Kino: “Eine dunkle Begierde” – Von Schnurrbärten und Psychoanalyse

“Eine dunkle Begierde” führt den Zuschauer zurück ins frühe 20. Jahrhundert und den Psychologen C. G. Jung tief an die Abgründe seiner Begierden. 5vier.de-Redakteur Andreas Gniffke hat sich den Film angesehen.

Foto: Vorhang auf von daskerst, CC BY

Es ist eine Geschichte von Väterkonflikten, die Regisseur David Cronenberg (Naked Lunch, A History of Violence) erzählt. Im Mittelpunkt steht der junge, aufstrebende Psychologe Carl Gustav Jung (Michael Fassbender, Inglourious Basterds, Centurion). Dessen bis dahin wohlgeordnetes Leben gerät zunehmend außer Kontrolle, als die junge, an Hysterie leidende Sabina Spielrein (Keira Knightley, Fluch der Karibik, Abbitte) seine Patientin wird. Früh offenbart sich ihre abgründige, masochistische Sexualität, ausgelöst durch einen gewalttätigen Vater. Jung merkt schnell, dass ihn diese kompromisslose Art der Lust fasziniert und er verfällt zunehmend seiner Patientin, die er nach erfolgreich absolvierter Gesprächstherapie umgehend zu seiner Assistentin macht. Doch auch er hat mit einer Vaterfigur zu kämpfen. Er wird zum Lieblingsschüler Sigmund Freuds (Viggo Mortensen, Herr der Ringe, A History of Violence), dem gealterten Urvater der Psychoanalyse, der sein Mentor wird und Jung als seinen Nachfolger auserkoren hat. Freud bewundert den Scharfsinn und das analytische Talent seines jungen Kollegen, doch bald weist auch deren Beziehung erste Risse auf. Jung verliert endgültig die Kontrolle, als er Otto Gross (gespielt von einem tollen Vincent Cassel, Black Swan, Die purpurnen Flüsse) begegnet, ebenfalls Psychoanalytiker, Anarchist und Frauenheld, der sich auf Wunsch seines Vaters (!) bei Jung in Therapie begeben hat, aber vielmehr zum Therapeuten des zwischen Lust und Konvention hin und hergerissenen Jung wird.

Eine erniedrigte, geschlagene, starke und glückliche Frau

Es ist wahrlich keine leichte Kost, die uns David Cronenberg hier präsentiert, doch dank großartiger Schauspieler entwickelt sich ein faszinierendes Spiel zwischen Lust und Qual, Leben und Selbstbeherrschung. Michael Fassbender verkörpert eindrucksvoll den etwas steifen und braven C. G. Jung, dessen langweiliges Familienleben mit seiner reichen und reichlich langweiligen Ehefrau durch die Begegnung mit der wilden, lusterfüllten Sabina Spielrein von Grund auf umgewälzt wird. Eine teilweise entfesselt aufspielende Keira Knightley beweist als von Hysterieanfällen gepeinigte Frau Mut zur Hässlichkeit, doch Jung kann sich der Verführung nicht entziehen. Viggo Mortensen spielt Sigmund Freud als Grand Seigneur, dem es vor allem an der Vollendung seines Lebenswerks gelegen ist; neue Impulse wie von Jung mehr und mehr ins Spiel gebracht, bringen dies jedoch in Gefahr. Gerade die geschliffenen Dialoge zwischen Freud und Jung sind eine große Stärke des Films und man merkt, dass hier zum Teil ein Theaterstück Pate gestanden hat. Die Liebesgeschichte zwischen Jung und Spielrein ist erstaunlich brav inszeniert, wer prickelnde Sadomaso-Szenen erwartet hat wird wohl enttäuscht werden. Der brave Doktor Jung schwingt zwar beherzt seinen Gürtel, dennoch entsteht nicht wirklich eine atemlose Stimmung zwischen dem Herrn und seiner unterwürfigen Geliebten, der es dennoch zu gefallen scheint. Jung wird schwach, nicht nur weil er der treuen Mutter seiner Kinder fremd geht (was den Zuschauer nicht wirklich verwundert), sondern weil er ein feiges Lügengebäude strickt, an dem auch seine Beziehung zu Freud letztendlich zerbricht.

Die Geschichte der Psychoanalyse spannend verpackt

Es ist ein Beziehungsdrama auf zahlreichen Ebenen, das Cronenberg hier entwickelt, doch er erzählt auch faszinierend und detailversessen von der Entstehung einer Wissenschaft. Der Klinikalltag, die Behandlungsräume, die zum Teil merkwürdig anmutenden Behandlungsmethoden sind akribisch eingefangen und der Film schafft es, die Atmosphäre der Zeit auch in den Caféhäusern und Herrenklubs treffend einzufangen. Die Ausstattung ist bis zu den kunstvollen Schnurrbärten der männlichen Hauptdarsteller fantastisch und macht den Film zusammen mit den Schauspielern zu einem eindrucksvollen Erlebnis. Somit ist er nicht nur für die zahlreichen Studierenden der Psychologie in unserer Stadt zu empfehlen!

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