10'000 Raucher wollen die Mediziner fürs Erste in ihr Programm einschliessen und an den Universitäts- und grösseren Regionalspitälern auf Lungenkrebs screenen. Damit soll das Positionspapier umgesetzt werden, welches sie im Januar 2014 veröffentlicht hatten. Die Gruppe aus Lungenärzten, Chirurgen, Radiologen und Epidemiologen der Schweizer Universitätsspitäler fordert darin eine überlegte Einführung eines Lungenkrebs-Screenings.
«Wenn alles nach Plan läuft, sollten wir in etwa zwei bis drei Jahren so weit sein», sagt Thomas Frauenfelder, stellvertretender Direktor des Instituts für Radiologie des Unispitals Zürich. Die Finanzierung für ein Patientenregister und Krankenkassenzulassung durch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) sind inzwischen beantragt. Eine Evaluation soll später zeigen, ob und wie das Screening ausgebaut werden kann.
Auch bei der Krebsliga Schweiz rückt die Lungenkrebs-Früherkennung nach oben auf der Prioritätenliste: Im kommenden Jahr will die Organisation eine Expertengruppe einsetzen, welche eine Empfehlung für oder gegen ein Lungenkrebs-Screening geben soll. Der Grund: Weltweit laufen derzeit Bestrebungen, entsprechende Screenings einzuführen. In den USA unterstützten dies verschiedene Fachgesellschaften. In der aktuellen Ausgabe des Fachblatts «Nature» fordert John Field, Leiter des UK Lung Cancer Screening Trial, auch in Europa mit der Einführung solcher Programme vorwärtszumachen: «Mit jedem Jahr, das wir warten, opfern wir unnötigerweise das Leben Tausender.»
Krebs-Screenings in der Kritik
Es ist ein lang gehegter Wunsch, Lungentumore möglichst früh zu entdecken und damit die Behandlungschancen zu erhöhen. Heute können Ärzte die Krankheit oft erst diagnostizieren, wenn sie bereits stark fortgeschritten ist und Symptome wie chronischer Husten, blutiger Auswurf oder Kurzatmigkeit auftreten. Die Erfolgsaussichten einer Behandlung sind aus diesem Grund seit Jahren gleichbleibend schlecht. Nicht einmal jeder Fünfte überlebt nach der Diagnose die folgenden fünf Jahre. Bei den Männern ist Lungenkrebs die häufigste Krebstodesursache, bei Frauen die zweithäufigste hinter Brustkrebs.
Fortschritte bei den bildgebenden Verfahren in den 90er-Jahren rücken ein Lungenkrebs-Screening für starke Raucher nun in greifbare Nähe. Damals etablierte sich die Computertomografie (CT) bei tiefer Energie («low dose»). Damit lassen sich auffällige Strukturen über zwei Millimeter in der Lunge detektieren. Die Strahlenbelastung ist dabei tiefer als bei herkömmlichen CT.
Zahlreiche Untersuchungen haben eine Anwendung für die Früherkennung untersucht. Für Aufsehen sorgte im Jahr 2011 die bislang erste grosse kontrollierte Studie, welche CT-Früherkennung mit herkömmlichen Röntgenaufnahmen verglich. Die Resultate waren so eindeutig, dass die Studie nach drei Jahren abgebrochen wurde: Raucher starben demnach zu 20 Prozent seltener an Lungenkrebs, wenn sie mittels CT gescreent wurden. Das Risiko, an irgendeiner Ursache zu sterben, war in der Screening-Gruppe um 7 Prozent tiefer.
Die im Fachblatt «New England Journal of Medicine» veröffentlichte US-Studie namens «National Lung Screening Trial» (NLST) untersuchte insgesamt 53'000 Raucher oder Ex-Raucher im Alter von 55 bis 74 Jahren, die mindestens 30 sogenannte «pack-years» auf dem Buckel hatten. Das heisst, sie mussten zum Beispiel ein Zigarettenpäckchen pro Tag während 30 Jahren oder drei Päckchen pro Tag über 10 Jahre geraucht haben. Die gleiche Patientengruppe käme voraussichtlich auch für ein Screeningprogramm in Frage.
