Männergefühle „Es geht um Echtheit“ – FAZ

© Philip Lisowski
„Das klingt geradezu ehrenhaft“: Hätte man 2011 eine Krankheit des Jahres gewählt, der Burn-Out hätte gesiegt.

„Ich geb’ dir mal deine Mutter“ - das hören viele erwachsene Kinder von ihrem Vater am Telefon, manchmal sogar schon nach Sekunden. Wie vertraut ist Ihnen dieser Spruch?

Bei mir selbst ist es nicht so, ich sprech’ schon länger mit meinem Vater. Aber davon habe ich schon von etlichen Leuten gehört, es gibt ein regelrechtes „Ich-geb-dir-mal-deine-Mutter-Phänomen“.

Wie kommt es dazu?

Durch die traditionelle Rollenaufteilung: Die Mutter war ja in aller Regel die Ansprechpartnerin für Sohn oder Tochter, insbesondere für emotionale Belange. Deshalb würde ich es nicht nur abwertend interpretieren, dass die Väter nicht wollen. Es ist auch ein Stück Respekt vor der Domäne der Mutter, das persönliche Gespräch, wie’s so läuft gerade, mit den Enkelkindern zum Beispiel und beruflich - wobei, das ginge ja für die Väter noch, weil es ein Sachthema ist.

Und Gefühlsthemen gehen gar nicht?

Nein, und das ist die andere Seite, Gefühle werden abgewehrt. Da gibt’s so ein Unbehagen vieler, gerade älterer Männer; sie sind darin ungeübt, auf einer tiefer gehenden psychologischen Ebene ist es diese männliche Flucht vor den Gefühlen. Vor dem, was da kommen könnte. Die Tochter könnte ja etwas Problematisches berichten.

Und dann?

Ja, dann gibt es eben eine große Unsicherheit, wie mit dieser Situation umzugehen ist. Einerseits will der Vater, der ja wahrscheinlich diese Tochter liebt, ihr bestmöglich helfen; andererseits fühlt er sich selbst dafür vermutlich gar nicht gut ausgerüstet, da er in seiner eigenen Biographie nicht unbedingt lernen konnte, berührende Gespräche hilfreich und unterstützend zu führen. Indem er den Hörer an seine Frau weitergibt, findet er eine kurzfristig „ideale Lösung“ - und er kann nicht „versagen“. Langfristig ist das natürlich problematisch, da die emotionale Bindung zur Tochter leidet. Aber wir Männer schweigen nicht nur anderen gegenüber, sondern im Wesentlichen gegenüber uns selbst. Wir scheuen die Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen.

Wie kommt das?

Das Grundproblem ist nicht, dass es eine mangelnde Gefühlswelt gibt, sondern einen mangelnden Zugang zu diesen Gefühlen; dieser Zugang wurde uns durch die Sozialisation abtrainiert. Männern wird immer nur einseitig vermittelt: Sei stark, traditionell, sei immer in control, krieg alles geregelt.

Man hat im gerade zu Ende gegangenen Jahr viel von „Burn-Out“ gehört, nicht zuletzt bei Prominenten. Könnten diese Fälle darauf beruhen, dass Männer ihre Gefühle und damit auch ihre Grenzen nicht wahr- und ernst nehmen?

Wer seine Gefühle - und damit ja die Signale seiner Innenwelt, seiner Seele - nicht hören kann, steuert sein Leben sehr wahrscheinlich nicht in eine Richtung, die ihn langfristig glücklich macht. Er erfüllt möglicherweise nur gesellschaftliche oder familiäre Konventionen. Das kann, ja muss geradezu zu Depressionen - oder anderen psychischen oder körperlichen Problemen - führen. Diese werden dann heute gerne als „Burn-Out“ tituliert, weil das nicht so verkorkst klingt, sondern geradezu ehrenhaft, nach dem Motto: Der hat so gebrannt für eine Sache, wie toll, jetzt muss er sich mal ne Weile ausruhen, der Gute! - Wer so denkt, kann noch immer nicht hören, was die Gefühle, der Körper ihm sagen wollen.

Und wie helfen Sie Männern dabei?

Ich helfe Männern nicht, die Anforderungen gesellschaftlicher Vorstellungen von Männlichkeit weiter zu erfüllen. Statt dessen helfe ich ihnen, zu gucken, wo sie eigentlich funktionieren wollen, was ihnen eigentlich selbst wirklich wichtig ist. Männer brauchen oft viel Zeit und Raum, um über die wirklich schwierigen Dinge sprechen zu können. Das geht nicht ohne eine vorwurfsfreie, zugewandte Atmosphäre - und oft auch nicht ohne sehr deutliche Konfrontationen, die die Männer direkt an die wunden Punkte heranführen. Insofern würde ich sagen - wir Männer lieben ja Listen -, dass es vor allem drei Dinge braucht: 1) Verständnis für die männliche Innenwelt, 2) Mut, 3) Geduld und Spucke.

