbildung von dieser Dimension ebenfalls "zumindest eine Ahnung bekommen" sollten. "Das Christentum ist nicht für Dumme, sondern für Menschen, die sich Gedanken machen. Es ist vernünftig über den Tod hinaus und verhilft zur Lebensentfaltung", schloss Beck.

Ärzte-Mietmodell in Diskussion

Umbrüche in der Medizin gibt es jedoch auch auf völlig anderer Ebene, wie Michael Weber, Geschäftsführer der Berliner Agentur "Hire a Doctor", bei der Tagung ausführte. Angesichts der immer schwierigeren Berufssituation, die Ärzte teils zur Flucht ins Ausland oder in flexible Beschäftigungsformen treibt, ist in Deutschland als "dritter Weg" neben den niedergelassenen- und Spitalsärzten auch das Modell der "Ärzte auf Montage" im Vormarsch, die von Klinken bei Engpässen oder für Projekte zeitlich begrenzt mieten.

Während Weber auf Vorteile dieser Ärzte-Leiharbeit verweist - darunter das Einsparen von Lohnkosten, die Entlastung von Stammpersonal und höhere Flexibilität seitens der Klinik oder bessere Vergütung und mehr Selbstbestimmung der Ärzte - erkennt US-Expertin Eckhert auf "Kathpress"-Anfrage wesentliche Nachteile: "Einerseits ist dieses Modell für die Work-Life-Balance des Arztes eine enorme Herausforderung, andererseits wird die so wichtige langfristige Beziehung zwischen Arzt und Patient verunmöglicht."

Krankenhaus ist Ort der Evangelisierung

Erzbischof Zygmunt Zimowski, Präsident des Päpstlichen Rates für die Pastoral im Krankendienst, verdeutlichte in seiner Grußbotschaft die wichtige Bedeutung der Ordensspitäler für die Kirche. Die Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. hätten in ihren Lehrschreiben immer wieder betont, dass sich die Kirche um den "konkreten Menschen", die "leibhaftige Person" zu kümmern habe. "Das Krankenhaus soll als Ort angesehen werden, der für die Evangelisierung besonders geeignet ist. Denn dort, wo Kirche Werkzeug der Anwesenheit Gottes ist, wird sie zum Werkzeug echter Humanisierung des Menschen und der Welt", erklärte der Kurienerzbischof.

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