Lust fehlt? Auch Placebo hilft!

Wenn denn HSDD eine Krankheit ist – es ist umstritten, steht aber in den Diagnosebüchern der Psychologen –, dann leiden 21 bis 36 Prozent der europäischen Frauen daran: HSDD heißt hypoactive sexual desire disorder und meint „dauerhaften oder wiederkehrenden Mangel an (oder Abwesenheit von) sexuellen Fantasien und Verlangen nach sexueller Aktivität“. Manche Frauen leiden so stark, dass sie Therapien suchen, lange gab es aber keine pharmakologischen dafür, Ende August wurde in den USA das erste Medikament zugelassen.

Es heißt Flibanserin und wirkt nicht, wie Viagra etc. bei Männern, direkt und rasch auf den Körper. Sondern es ist ein Psychopharmaka, das täglich geschluckt werden muss und sehr umwegig auf den Körper wirkt. Beziehungsweise wirken soll: Klinische Tests zeigten eine so geringe Wirksamkeit – Flibanserin hob die Lust nur marginal höher als ein Placebo – und zudem so viele Nebenwirkungen, dass die zuständige Behörde FDA die Zulassung zwei Mal verweigerte. Sie kam erst, nachdem der Hersteller sich mit US-Frauenverbänden zusammengetan hatten, die auch bei Lustpillen gleiche Rechte einforderten.

Flibanserin setzt beim Neurotransmitter Serotonin an, andere Medikamentenkandidaten in noch laufenden kleinen Tests versuchen es etwa beim Sexualhormon Testosteron. Und eine Gruppe um Michaela Bayerle-Eder (Medizinuni Wien) hat es experimentell mit Oxytocin versucht. Das ist ein Hormon, das die Bindung zwischen Mutter und Kind stärkt, bei manchen Tieren auch die zwischen Erwachsenen. Ob das bei Menschen auch so ist, ist unklar, trotzdem gilt Oxytocin generell als „Treue-Hormon“.

In Wien nahmen es 30 Frauen acht Monate, sie verabreichten es sich via Nasenspray, kurz vor dem Sex. Das brachte eine Erhöhung der Lust bzw. Minderung der Unlust – es gibt verschiedene Parameter bzw. Messweisen –, aber der Effekt war wieder marginal: Placebos wirkten ebenso gut, bei manchen Parametern gar besser (Fertility and Sterility 104, S. 715): „Es gab keine statistische Differenz“, summiert Bayerle-Eder. Und sie vermutet, gewirkt habe nicht der Wirkstoff, sondern die erhöhte mentale Beschäftigung mit Sex: Die Probandinnen mussten Buch führen, und sie waren zu mindestens zwei Mal Sex und/oder Masturbation pro Woche angehalten. (jl)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2015)

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