Mit welchen Klienten haben Sie es am schwersten?

Vor allem intellektuelle Männer wehren Gefühle dadurch ab, dass sie alles Persönliche immer auf so eine intellektuelle Ebene holen, das ist oftmals sehr schwer zu erkennen, zumal sie dazu psychologische Vokabeln benutzen.

Dieses permanente Abwehren klingt sehr anstrengend.

Ist es - und das kann eben auch zu Depressionen, Süchten oder eben auch zu einem Burn-Out führen.

Also bin ich selbst verantwortlich, und es liegt gar nicht an den Anforderungen im Job?

Eine gemeine Frage! Grundsätzlich bin ich immer selbst verantwortlich, denn es liegt ja an mir, wie ich mit Anforderungen umgehe, die ich eigentlich gar nicht erfüllen möchte. Aber natürlich ist es unheimlich schwer, dies immer genau zu erkennen und dann auch effektiv dagegen vorzugehen. Dem einen ist die Leistungsorientierung derart eingeimpft worden, dass er eben immer wieder in diese Falle tappt, um Anerkennung zu bekommen; ein anderer hat vielleicht nicht die ökonomischen Möglichkeiten, sich so abzugrenzen, wie es ihm gut täte.

Auf Ihrer Website sprechen Sie vom männlichen „Dilemma“, von „männlichen Macken“. Was meinen Sie damit?

Mit „Macken“ meine ich etwa Dinge wie eine starke Orientierung an Rationalität, an Leistung, an Struktur. Mit dem flapsigen Ausdruck will ich dazu animieren, diese Eigenheiten und meinetwegen auch Schwächen zwar zu konstatieren, sie aber auch nicht so wahnsinnig negativ zu sehen, sondern lieber mit etwas Selbstironie. Jeder hat nun mal seine Macken, da sollte man sich lieber gleich mit ihnen anfreunden. Auf dieser Basis sind auch viel eher Veränderungen möglich als mit so einer verkrampften Oh-Gott-wie-schrecklich-das-muss-schnell-weg-Haltung.

Und das „männliche Dilemma“?

Das meint schlicht den Zwiespalt zwischen der Sehnsucht nach den Gefühlen - die wir alle haben - und der Angst davor, weil diese Gefühle schwer zu handhaben sein könnten oder unsere bisherige männliche Identität bedrohen könnten.

Was sind das für Gefühle - und was könnte passieren?

Große Angst vor Hilflosigkeit, vor Trauer. Vielleicht auch Schuld oder Scham. Die Sehnsucht geht natürlich in Richtung Liebe, Anerkennung, Vertrauen und vor allem in Richtung Angenommen-Werden-wie-man-ist. Leider - in Anführungsstrichen - sind diese beiden Hälften nur im Doppelpack erhältlich. Das sage ich auch häufig meinen Klienten zu Beginn der Therapie: Ich kann Ihnen nicht beim Zugang zu den „schönen“ Gefühlen helfen, unter Umgehung der unangenehmeren. Und ganz ehrlich: Selbst wenn ich es könnte, würde ich es nicht tun. Schließlich geht es doch nicht um Positivität, sondern um Echtheit.

Wie ist es mit Wut?

Wut, Ärger ist ja das eine Gefühl, das Männern zugestanden wird.

Empfinden Männer vor allem Wut, die zu Ihnen kommen?

Ja, Ärger ist das Gefühl, das in den Therapiesitzungen am ehesten zur Geltung kommt. Da muss man als Therapeut gucken, ist das wirklich Ärger? Oder verbirgt sich dahinter vielleicht ein ganz anderes Gefühl? Da muss man jemanden dann heranführen, denn das Thema, was immer es auch ist, wird sich nicht über Wut bewältigen lassen. Wenn es Trauer ist, dann hat es wie alle Gefühle eine wichtige Funktion. Trauer will einem sagen, dass man etwas Wichtiges verloren oder nicht bekommen hat. Das ist ein ganz wichtiges Signal dafür, wie wir unser Leben gestalten, nämlich dass wir gucken, wie wir das kriegen.

Was könnte das sein?

Zum Beispiel von seinem Vater den Satz „Ich liebe dich“, „Ich bin stolz auf dich“. Wenn ein Mann das nie gehört hat, wird die damit verbundene Verletzung mit Wut kaschiert, da wird geschimpft, über den Vater, den Chef, die Frau, die Kinder und so weiter. Es hat mich sehr berührt, dass Matthias Brandt, der Sohn von Willy Brandt, in seinem Buch schrieb, sein Vater habe ihn als Kind nie über den Kopf gestreichelt oder gesagt „Ich bin stolz auf dich“, geschweige denn „Ich liebe dich“.

