Ja, da spare mir, da spare mir

Man hätte einfach nur die schwäbische Hausfrau fragen sollen“, sagte Angela Merkel Anfang Dezember 2008 in Stuttgart: „Sie hätte uns eine Lebensweisheit gesagt: Man kann nicht auf Dauer über seine Verhältnisse leben.“ Seither gehört die schwäbische Hausfrau zum Inventar der Debatten über die Sanierung öffentlicher Haushalte.

Merkel selbst ist in Hamburg geboren, in der DDR aufgewachsen, hat Physik studiert, ist Politikerin. Woher weiß sie, wie eine schwäbische Hausfrau denkt? Und wieso spricht sie nicht von der fränkischen oder preußischen Hausfrau?

Merkel stützt sich auf ein Stereotyp, das der Schlagerkomponist Wolfgang Neukirchner (von dem u.a. auch „Es gibt kein Bier auf Hawaii“ und „Blau, blau, blau blüht der Enzian“ sind) in einen Refrain fasste: „Schaffe, schaffe, Häusle baue, und net nach de Mädle schaue. Und wenn unser Häusle steht, dann gibt's noch lang kei Ruh, ja, da spare mir, da spare mir, für e Geißbock und e Kuh.“ Ralf Bendix (mit bürgerlichem Namen Karl Heinz Schwab) sang das 1964. Auch viele Schwabenwitze spielen mit diesem Klischee. So antworten Deutsche anderer Gegenden auf die Frage, welches Wort ein Schwabe als Erstes lerne, prustend mit: „Bausparvertrag!“

Vorarlberg: „Schaffa, Hüüsle baua“

Ähnlich wie den Schwaben sagt man den Vorarlbergern einen Hang zu Fleiß und Sparsamkeit nach, sie passen den obigen Text halt an ihr Vokalrepertoire an und sagen: „Schaffa, Hüüsle baua.“

Was haben Schwaben und Vorarlberger gemein? Sie sprechen beide einen alemannischen Dialekt. Daraus einen alemannischen „Volkscharakter“ zu destillieren, gelingt freilich nicht. Denn die Badener gelten z.B. nicht als sonderlich sparsam oder baufreudig, eher als genussfreudig.

Wer von Max Webers Buch „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ gehört hat, wird vielleicht argwöhnen, dass solche (angeblichen) regionalen Charaktere mit der Konfession zu tun haben. Auch das geht nicht auf: Selbst wenn man Sparsamkeit und Häuslichkeit unorthodoxerweise mit Katholizismus assoziieren wollte, kämen einem die Schotten in die Quere, von denen nur 16 Prozent katholisch sind, die aber nicht nur als sparsam, sondern sogar als geizig gelten. Ganz ähnliche Witze wie über die Schotten werden übrigens über die Katalanen erzählt, und die sind wie alle Spanier mehrheitlich katholisch.

Die Landschaft bestimmt offensichtlich nicht, ob eine Population im Ruch der Sparsamkeit steht oder nicht; Thesen über historische Faktoren halten nicht; die Gene sind's wohl auch nicht. Jedenfalls wird die Sparsamkeit mindestens ebenso oft als bäuerliche wie als bürgerliche Eigenschaft angesehen. Als proletarische naturgemäß kaum: Wer nichts hat außer seinen Kindern, hat offenbar nicht gespart und/oder nichts zu sparen. Als spezifisch „kleinbürgerlich“ gelten die Sparvereine, die aber selten große Summen ansparen, sondern den Konsum – die sprichwörtliche Gans – nur kurz aufschieben und/oder gar den Konsumverzicht nur vorschützen, um ein Motiv für den Wirtshausbesuch zu haben. Dass (angebliche) Sparsamkeit von Bevölkerungen oft mit (angeblicher) Sauberkeit einhergeht, freut die Freudianer, die in beiden Eigenschaften den „analen Charakter“ sehen: Sie finden in diesem das Kind, das soeben zu kontrollieren gelernt hat, was es ausscheidet und was es in sich behält. Freud brachte dies (über den „Bemächtigungstrieb vonseiten der Körpermuskulatur“) auch mit sadistischen Zügen zusammen, was für Nichtpsychoanalytiker schwer begreiflich ist, aber Hinweise für die Erklärung der oft grausamen Metaphorik des Sparens (siehe Subtext) geben könnte.

Zurück zu den Schwaben. Der wohl böseste Witz über sie schildert eine Familienrunde nach dem Ableben des Vaters. Wo man seine Asche denn beisetzen solle, wird debattiert. Nicht auf dem Friedhof, sagt der Sohn, denn das koste etwas. Nicht im Herrgottswinkel, sagt die Tochter, denn sonst müsse sie dort vermehrt abstauben. Da hat die Witwe eine Idee: „In d' Sanduhr kommt er, schaffe soll er!“

Wie dieser Asche geht es dem Ersparten, wenn es nicht im Strumpf oder in der Lade ruht, sondern auf die Bank getragen wird: Es muss schaffen, die Wirtschaft beleben. Es reicht auch nicht, wenn es nur im Kreis geht wie im Budapest der Wirtschaftskrise, das Ferenc Molnár so beschrieb: „In ganz Budapest sind noch 2000 Pengö, und die gibt jede Nacht jemand andrer aus.“

Keith Richards gibt alles gleich aus!

„I never kept a dollar past sunset“, hat Keith Richards in seinem schönen Lied „Happy“ diese unschwäbische Haltung besungen: „It always burned a hole in my pants.“ Er variierte damit ein altes Motiv aus Volkslied, Blues und Rock'n'Roll: „Saturday night and I just got paid“, heißt es etwa in „Rip It Up“ von Little Richard: „I'm a fool about my money, don't try to save.“

Nein, damit hätte die schwäbische Hausfrau keine Freude. Sie hat eher einen Seelenfreund in Niki Lauda, der in Werbespots sein Credo verkündet: „Ich habe ja nichts zu verschenken.“ Ähnliche Sprüche sind aus vielen großbürgerlichen Familien überliefert (etwa aus dem Dresdener Haus Werhahn: „Mir hannt et nit vom Ussjewwe, sondern vom Behalde!“), sie drücken die – meist unrealistische – Vorstellung aus, dass auch große Reichtümer durch Kumulation kleiner Beträge entstanden seien, die man eben nicht ausgegeben, sondern gespart habe. Oder auf deren Eintreibung man nicht verzichtet habe: „Wer den Groschen nicht ehrt, ist den Schilling nicht wert.“

Dabei soll das Geld sich nicht nur summieren, sondern multiplizieren, potenzieren! Wofür man freilich eine Hand haben muss. In seiner Erzählung von der Schwiegermutter, die ihn mit großen, zu vermehrenden Beträgen prüft, zeichnet Karl Heinz Grasser diese als Richterin über seine diesbezüglichen Fähigkeiten: Der Möchtegern-Bräutigam verdient die Tochter erst, wenn er gezeigt hat, dass er sich auf die Geldvermehrung versteht. Sonst kann er ja nicht mit ihr über seine Verhältnisse – also die Verhältnisse, aus denen er kommt – leben. Ob die schwäbische Hausfrau für solche Prüfungen einen Sinn hätte?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.02.2012)

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