Konkret mussten beim NLST während dreier Jahre 320 Personen jährlich gescreent werden, um einen Lungenkrebstoten zu verhindern. «Das ist nicht so schlecht im Vergleich zu anderen, heute üblichen medizinischen Interventionen», sagt Milo Puhan, Direktor des Instituts für Sozial- und Präventivmedizin Zürich. Gleichzeitig kam es pro verhinderten Lungenkrebstoten zu schätzungsweise 1,38 Überbehandlungen von Personen, die nie ein Problem gehabt hätten wegen des Krebs. Darunter fällt die Entdeckung von Tumoren, die sich nur langsam oder gar nicht vergrössern oder sogar spontan wieder verschwinden.
Die Einführung eines Lungenkrebs-Screenings steht allerdings etwas schief in der Landschaft. Denn die seit Jahren praktizierten Früherkennungen von Brustkrebs und Prostatakrebs werden in der Schweiz und international stark kritisiert. Dies dürfte mit ein Grund sein, wieso die Schweizer Fachleute trotz der guter Resultate zurückhaltend bleiben. «Es läuft bei der Lungenkrebs-Früherkennung weltweit extrem viel zurzeit», sagt Puhan. «Wir versuchen, in der Schweiz das Ganze in geordnete Bahnen zu lenken.» Es soll verhindert werden, dass ein Lungenkrebs-Screening mehr Schaden anrichtet als nützt und riesige Kosten verursacht.
Gratis CT-Untersuchung
Die erste Phase des geplanten Schweizer Screeningprogramms soll neben der Wirksamkeit insbesondere auch die Kosten untersuchen. Alleine im Kanton Zürich rechnet Frauenfelder mit rund 180'000 Personen, die jährlich gescreent werden müssten. Hochgerechnet wären dies circa 60 Millionen Franken für die erste Screeninguntersuchung. «Hinzu kommen Folgekosten verdächtiger Befunde, die beträchtlich sein können», sagt Frauenfelder.
Inwieweit diese Kosten mit Einsparungen bei teuren Krebstherapien aufgewogen werden, muss sich zeigen. Im NLST hatten von 1000 gescreenten Personen 391 einen auffälligen Befund, von denen nur 14 tatsächlich an Lungenkrebs litten. Das Problem: Im CT können harmlose Vernarbungen von kleineren Tumoren erst unterschieden werden, wenn es in Folge-CTs nach drei und/oder sechs Monaten zu keinem Wachstum gekommen ist. Häufig kommen dazu weitere Abklärungen. «In den USA bieten Private das erste CT gratis an, weil sie an den Folgeuntersuchungen gut verdienen können», sagt Frauenfelder.
Ausserhalb von Screenings untersuchen Ärzte bereits heute einzelne Patienten mit einem Lungenkrebsverdacht mittels CT. In der Schweiz wendet das private Lungenzentrum Hirslanden Zürich solche Früherkennung bereits seit 1999 an und erntete dafür vor allem zu Beginn «heftigste Kritik», erinnert sich Karl Klingler, Pneumologe am Lungenzentrum. Immer wieder wurde der Vorwurf der Geldmacherei erhoben. Klingler findet hingegen umgekehrt: «Die Unispitäler kommen reichlich spät und wollen sich jetzt neu in Position bringen.» Das Lungenzentrum Hirslanden sei schon lange Teil eines internationalen Netzwerkes mit Register und regelmässigen Meetings, sagt Klingler. Obwohl die Patienten das CT häufig selber bezahlen müssten, sei das Interesse gross.
(Tages-Anzeiger)
(Erstellt: 11.09.2014, 02:43 Uhr)