Wie schwierig ist es für Männer, in der Therapie zu solchen Gefühlen der Trauer vorzudringen und sie zuzulassen?

Wenn es erst einmal eine gute Gesprächsebene gibt - und wenn der Therapeut selbst keine Angst vor Trauer hat -, dann kommt so ein Gefühl oft relativ schnell. Aber bitte, lassen Sie uns mal aufräumen mit diesem Therapieklischee, dass man da stundenlang rumheulen muss, das ist Unsinn. Man muss aber mal an die Trauer herangekommen sein, um zu merken, ah, das ist das, was mir fehlt. Nur so kann ich mich auch - endlich - darum kümmern.

Mir scheint die größere Schwierigkeit zu sein, überhaupt den Anfang zu finden. Wie überwindet man die Angst?

Ein Mann wird nichts lesen, von keinem Experten, das ihm seine Angst nimmt. Die Angst ist ja normal, nichts Schlimmes. Die muss man mitnehmen. Man muss sagen, Scheiß drauf, ich mach es trotzdem oder gerade sogar weil. Ich selbst bin vor allem Vater geworden, weil ich davor Angst hatte.

Wie meinen Sie das?

Ich hatte eine Partnerschaft, Beruf, es lief alles ganz gut, und dann kam das Thema Kinder auf, und ich merkte, dass ich eine Heidenangst davor hatte, Vater zu sein. Was für eine Verantwortung. Und ich dachte, gerade deswegen!

Was hat Ihnen am meisten Angst gemacht?

Ganz männlich, dem nicht Herr zu werden. Zu versagen. Aber: Man überwindet ja eine Angst, weil das Ziel attraktiv ist. Männer hätten also etwas zu gewinnen. Mehr Kontakt zu sich selbst, mehr Lebendigkeit, bessere Kontakte zu anderen.

Sie sind Psychologe und Psychotherapeut - wieso arbeiten Sie nur mit Männern?

Ich war in meiner Jugend schon unzufrieden mit den traditionellen Männlichkeitsvorstellungen, und ich dachte, was ist das für ein alberner Kram? Das passt doch gar nicht dazu, wie ich mich wahrnehme.

Wie nahmen Sie sich denn wahr?

Ja, dass es durchaus Gefühle gab, Traurigkeit, Leiden, und ich dachte, wieso darf das überhaupt nicht Thema sein? Ich merk’ es doch, wenn ich zu Hause bin, wieso verhalten sich Männer beziehungsweise Jungs so anders, wenn sie zusammen sind? Im Studium hab’ ich dann begonnen, mich wissenschaftlich damit zu befassen.

Sie fordern emotional präsente Väter. Wie gut gelingt Ihnen selbst das?

Ich hatte mit meinem Sohn mal die Situation, dass wir uns fürchterlich stritten, er war zwei und wollte nicht ins Bett, und irgendwann schossen mir die Tränen in die Augen, und automatisch bin ich raus gerannt. Und dann stand ich vor der Tür, und ich dachte, was mache ich hier eigentlich? Kaum berührt mich etwas, renn’ ich raus und versteck’ es. Ich bin also wieder rein, mit verweintem Gesicht, mein Sohn guckte mich an, ganz baff, und sagte Papa, warum weinst du? Ich sagte, weil ich so hilflos bin. Wir streiten uns, und ich will das gar nicht, es macht mich auch traurig, und dann sagt er: Mich auch, mich macht’s auch traurig. Und dann, weiß ich gar nicht mehr, wir haben uns umarmt, und dann ging’s irgendwie besser.

Ins Bett musste er trotzdem?

Natürlich. Aber die Gefühle, die mich dabei begleiteten, die darf er doch sehen, Ärger, Trauer, Hilflosigkeit, auch Ängste. Einfach nur, dass der Junge sieht, ein erwachsener, respektierter Mann zu sein und Gefühle zu zeigen, das geht zusammen. Und dann reicht oft schon ein Vorbild.

Die Fragen stellte Andrea Freund.

Mann-Therapeut Björn Süfke studierte Psychologie, absolvierte eine gesprächspsychotherapeutische Zusatzausbildung und arbeitet seit 1998 ausschließlich mit Männern, in Bielefeld. Seine Erfahrungen flossen in bisher vier Bücher ein, die aus unterschiedlichen Perspektiven die Männerseele erforschen. Sein jüngstes Buch „Die Ritter des Möhrenbreis“ schildert die emotionalen Herausforderungen, die der moderne Vater meistern muss. Mehr unter maenner-therapie.de.


Quelle: F.A.S.
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„Es geht um Echtheit“


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Viel war im vergangenen Jahr die Rede vom Burn-Out, nicht zuletzt bei Prominenten – und sehr oft Männern. Was macht die männliche Seele so verletzlich? Therapeut Björn Süfke über Anstrengungen und Ängste.

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