Kultur: Pflichtlektüre

Universitäten dürfen Lehrbücher nicht kostenlos ins Netz stellen

Das hat was: Richter am Oberlandesgerichtshof Stuttgart haben sich eingehend mit 'Meilensteinen der Psychologie' beschäftigt. Es ging dabei nicht etwa um Fragen der Zurechnungsfähigkeit im Strafprozess oder um die Glaubwürdigkeit von Zeugen. Nein, es ging in einem zivilrechtlichen Verfahren unter anderem um Sokrates, David Hume, Iwan Pawlow und William James und um ihre jeweilige Lehre von der Seele.

Und das kam so: Die Fernuniversität Hagen hatte auf einer sogenannten elektronischen Lernplattform für über 4000 Studenten ihres Bachelor-Studiengangs im Fach Psychologie substantielle Teile eines Lehrbuchs zur Verfügung gestellt. Wer sich von den Studenten per Passwort einloggte, der konnte 91 Seiten des Handbuchs 'Meilensteine der Psychologie' kostenlos als PDF-Datei einsehen und auch ausdrucken. Der Alfred Kröner Verlag, in dem das Buch erschienen war, hatte gegen dieses Vorgehen der Universität geklagt, weil die Gratis-Verteilung unter den Studenten gegen das geltende Urheberrecht verstoße.

Das Stuttgarter Oberlandesgericht hat nun dem Verlag in vollem Umfang Recht gegeben. Während die entsprechende Regelung im Urheberrechtsgesetz - der seit einigen Jahren geltende Paragraph 52a - die elektronische Verteilung von kürzeren Texten zu Unterrichtszwecken erlaube, so könne hier keine Rede davon sein. Die 91 Seiten, die als Pflichtlektüre ins interne Uni-Netz gestellt wurden, bestehend aus kompletten Kapiteln aus dem genannten Buch, stellten

'nicht nur kleine Werkteile' dar. Auch würden die Texte, so das Gericht, keineswegs 'zur Veranschaulichung im Unterricht' eingesetzt, was das Urheberrechtsgesetz noch erlaubt. Vielmehr gingen die Buchkapitel über die Unterrichtsinhalte (in diesem Fall die von der Fernuniversität verschickten 'Studienbriefe') weit hinaus. Um zu dieser Auffassung zu gelangen, haben die Richter die Psychologie-Texte genau studiert; so heißt es in dem Urteil etwa zu den Passagen über William James: 'Eine inhaltliche Auseinandersetzung zum Verständnis von Gefühlen, den Prinzipien der Psychologie und dem Bewusstseinsstrom erfolgt in den Studienbriefen nicht.'

Zudem monierten die Richter, an der Fernuniversität sei deutlich gemacht worden, dass die Studenten das Buch aus dem Kröner Verlag nicht mehr selbst anschaffen müssten. 'Dies stellt eine unmittelbare Beeinträchtigung der Primärverwertungsrechte der Klägerin dar', also des Verlages, urteilten die Richter.

Es ist ein Musterverfahren: Seit einigen Jahren wird über die elektronische Vervielfältigung von Fach- und Lehrbüchern in Universitäten gestritten. Die Lehrbuchverlage fürchten um ihren Markt, die Bibliotheken und Hochschulen wollen Geld sparen. 'Statt gemeinsam mit Autoren, Verlegern und Verwertungsgesellschaften umfassende Lizenzlösungen für elektronische Semesterapparate und intranetgestütztes Unterrichten und Forschen anzubieten, hat man Professoren und Dozenten (...) zu Urheberrechtsverletzungen verleitet', hieß es vom Börsenverein der Deutschen Buchhandels, der das Urteil begrüßte. Die Revision zur erneuten Verhandlung des Falls vor dem Bundesgerichtshof wurde zugelassen.JOHAN SCHLOEMANN

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