Iris Scholl: Aus der Vogelperspektive

Iris Scholl: Aus der Vogelperspektive

Nichts ist spannender als Menschen, die etwas zu erzählen haben. Die Serie «Kopf der Woche» stellt solche Personen ins Zentrum. Diesmal erzählt Iris Scholl, Verhaltensforscherin, aus ihrem Leben.

ein Arbeitsplatz in luftiger Höhe: Iris Scholl auf dem Grossmünsterturm. (Bild: Nicolas Zonvi)

ein Arbeitsplatz in luftiger Höhe: Iris Scholl auf dem Grossmünsterturm. (Bild: Nicolas Zonvi)

Zur Person

Iris Scholl ist in Zollikerberg aufgewachsen und zog 1998 ins Zürcher Oberland. Sie hat an der Universität Zürich Psychologie und Zoologie mit Schwerpunkt auf Verhaltensforschung studiert. Nach einigen Jahren als Waldschulleiterin und -Lehrerin beim Stadtforstamt Zürich und Assistentin an der Universität Zürich hat sie sich im Jahr 1995 selbständig gemacht. In ihrem eigenen Büro für Verhaltensforschung und Ökologie in Uster widmet sie sich Projekten im Bereich Artenschutz und Öffentlichkeitsarbeit. Iris Scholl ist 55-jährig und wohnt mit ihrer deutschen Jagdterrierhündin Alea seit 2003 in der Neufuhr in Uster. (snk)

Doppelpass

Tiere sind …
Iris Scholl: … unkomplizierter und ehrlicher als Menschen. Sie reden einander nicht drein und haben keine vogefertigten Vorstellungen davon, wie das Gegenüber zu sein hat.

Ohne meinen Feldstecher …
… bekomme ich nur die Hälfte mit, was rund um mich herum läuft und lebt.

Meine bisher grösste Herausforderung im Leben war…
… das Hinaufklettern eines Baugerüsts an einem Turm des Grossmünsters – trotz Höhenangst. Das war, als ich mich im Laufe der Sanierung im Jahr 1990 für den Erhalt der Dohlennistplätze am Zürcher Grossmünster eingesetzt habe. Ich habe dabei realisiert, dass man vieles schaffen kann, wenn man sich einen Ruck gibt. Das hat mir die Angst vor der Zukunft genommen.

Ich vergesse alles um mich herum, wenn? …
… ich den Dohlen am Grossmünster zuschauen kann. Da läuft immer etwas. Es ist unglaublich schön, zu sehen, wie die Vögel aufeinander reagieren und miteinander umgehen.

Wenn ich nochmals 20 Jahre alt wäre?…
… würde ich versuchen, mich früher und entschiedener für die Natur einzusetzen – und mehr im Ausland zu arbeiten. Ich möchte aber auf keinen Fall nochmals 20 sein.

Interview: Stephan Kälin

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Früher waren ihr die Tiere näher als die Menschen. «Mittlerweile herrscht Gleichstand», sagt Iris Scholl. Die 55-jährige Verhaltensforscherin ist ein Naturmensch, eine Tierfreundin. Sie beobachtet Tiere, versteht sie, unterstützt sie – und tötet sie. Wenn es sein muss. Übers Töten spricht sie nicht gerne und erst dann, wenn sie ihr Gegenüber etwas kennt. Umso lieber spricht sie aber über ihre Arbeit mit den lebendigen Tieren. Zum Beispiel über die Dohlen auf dem Zürcher Grossmünster. Mehrmals in der Woche reist die Ustermerin nach Zürich und steigt die zahlreichen Treppenstufen im Südturm hinauf, vorbei an der Plattform, die für die «normalen» Besucher Endstation bedeutet.

Auch an diesem verregneten Frühlingsmorgen ist sie da. Alea, die Deutsche Jagdterrierhündin, rennt ihr voraus, die abgetretene Holztreppe hinauf. Vor einem ins Mauerwerk eingelassenen, grauen Türchen macht sie abrupt Halt, schnuppert aufgeregt und wedelt mit dem Schwanz. «Nicht jetzt», sagt Iris Scholl bestimmt. Was sich hinter dem Türchen verbirgt, muss erstmal warten. Zuerst will Iris Scholl nach den Dohlen sehen.

Dafür ist am Ende der Treppe eine waghalsige Kletterpartie nötig. Auf den schmalen Balken, die im Innern der Turmspitze spinnennetzartig verlaufen, schiebt sie sich auf dem Hintern den Nistkästen entgegen, die rundherum angebracht sind. Die Vögel sind ausgeflogen, ihre Spuren aber unübersehbar. Jeweils im Februar mistet Iris Scholl die Nistkästen am Grossmünster aus. Nicht nur jene der Dohlen, auch jene der Tauben. «Das gibt jeweils etwa 120 bis 130 Kilogramm Abfall», sagt sie.

