Kasseler Psychologie-Professorin über den Umgang Fehlern an der Arbeit

Potenzmittel Viagra

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Kassel. Wer als Mitarbeiter einen Fehler macht, der ist an einer Aufgabe gescheitert, den Ansprüchen nicht gerecht geworden. So oder so ähnlich wird in vielen Firmen gedacht.

Doch Fehler müssen nicht immer schlecht sein. Das sagt Kathrin Rosing, Juniorprofessorin für die Psychologie unternehmerischen Handelns an der Universität Kassel. Manchmal entstehe aus ihnen sogar etwas Innovatives.


Über welchen Fehler haben Sie sich zuletzt geärgert? 

Kathrin Rosing: Ich erwartete Besuch und wollte Sahne für den Kuchen schlagen. Es wurde aber nur Butter daraus. Ich dachte, es läge daran, dass es laktosefreie Sahne war. Beim Blick auf die Packung stellte ich aber fest, dass Sahne kalt sein muss, um sie zu schlagen. Durch den Fehler merkte ich, dass meine Annahmen nicht zutrafen. Natürlich habe ich mich im ersten Moment geärgert, dass es nun trockenen Kuchen gab.

Wie gehen die Deutschen mit Fehlern um?

Rosing: Deutschland ist groß darin, Fehler zu vermeiden. Unsicherheit wird als negativ wahrgenommen. Deshalb läuft vieles nach formalisierten Prozessen ab, es gibt viele Regeln. Es besteht der Glaube: Wenn ich mich genug anstrenge, passieren keine Fehler. In Lateinamerika oder den USA ist das anders.

Aber was ist so nachteilig an diesem deutschen Umgang?

Rosing: Wenn ich nur darauf erpicht bin, Fehler zu vermeiden, dann verhindere ich, dass daraus etwas erlernt wird und Innovationen entstehen können. Wenn ich das Gefühl habe, dass ich unter keinen Umständen einen Fehler machen darf, werde ich als Mitarbeiter nichts Neues ausprobieren.

Haben Sie Beispiele dafür, dass Fehler zu etwas Positivem führen können? 

Rosing: Das Potenzmittel Viagra sollte eigentlich ein Herzmedikament werden. Als solches war es aber unwirksam. Ein Fehlschlag. Dann entdeckten die Forscher die ungewollten Nebenwirkungen. Bei der Erfindung des Penicillins war es ähnlich. Ein schottischer Bakteriologe hatte eine Probe mit Bakterien geimpft und vergessen, sie wegzuräumen, bevor er in die Ferien fuhr. Durch die Nachlässigkeit wuchs der Schimmelpilz, hinderte die Bakterien an der Ausbreitung und lieferte den Grundstoff für Penicillin.

Gibt es auch außerhalb der Medizin Belege? 

Rosing: Leitfähige Kunststoffe wurden geschaffen, weil sich ein Forscher verrechnet hatte und aus Versehen das Vielfache eines Stoffes für die Mischung hinzufügte. Und die Idee für Eis am Stiel soll geboren worden sein, als der Sohn eines Lebensmittelfabrikanten ein Glas mit Limonade mit einem Löffel drin nachts draußen stehen ließ.

Gibt es weitere Vorteile eines offenen Umgangs mit Fehlern? 

Rosing: Absolute Sicherheit wird es nie geben. Passiert ein Fehler, werde ich aus Sorge vor negativen Reaktionen versuchen, diesen vor Kollegen und Vorgesetzten zu vertuschen. So können Fehlerkaskaden mit schlimmen Auswirkungen entstehen.

Und solche wären bei einem produktiven Umgang mit Fehlern vermeidbar? 

Rosing: Viele negative Auswirkungen lassen sich sicher verhindern, wenn ich frühzeitig eingreife. Dafür muss ich den Fehler aber zunächst offenbaren und sagen können: Okay, der Fehler ist passiert, was machen wir jetzt? Dafür muss im Unternehmen eine Fehlerkultur etabliert sein.

Wie ist so etwas möglich? 

Rosing: So etwas geht nicht von heute auf morgen. Vorgesetzte spielen hierbei eine zentrale Rolle. Wichtig ist es, den Mitarbeitern zu versichern, dass sie Fehler machen dürfen und der anschließende Umgang damit viel entscheidender ist. Dafür müssen die Betroffenen in der Lage sein, schnell über ihren Ärger hinwegzukommen.

Plädieren Sie also für einen leichtfertigen Umgang mit Fehlern? 

Rosing: Nein, im Gegenteil. Ein laxer Umgang ist nicht der richtige Weg. Es geht darum, Fehler ernst zu nehmen. Zum Beispiel genau zu untersuchen, wie ein Fehler entstehen konnte und eigene Annahmen zu hinterfragen. Das heißt nicht, dass man so viele Fehler wie möglich machen sollte. Es gibt auch Fehler, die zu nichts Gutem führen. 

Dr. Kathrin Rosing (33) ist seit 2014 Juniorprofessorin für Psychologie des unternehmerischen Handelns an der Universität Kassel. Zuvor hat die Kasselerin in Osnabrück studiert und in Gießen und Lüneburg promoviert.

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