Joachim Müller-Jung – FAZ

<!-- Artikel-Services
DruckenVorherige Seite
-->


08. Mai 2012, 11:34
Uhr

Ach ja, der „Spiegel" hat jetzt auch Facebook entdeckt. Mit solchen und anderen wenig schmeichelhaften Gehässigkeiten hat die Netzgemeinde auf den aktuellen „Spiegel"-Titel reagiert. Da staunten sie:  „901 Millionen Menschen gefällt das: Facebook. Warum eigentlich?" Wer das nur liest (und nicht hinter die gediegen infantile Aufklärer-Fassade zu blicken versucht), der darf sich wirklich wundern. Wie hat es die Redaktion bloß geschafft, das Phänomen Facebook erst jetzt zu entdecken?

In Wirklichkeit ist der Titel natürlich eine raffinierte psychologische Trickkiste - eine von der Sorte, der kaum jemand ausweichen kann. Ein Aufruf zur Selbstbefragung. Nun ist die Anleitung zur Selbstbefragung nicht nur ein probates Mittel der Kundenwerbung für Magazine, es war ja schon in unseren Poesiealben ein beliebtes Verfahren und ist ja auch das eigentliche Geschäftsmodell von Facebook selbst: Denn in dem Sozialnetzwerk geht ja nicht nur darum, Freunde, die sich sowieso schon kennen, virtuell zu verbinden, wie das Mark Zuckerberg, der Psychologiestudent, raffinierterweise erkannt hat. Nein, es geht vor allem darum, dieses Netzwerk immer weiter auszubauen. Soziales Prestige zu gewinnen. Informationen und Ideen zu sammeln. Tratsch zu verbreiten. Sich gemeinsam zu wundern. Sich lustig zu machen über die Welt und andere. Über das Gleiche zu lachen. Und was braucht es für all das? Nicht viel erstmal: Zuerst nur die Bereitschaft zur Selbstauskunft, das eigene Profil und den Willen, sich immer wieder selbst zu fragen, wo stehe ich warum, mit was und wofür. Dass das als soziales Prinzip nicht nur funktioniert, sondern fast autokatalytische Züge der Zusammenrottung in sich trägt, zeigt Twitter, das andere soziale Netz, das qua Nutzerzahlen in wenigen Jahren durch die Decke geschossen ist. 

 

Das Ganze jedenfalls erweckt den Eindruck, als hätte es etwas Triebhaftes (und keineswegs nur für die sogenannten  digital natives) Es muss tatsächlich so was wie ein infektiöses Modell der sozialen Urheberschaft sein: Wer mitwirkt, hat Mehrwert - oder glaubt jedenfalls etwas zu gewinnen. Das muss im Einzelfall natürlich gar nicht so sein, je nachdem wie stark man selbst engagiert ist. Aber es bleibt der Verdacht: Hinter diesen virtuellen Versammlungen muss etwas Zwanghaftes stecken. Eine Art Urinstinkt der sozialen Vernetzung. Diesem Prinzip sind nun Diana Tamir und Jason Mitchell, zwei Psychologen der  Harvard-Universität nachgejagt. Ihre Grundthese, immerhin, klingt erstmal wenig rückwärtsgewandt: Soziale Vernetzung wird vom Verstand geleistet. Andere Primaten jedenfalls, behaupten sie, streben nicht diesen hohen Grad an Vernetzung  an, und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Selbstenthüllung  ist für den Menschen ein Lustprinzip. Mit anderen Worten: Der Mensch outet sich, weil es ihn innerlich befriedigt. Seelig sind wir erst, wenn wir etwas über uns mitteilen können. Und es befriedigt uns buchstäblich, weil es sich mit der Selbstenthüllung nämlich mental verhält wie mit einem zarten Chateaubriand oder gutem Sex - es stimuliert das neuronale Belohnungszentrum im Gehirn. Wir Man wird davon leicht psychisch abhängig. So gesehen hätte der Wunsch nach Selbstdarstellung also tatsächlich doch etwas Unwillkürliches, Triebhaftes an sich.

Ausgangspunkt ihrer Überlegungen waren empirische Befunde, wonach 30 bis 40 Prozent dessen, was wir tagtäglich erzählen, über persönlichen Erfahrungen oder die eigenen Beziehungen handelt. Im Internet steht das Selbst noch viel mehr im Mittelpunkt: 80 Prozent der Beiträge auf Twitter enthalten in den maximal zulässigen 140 Zeichen Mitteilungen, die eigene Erlebnisse oder Eindrücke schildern. Und schließlich hat die eigene Zunft schon länger gezeigt, dass Babys schon im zarten Alter von neun Monaten anfangen, die Aufmerksamkeit der Erwachsenen auf Gegenstände zu lenken, die sie selbst für interessant erachten. Das empirische Gerüst galt ihnen jedenfalls als solide genug. Nun haben sich Tamir und Mitchell also daran gemacht, der möglichen  neuronalen Kausalität auf den Grund zu gehen.

