Keine Angst vor Kompetenzen

14.05.2012 | 11:28 | 

Gerhard Prade, Philosophielehrer (Die Presse)

Kompetenzorientierung im Psychologie- und Philosophieunterricht und die neue Reifeprüfung. Ein Vortrag von Gerhard Prade.

Kompetenzen können als menschliche Dispositionen zum Handeln definiert werden, die aufgebaut sind auf Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten, sowie Einstellungen und Haltungen. Dabei besteht eine untrennbare Einheit der Kompetenzdimensionen Sach-, Methoden-, Selbst- und Sozialkompetenz. Unter Sachkompetenz versteht man den Erwerb sachlicher Kenntnisse in verschiedenen Fachgebieten, sie ist daher inhaltsgebunden. Methodenkompetenz wird anhand konkreter Inhalte erworben, das wäre zum Beispiel die Fähigkeit, Ergebnisse zu strukturieren und zu präsentieren. Sozialkompetenz könnte sich zeigen, indem man u.a. Ziele erfolgreich im Einklang mit anderen verfolgt. Selbstkompetenz schließlich wäre zum Beispiel, die eigenen Stärken und Schwächen zu erkennen und richtig einzuschätzen.

Kompetenzen zielen auf einen Prozess des Selbstlernens, weil man auf Fähigkeiten setzt, die nicht allein aufgaben- und prozessgebunden sind, sondern ablösbar von der Ursprungssituation problemoffen sind. Doch Lernende verhalten sich im Unterricht oft rezeptiv. Sie lassen sich von den Aufgaben und Hinweisen der Lehrkräfte leiten. Die Verantwortung für den persönlichen Lernprozess wird vor allem an die Lehrenden übertragen. Da wird dann oft viel träges Wissen angesammelt, weil der Schwerpunkt auf reproduzierbaren Fakten liegt. Die selbstständige Übertragung auf neue Situationen gelingt oft nicht, weil diese Anforderung für viele SchülerInnen zu komplex ist.

Selbstverantwortung der Schüler fördern

Gerade das Fach Psychologie und Philosophie könnte hier innovativ sein, indem die Selbstverantwortung der SchülerInnen gefördert wird. Das umfasst auch, die Verantwortung für das eigene Lernen zu übernehmen. Die Vielfältigkeit der Anwendungsmöglichkeiten erfordert es, dass die Entwicklung und Förderung von Kompetenzen eine ausreichende Breite von Lernkontexten, Aufgabenstellungen und Transfersituationen umfassen muss. Eng gefasste Leistungserwartungen werden dem Anspruch von Kompetenzmodellen nicht gerecht, eine reine Wissensabfrage kann eine Kompetenz nicht angemessen bewerten.

Psychologie und Philosophie muss als Fach gesehen werden, das sich mit gegenwärtigen Fragen und Problemen auseinandersetzt und das bewusst die Objektivität psychologischer beziehungsweise philosophischer Wissenschaft mit der Subjektivität persönlicher Auseinandersetzung verbindet und wo es nicht um eine Flucht in die Perspektive der dritten Person geht, sondern um ein Bekenntnis des Ich. Gefordert sind Selbstdenken und Selbstreflexion. Fasst man also Philosophieren als ein Tun auf, bei dem es um eine Klärung von Gedanken geht und das sich durch eine Abkehr von passiver konsumistischer  Haltung hin zum aktiven Denken auszeichnet, dann korreliert es mit dem Kompetenzbegriff.

Konstruktion adäqauter Lernsituation

Ein Psychologie- und Philosophieunterricht, der das Reflektieren, Analysieren und Argumentieren in den Mittelpunkt stellt, vermittelt Kenntnisse, die hilfreich sind bei der Bewertung von Informationen und dazu befähigen, Stellung zu beziehen und eigene Entscheidungen zu begründen. Fachimmanent ist daher nicht nur die Vermittlung von Sach- oder Methodenkompetenz, sondern auch die Ausbildung der Persönlichkeit in Form sozialer und personaler Kompetenzen. Kompetenzorientierung nimmt ihren Ausgang allerdings nicht bei bestimmten psychologischen und philosophischen Inhalten, sondern bei den Lernprozessen der SchülerInnen. Das verändert die LehrerInnenrolle. Im Vordergrund steht nicht mehr die Wissensvermittlung, sondern die Konstruktion von adäquaten Lernsituationen. Trotzdem bleibt die Lehrperson das wichtigste Medium im Unterricht, welche diesem klare Strukturen gibt.

Die Kompetenzorientierung sollte sich in den Aufgabenstellungen für die neue mündliche Reifeprüfung niederschlagen. Jede dieser Aufgabenstellungen sollte neben einem Reproduktionsaspekt auch Anwendungs- und Reflexionsaspekte umfassen. Um entsprechende Aufgabenstellungen bei der Reifeprüfung bewältigen zu können, muss das natürlich vorher schon geübt worden sein. Daher wird im Unterricht, ausgehend vom LehrerInneninput, vermehrt auf SchülerInnenselbsttätigkeit geachtet werden müssen. Gerade im Bereich Philosophie gibt es eine Fülle von Texten, die die SchülerInnen selbstständig bearbeiten könnten. Das heißt aufgrund seiner prinzipiellen Ausrichtung besonders auf Reflexion sollte diese Anforderung für den Psychologie- und Philosophieunterricht kein größeres Problem darstellen, daher keine Angst vor Kompetenzorientierung.

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