Als das Grossmünster 1990 renoviert wurde, hat sich Iris Scholl für die Dohlen stark gemacht. In den letzten Jahren hat sie im Rahmen einer Studie versucht, die Überlebenschancen der Jungdohlen zu verbessern – mit Erfolg. Von Aufträgen wie diesem lebt Scholl seit sie sich 1995 mit ihrem eigenen Büro für Verhaltensforschung und Ökologie selbständig gemacht hat. Sie erstellt im Auftrag von Gemeinden und Städten Inventare von Mauer- und Alpensegler-Nistplätzen, unterhält ebendiese und verhandelt mit Architekten und Bauherren, wenn ein Neu- oder Umbau sie gefährdet. Sie publiziert wissenschaftliche Arbeiten und Informationsbroschüren und sperrt Strassen, wenn die Frösche in Paarungslaune ihre Laichgewässer aufsuchen.

Dass sie die Möglichkeit hat, viele verschiedene Dinge zu machen und dann zu arbeiten, wenn sie möchte, erachtet Iris Scholl als Privileg. «Eine Karriere in einem normalen Job, wäre aber auch nicht dringelegen», meint sie und begründet: «Ich bin nicht sehr stressresistent.»

Dass ihr die Aufträge nicht zufliegen, daran hat sich Iris Scholl mittlerweile gewöhnt. Im Mehrfamilienhaus in der Ustermer Neufuhr führt sie zusammen mit Alea ein bescheidenes Leben. «Ich habe keine Angst davor, nicht viel Geld zu haben», sagt sie und fügt etwas nachdenklicher hinzu: «Vielleicht rächt sich das im Alter.» Bislang habe sie jedoch einfach kein «Gspüri» für Existenzängste gehabt.

Viel wichtiger als die finanzielle Absicherung wertet die studierte Psychologin und Zoologin ihre Freiheit – und dass sie das machen kann, was ihr am Herzen liegt. Wenn sie arbeitet, tut sie das nicht in erster Linie, um sich mit dem Lohn etwas Schönes zu kaufen. Sie tut es, um damit die Welt – nach ihren Vorstellungen – etwas zu verbessern und das Nebeneinander von Mensch und Tier zu erleichtern.

Dazu gehört auch das Töten. Während zahlreiche Vogelarten Unterstützung brauchen, damit sie nicht aussterben, vermehren sich beispielsweise Tauben so stark, dass sie in Städten zum Problem werden können. Auch in Zürich. «Der Hauptbahnhof wirkt wegen seinem grossen Futterangebot wie ein Sog auf Tauben», erklärt Iris Scholl. In einem Schlag über dem Südportal des Bahnhofs hat sie vor einigen Jahren vier Jungvögel zwei Wochen eingeschlossen, gefüttert und beringt. Seither fliegen die vier Tauben ein und aus – und kommen teils mit Begleitung zurück in den Taubenschlag.

Ist Iris Scholl dann vor Ort, schliesst sie den einzigen Fluchtweg. Ein Netz dient ihr als Fanghilfe. Das Genick der Tauben bricht sie von Hand. «Es muss möglichst schnell gehen», erklärt sie. Die Anzahl Tauben, die sie pro Jahr tötet, ist in den letzten Jahren von gut 150 auf etwa 70 zurückgegangen. «Der Bestand ist nicht mehr so gross», sagt Scholl.

Gerne macht sie diese Arbeit nicht. Deshalb versucht sie auch bereits früher in den Prozess einzugreifen. So etwa nach dem Besuch der Dohlen zuoberst im Grossmünsterturm: Erwartungsvoll wartet Alea auf dem Weg nach unten erneut vor dem grauen Türchen. Es ist der Zugang zu einem von insgesamt 36 Taubennistkästen im Grossmünster. Iris Scholl hält die ungeduldige Alea am Halsband und öffnet das Türchen vorsichtig. Zwei weisse Eier liegen inmitten von Nistmaterial, die Taubeneltern sind nicht zuhause. Scholl packt die Eier, schliesst die Tür, legt die Eier auf den Boden und wünscht ihrer Hündin guten Appetit. «Ich kann die Eier wegwerfen oder Alea geben», meint sie mit einem Schulterzucken.

Iris Scholl handelt pragmatisch. Nicht nur was die Eier anbelangt. So nutzt sie hin und wieder auch eine der am Hauptbahnhof getöteten Tauben für die Erziehung ihrer Hündin. «Alles was nach totem Tier riecht, findet Alea spannend», erklärt sie. Zuhause in Uster steckt sie die Taube in eine löchrige Socke und übt das Apportieren.

Das Töten von Tauben hat Iris Scholl schon einige böse Rückmeldungen von Taubenfreunden eingebracht. «Ich mache viele Dinge, die vielen Leuten auf die Nerven gehen», meint Iris Scholl dazu. Auch mit den Bauherren, denen sie Auflagen zum Schutz von Nistplätzen macht, gerät sie gelegentlich aneinander. Oder mit Autofahrern, die es nicht verstehen können, wenn eine Strasse wegen der Amphibienwanderung geschlossen wird. Auch wenn sie dem Streit lieber aus dem Weg gehen würde, hat sie sich mittlerweile damit abgefunden. Denn ihr Ziel ist ein höheres: die Erhaltung der Biodiversität.
(ZO/AvU)

Erstellt: 23.05.2012, 19:45 Uhr


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