Literatur: Mythos Fassbinder in einer neuen Biografie

In diesem Juni jährt sich der Todestag des großen deutschen Filmemachers zum 30. Mal. Das hat der Biograf Jürgen Trimborn zum Anlass genommen, den Mythos Fassbinder zu ergründen – und auch in seinem Heimatland an den Filmemacher zu erinnern. Fassbinders Stern glänze heute im Ausland wesentlich heller, schreibt er und attestiert ein „allgemeines Desinteresse an Fassbinders Werk in seinem Heimatland“.

Trimborns Buch „Ein Tag ist ein Jahr ist ein Leben“, das an diesem Donnerstag auf den Markt gekommen ist, will eine nüchterne Analyse sein. Unbeeindruckt von den Streitigkeiten um Fassbinders Nachlass will Autor Trimborn „belegbare Fakten und Dokumente“ zeigen, „statt hochkochender Emotionen“. Rund 50 Seiten mit Fußnoten zeugen davon.

Einige bislang unveröffentlichte Dokumente hat Trimborn für sein Buch aufgetan – darunter das Urteil der Filmbewertungsstelle Wiesbaden, von der Fassbinder ein Prädikat für seinen ersten 35-mm-Kurzfilm „Der Stadtstreicher“ bekommen wollte. Das vernichtende Urteil: „Geschmacksverirrung“.

Trimborn zeichnet das kurze Leben des im Alter von nur 37 Jahren in München gestorbenen Regisseurs nach, der mit Filmen wie „Angst essen Seele auf“ oder „Berlin Alexanderplatz“ zum „Wunderknaben“ und Vorreiter des Neuen Deutschen Films wurde. Mit seinen mehr als 40 Spielfilmen in nur 13 Jahren und Entdeckungen wie der Schauspielerin Hanna Schygulla wurde er zum vielleicht wichtigsten Vertreter des deutschen Films überhaupt und zum erfolgreichsten Regisseur im Nachkriegsdeutschland.

Trimborns Buch beginnt mit einer zerrissenen und unglücklichen Kindheit, geprägt von Zurückweisung und Einsamkeit – dem Start in ein turbulentes und alles andere als „bürgerliches“ Leben. Fassbinders Münchner Wohnung hieß mitunter „Bumsburg“, schreibt er und zitiert den „Stern“-Titel: „Säufer und Genie“. Von Fassbinders Verhaftung in einer Pariser Schwulensauna berichtet Trimborn, von seiner großen, unerfüllten Liebe zu seinem „bayerischen Neger“ Günther Kaufmann – und der mehr als überraschenden, zwei Jahre dauernden Ehe mit der Schauspielerin Ingrid Caven.

Von vulkanartigen Wutausbrüchen berichtet der Autor. „Nicht selten kam es bei der Arbeit zu Prügeleien.“ Eine Kostprobe: Als Fassbinder sich einmal über einen Herstellungsleiter aufregte, tat er das so: „Jetzt schlag´ ich dir die Schnauze ein, du fettes, dickes Schwein. Ich bring´ dich um, ich schlitz´ dich auf!“

„Wie bei allem, was Fassbinder tat, nahm auch sein Alkoholkonsum schnell exzessive Formen an“, schreibt Trimborn und auch, dass der homosexuelle Filmemacher sich zeitweise – lange vor seinem großen Erfolg – als Stricher prostituierte. Der Autor zitiert den Filmproduzenten Michael Fengler: „Für ihn war es eine ganz natürliche Sache, sich kaufen zu lassen, er hatte da gar keine wie auch immer gearteten Bedenken.“

Obwohl seine große Liebe von Anfang an dem Film galt, machte Fassbinder einen Umweg über das Theater. Dieser Theater-Episode widmet sich auch ein neues Buch des britischen Theaterwissenschaftlers David Barnett: „Rainer Werner Fassbinder – Theater als Provokation“. Biograf Trimborn lässt dagegen keinen Zweifel daran: Der Film war Fassbinders Bestimmung. „Viele Filme machen, damit mein Leben zum Film wird“ – das war sein Traum. „Als ich die erste Einstellung in meinem Leben gedreht habe, das war eigentlich toller als der tollste Orgasmus, den ich je hatte. Das war ein Gefühl, das war unbeschreiblich.“

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