Ist mein Kind schon onlinesüchtig?


Hannover –  

Die Tochter chattet den ganzen Tag, der Sohn spielt jede freie Minute am Computer. Viele Eltern fragen sich besorgt: Ist das noch normal oder ist mein Kind schon onlinesüchtig? Etwa vier Prozent der Jugendlichen entwickeln eine Abhängigkeit.

Die vergangenen zehn Jahre waren für Marvin ein ständiges Auf und Ab. Online-Rollenspiele oder Echtzeit-Strategiespiele bestimmten phasenweise seinen Alltag. Tag und Nacht verbrachte er vor dem Computer. „Man verliert sich, weil man große Begeisterung entwickelt. Man hat auch viel zu lachen“, erzählt der 31-Jährige in der Abhängigenambulanz der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Doch was ihn beglückte, machte ihm gleichzeitig das Leben zur Hölle.

Ständig ein schlechtes Gewissen

„Ich hatte ständig ein unheimlich schlechtes Gewissen. Dann löschte ich alle Spiele, wenig später installierte ich sie wieder neu. Einmal habe ich sogar meinen PC verkauft“, berichtet Marvin, der seinen wirklichen Namen nicht nennen möchte. Sein Studium lag weitgehend brach, und an Erfahrungen mit Mädchen mangelte es ihm völlig. Irgendwann habe er sich eingestanden: „Du verhältst dich sehr ähnlich wie jemand, der ein ernsthaftes Drogenproblem hat.“

In kleinen Schritten lernt Marvin nun in der Abhängigenambulanz der niedersächsischen Uniklinik, sich von seinem Lieblingsspielzeug zu lösen. Als Alternative hat er Laufen und Fitness entdeckt, das hilft in depressiven Phasen. Besser geht es ihm noch nicht unbedingt, trotz der regelmäßigen Einzel- und Gruppentherapie. „Wenn ich im realen Leben jetzt Positives erlebe, ärgere ich mich, weil ich das alles schon viel früher hätte erleben können“, sagt der Student.

Anerkennung als psychische Krankheit

Der Fachverband Medienabhängigkeit kämpft für eine Anerkennung der Computerspiel- und Internetsucht als psychische Krankheit. Im Diagnoseschlüssel der Weltgesundheitsorganisation ICD-10, nach dem Ärzte und Psychologen in Deutschland abrechnen, kommt die PC-Abhängigkeit bisher nicht vor. Das amerikanische Handbuch DSM-5 hat 2013 erstmals Kriterien zur Diagnose einer Computerspielsucht aufgestellt, aber deutlich gemacht, dass es zur Anerkennung als Krankheit weiterer Forschung bedarf.

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Laut einer Studie im Auftrag der Drogenbeauftragten der Bundesregierung aus dem Jahr 2011 gelten 560.000 Deutsche als Internetsüchtig. Das sind rund ein Prozent der Bevölkerung. Am häufigsten wurde die Sucht bei Mädchen zwischen 14 und 16 Jahren, (4,9 Prozent) festgestellt. Sie verbringen besonders viel Zeit in sozialen Netzwerken. Bei den gleichaltrigen Jungen gelten 3,1 Prozent als abhängig. Mit zunehmendem Alter steige allerdings das Suchtrisiko bei Männern.

Foto: dpa


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