Am Ende herrschte eine gewisse Ratlosigkeit. Nicht nur wegen des Titels. Antonio Timpano hatte seinen Roman „Am Schatten der Einsamkeit“ genannt. Ein bewusster Verstoß des gebürtigen Italieners gegen die Regeln der deutschen Grammatik. Eine Regelverletzung, über die er lange mit seiner Übersetzerin diskutiert habe, antwortete der Autor auf die Nachfrage von Rudolf Glöggler. Der Vorsitzende des Markdorfer Mehrgenerationenhaus-Vereins hatte das gezielte Verschieben von „im“ zu „am Schatten“ als mögliches Beispiel angeführt für Antonio Timpanos schriftstellerisches Reagieren auf dessen durchweg sehr sensibles Wahrnehmen. Und ganz offensichtlich hatte Glöggler damit den Kern erfasst. Denn Antonio Timpano sieht sich, wie er seinem Publikum im „Wohnzimmer“ des Mehrgenerationenhauses nach seiner Lesung erzählt, häufig mit einer gewissen Voreiligkeit seiner Leser konfrontiert.
„Einsamkeit ist ein Tabu-Thema“, erklärt der in Markdorf-Leimbach lebende Autor. Mithin würde sie den in seinem Roman auftretenden Figuren nur ungern eingeräumt. Einsamkeit wird als eine Art Defekt gesehen, als Zustand, den es möglichst rasch zu verändern gilt. Er, Antonio Timpano, sehe Einsamkeit jedoch als ein Grundgefühl an, das jemanden von Geburt an prägen kann, ohne von demjenigen deshalb als Mangel erlitten zu werden. Eben darum statte er die Figuren in seinem Buch mit einer recht komplexen Psychologie aus. Auf die man sich freilich einlassen müsse, so der Lese-Ratschlag von Rudolf Glöggler.
Aber das war ohnehin schon klar geworden, während Timpano aus „Am Schatten der Einsamkeit“ vorlas. Hier begegnete das Innenleben einer jungen Frau und ihrer von der anerzogenen Rücksichtnahme auf die Eltern geleitetes Tasten nach einem eigenen Lebensweg. Verletzungen, teils Missverständnisse spielen ebenso eine Rolle wie der Wunsch nach Geborgenheit. Aus Sicht der männlichen Hauptfigur schildert Timpano ein Begegnen mit dem Bodensee. Eine Landschaftsbeschreibung wandelt sich in ein Unwetter-Szenario, der Autor gestaltet Atmosphärisches und dessen Einfluss auf Menschen. Inneres Erleben und das Toben der Natur verschränken sich. Der See wird sowohl zum Spiegel des Gemüts wie zur Projektionsfläche.
Kurz: die Einsamkeit ist bei Antonio Timpano ein existenzielles Phänomen. Und sie sei nicht einmal mit aller Kraft zu vermeiden, so erklärt es der Autor. Den einen mutete das etwas allzu bedrückend an. Die anderen konnten es gut nachvollziehen. Insgesamt aber war am Ende der Vorlesung bestätigt, was Yalcin Bayraktar, der Ausländer-Beauftragte des Bodenseekreises, zu Beginn des Abends angesprochen hatte. „Mit dem Begriff „Migranten-Literatur“ kann ich eigentlich gar nichts anfangen – wir haben doch alle immer nur eine gemeinsame Erfahrungswelt.“
Und das betrifft offenbar auch jene Gefühlslagen der Einsamkeit, die Antonio Timpanos Figuren in seinem Roman zeigen.