Sie haben sich dazu der funktionellen Kernspintomographie bedient, einem Verfahren also, das schon routinemäßig eingesetzt wird, um Verbindungen zwischen Denken und Hirnaktivität offen zu legen. Dem Gehirn soll quasi beim Denken zugesehen werden. Über die methodischen Einschränkungen und die in vielerlei Hinsicht beschränkt aussagekräftigen Bilder aus solchen Hirnscans soll hier nicht weiter diskutiert werden. Es gibt jedenfalls Studien, die in ihrem Ergebnis so  konsistente Aufnahmen liefern, dass es sogar Kritikern schwer fällt, einen direkten Zusammenhang zwischen Denkvorgang und dem synchron aufgenommenen Hirnbild rundheraus abzulehnen. Hirnaufnahmen von  dieser Güte liefern Tamir und Mitchell nun in den „Proceedings" der Nationalen Akademie der Wissenschaften. In fünf Experimenten sind jeweils ein paar Dutzend Probanden vor die Wahl gestellt worden: Zuerst sollten sie eine Frage über sich selbst beantworten („Wie sehr macht Ihnen Wintersport Spaß") oder sie wurden nach der Haltung einer anderen Person befragt („Wie sehr mag  wohl Barack Obama Wintersport") oder um Faktenauskunft gebeten (Richtig oder falsch: Mona Lisa wurde von Leonardo da Vinci gemalt").  Ergebnis: Wann immer die Wahl besteht, entscheidet sich eine deutliche Mehrheit für die Selbstauskunft, und nur die Selbstenthüllung vermag das Belohnungssystem im basalen Vorderhin mit dem Nucleus accumbens und dessen Verbindungen zur Ventralen Tegementalen Zone - den VTA-Neuronen - im Mittelhirn  deutlich zu stimulieren.

In  einer anderen Versuchsreihe wurden Probanden befragt, ob sie, wenn sie anderen etwas mitzuteilen hätten, lieber Selbstauskünfte geben, Fragen zu anderen beantworten oder Tatsachen beschreiben wollten, wieder die Selbstauskunft bevorzugt wurde - und zwar auch um den Preis, dass das etwas mehr kostet. In zwei Experimenten jedenfalls war die Kommunikation mit einem (geringfügigen)  Entgelt, ein paar Cent,  verknüpft worden. Selbstauskünfte brachten allerdings etwas weniger ein als andere Mitteilungen. Dennoch wurden sie klar bevorzugt. Und wieder war es das positive Belohnungssystem der Probanden, das auf die Introspektion, die Beschäftigung mit sich selbst,  angesprochen hat. Nicht nur das: Mit einem Publikum als Abnehmer der Selbstenthüllung war der hirnphysiologische Effekt im Belohnungssystem noch größer, es wurde offenbar noch mal deutlich mehr von dem „Glückshormon" Dopamin ausgeschüttet.

Und weil der experessiven Beschäftigung mit dem Selbst offenbar ein so hoher „innerer Wert", wie die Psychologen meinen, beizumessen sei, müsse das natürlich auch evolutionäre Gründe haben. Anders gesagt: Der unstillbare Hunger nach Selbstbefragung muss dem Menschen offenbar einen Überlebensvorteil gebracht haben. Es ist die ultimative Frage nach der Fitness. Und die müsse dringend beantwortet werden. Ein aussagekräftiges Kollektiv dazu hätten wir zumindest: Mindestens 901 Millionen Facebook-Nutzer. Die müssten nur sorgfältig - und wahrheitsgemäß - Buch führen über ihre Reproduktionserfolge. Das setzt  freilich voraus, dass das Geschäftsmodell von Facebook auch langfristig trägt. Dafür jedoch würde heute gewiss kein Wirtschaftsfachmann seine Hand ins Feuer legen. Die ökonomischen Belohnungssysteme sind, wie schon der eine oder andere vermeintliche Internetriese leidvoll erfahren hat, am Ende doch deutlich fragiler als die biologischen.

 Fotos: jom/PNAS

Open all references in tabs: [1 - 9]

Leave a Reply