Koalitionskompromiss: Durchwursteln zur Energiewende | ZEIT ONLINE – Die Zeit

Was bringt der Kohle-Kompromiss? Für die Industrie Erleichterungen, für Umwelt und Stromkunden sind die Nachrichten nicht ganz so gut. von Fritz Vorholz

Energiewende

Windanlagen in Brandenburg  |  © Patrick Pleul/dpa

Wirtschaft ist zu 50 Prozent Psychologie. Das hat einmal ein
als besonders weise geltender Wirtschaftsminister gesagt. Ludwig Erhards
Erkenntnis hat den aktuellen Amtsinhaber Sigmar Gabriel offenbar über alle
Maßen beeindruckt. Alles wird gut, so lautet Gabriels Mantra, seitdem der
Koalitionsausschuss sich auf einige Eckpunkte für die Umsetzung der
Energiewende
geeinigt hat.

Tatsächlich regieren bei der Gestaltung der Energiewende vor allem zwei Prinzipien: durchwursteln und hoffen. Angeblich sind nun die Weichen gestellt für einen
Strommarkt, auf dem der Wettbewerb für jederzeit sichere Stromlieferungen sorgt
– trotz wachsender Anteile fluktuierender Erzeugung aus Sonne und Wind. Das vermeintliche
Erfolgsgeheimnis: Die Politik greift niemals in die Preisbildung ein – auch
dann nicht, wenn Medien Alarm schlagen, weil der Strompreis
explodiert. Das kann man glauben oder auch nicht.

Anzeige

Was politische Ewigkeitsversprechen wert sind, offenbart
jedenfalls das griechische Schuldendrama. Angeblich war die Eurozone nie als
Haftungsunion konzipiert, mittlerweile haftet allein Deutschland für mehr als
80 Milliarden Euro griechischer Schulden. Sollten auf Grund auch solcher
Erfahrungen die Investoren dem Strommarktversprechen der Politik misstrauen,
dann wird die elektrische Versorgungssicherheit zu wünschen übrig lassen. Und auch die erdachte Kapazitätsreserve bringt nicht die
nötige Absicherung. In die Reserve sollen nämlich ausgerechnet alte
Braunkohlekraftwerke kommen – und die stehen da, wo jedenfalls auf absehbare
Zeit keine Stromknappheit herrschen wird: in Nordrhein-Westfalen und in Ostdeutschland.

Das Konzept, auf das sich die große Koalition einigte, wird um fast zehn Milliarden Euro teurer, als die ursprünglich geplante Abgabe für alte Braunkohlekraftwerke. Umweltschützer und Grüne kritisieren die Beschlüsse. Video kommentieren

Das Geld bezahlt der Stromkunde

Immerhin, zur Genugtuung von Horst Seehofer, und damit das
Netz nicht kollabiert, werden auch südlich des Mains ein paar neue Stromfabriken
errichtet. Das ist besser als ein Blackout, aber klar ist auch, wo die Rechnung
landet: beim Stromverbraucher. Der wird obendrein für die Erdkabel zu zahlen
haben, die bei den geplanten Stromautobahnen nun "Vorrang" erhalten sollen.

Darüber können sich diejenigen freuen, die wegen drohender
Strommasten um ihre Gesundheit, den Wert ihres Eigenheims, oder den Blick in eine
schöne Landschaft gefürchtet hatten; es wird aber nicht die elende Debatte um
den Netzausbau beenden. Im Gegenteil: Je teurer der Stromtransport wegen der
Erdverkabelung nun wird, desto attraktiver wird die Idee, den Transportbedarf
durch Schaffung lokaler "Energiezellen" zu minimieren: Dadurch, dass Energie vor
Ort erzeugt und direkt vor Ort wieder verbraucht wird. Wie eine solche
"Energiewende von unten" organisiert werden könnte, steht sogar in einer
aktuellen Studie eines unverdächtigen energietechnischen Fachverbandes.

Das erschütterndste Kapitel der Einigung zwischen den drei
Parteivorsitzenden trägt die Überschrift "CO2-Minderung", also Klimaschutz. Der
Kabinettsbeschluss vom Dezember vergangenen Jahres war eindeutig: Zusätzlich zu
allem, was ohnehin schon absehbar oder beschlossen war, solle der Stromsektor
seine Emissionen bis zum Jahr 2020 um 22 Millionen Tonnen vermindern. Zusätzlich!
Es gab sogar ein verursachergerechtes Konzept dafür: den Klimabeitrag. Weil die
Kohlelobby behauptete, dadurch würde die Branche in die Knie gezwungen, knickte
Gabriel ein. Nun steht nicht
nur infrage, wie viel zusätzlichen Klimaschutz es gibt; die Kosten dafür
landen auf jeden Fall beim Verbraucher und beim Steuerzahler.

  • Erstens sollen als Teil des
    22-Millionen-Tonnen Pakets Braunkohlekraftwerke mit einer Leistung von
    2.700 Megawatt vom Netz gehen – allerdings stehen knapp 800 Megawatt davon schon im
    "Projektionsbericht" der Regierung, sind also nicht zusätzlich.
  •  Zweitens heißt es in der Einigung zwischen Merkel, Gabriel
    und Seehofer, durch die Stilllegung der alten Kraftwerke seien 11 bis 12,5
    Millionen Tonnen Kohlendioxid einzusparen. Maximal 9 Millionen Tonnen sind
    möglich, sagen selbst regierungsinterne Fachleute.
  • Drittens erhalten die Kraftwerksbetreiber "eine
    kostenbasierte Vergütung"; in welcher Höhe bleibt abzuwarten. Das dahinter
    stehende Prinzip: Entschädigung für unterlassenen Umweltfrevel.
  • Viertens, bizarrer geht es kaum, steuert die
    Braunkohlewirtschaft "verbindlich" und "gegebenenfalls" weitere 1,5 Millionen
    Tonnen CO2-Minderung bei. Buchstabiert sich so die Versöhnung von Ökonomie und
    Ökologie?  
  • Fünftens: Die Ziele für den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung werden
    zwar reduziert, die Förderung aber wird erhöht. Kostenpunkt für den
    Verbraucher: 0,3 Cent pro Kilowattstunde, plus Mehrwertsteuer.
  •  Sechstens schließlich sollen Gebäudeeigentümer, Kommunen,
    Industrie und die Bahn animiert werden,
    5,5 Millionen Tonnen zur CO2-Minderung beizusteuern. Der Fiskus will sich die
    Sache jährlich 1,16 Milliarden Euro kosten lassen. Nur, welche Sache
    eigentlich, das ist noch gar nicht entschieden.

Angesichts so vieler Unklarheiten davon zu sprechen, wie es
Gabriel tat, die losen Zahnräder der Energiewende fügten sich nun zu einem
Uhrwerk, ist nicht nur eine gewagte, es ist eine fantastische Behauptung. Das
wird sich, trotz aller Psychologie, schon bald erweisen.

Wie nachhaltige Energieversorgung bei Strom, Wärme und Verkehr erreicht werden soll – wir erklären die sogenannte Energiewende in Zusammenarbeit mit explainity. Video kommentieren

Open all references in tabs: [1 - 6]

Leave a Reply