Interview zu Konsum: „Wir sind gut im Verdrängen“

Weihnachten als Fest des Konsums: Vor den Feiertagen stuuml;rmen die Menschen die Einkaufszentren. Foto:dpa

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Weihnachten ist ein Fest des Konsums. Sozialpsychologe Jens Förster äußert sich im Interview über Geschenke und Spenden, Konsum und Verzicht.

Der Sozialpsychologe Jens Förster hat Erich Fromms Buch „Haben oder Sein“ (1976) auf den Prüfstand gestellt, fortgeschrieben und eine „neue Psychologie von Konsum und Verzicht“ entwickelt.


Streaming-Dienste machen Musik überall und stets verfügbar. Warum möchte ich unbedingt weiter CDs kaufen? Ich bringe es auch nicht fertig, Platten auszumisten, die ich nicht mehr höre. Warum ist das so schwer? Was ist am Besitzen so reizvoll? 

Jens Förster: Das hat der Nobelpreisträger Daniel Kahneman untersucht: Sobald man ein Objekt in der Hand hat - und sei es ein blöder Kugelschreiber - findet man genau das schöner, als irgendein anderes, das man danach bekommt. Wir wollen behalten, was uns vertraut geworden ist. Man denkt: Ich könnte die CDs noch gebrauchen, vielleicht im Alter durchhören. Dann habe ich sie wenigstens. Wer weiß, ob die dann noch im Netz sind? Das ist Kahnemans Hauptthese: Besitz gibt uns Sicherheit. Ich halte ihn fest. Danach richten wir unser Verhalten.

Es kommt mir vor, als würde ich mit den alten Platten mein Leben, meine Vergangenheit entsorgen. 

Förster: Mit vielen Objekten sind Erinnerungen verbunden. Alten Leuten, die sich von heute auf morgen beschränken müssen, tut das am meisten weh. Deshalb ist manchmal so wenig nachvollziehbar, was sie ins Pflegeheim mitnehmen: Das ist eine Erinnerungsbrücke in eine gute Zeit. Materielle Güter erinnern an etwas Schönes. Das geht übers Objekt selbst hinaus. Da setzen auch Entrümpelungsstrategien an: Das zuerst wegzuwerfen, was man nicht mehr benutzt und wo man gar nicht mehr weiß, woher man das hat.

An Heiligabend werden sich wieder viele Gabentische vor Gewicht biegen. Machen uns Geschenke - oder allgemeiner: materielle Güter - glücklich? 

Förster: Kurzfristig ja. Auch wenn an Weihnachten manchmal Enttäuschungen damit verbunden sind. Aber das Glück durch materielle Güter ist nicht von Dauer. Wir wissen aus der Forschung, dass es Erlebnisse gibt, die teilweise preisgünstiger sind, die uns aber langfristig mehr tragen. Erlebnisgüter wie Spaziergänge, Restaurant- oder Museumsbesuche, Reisen.

Man müsste also Zeit verschenken zu Weihnachten statt Buch, Parfüm oder Krawatte. 

Förster: Wobei es ja auch eine Erlebnisgüter-Industrie gibt, die zum Beispiel zum Wandern ermuntern will oder Sportarten mit Erlebnischarakter neu erfindet. Weil man weiß, dass das zufriedener macht. Auch die Kunden haben kapiert, dass man von der Zeit miteinander zehrt. Erinnerungen sind der wichtigste Grund, warum wir uns gut fühlen.

Sie wollen - anders als Erich Fromm - das Habenwollen nicht grundsätzlich verteufeln, oder? 

Förster: Genau. Mein Anliegen ist, überhaupt zu verstehen, warum Leute so viel haben. Und das nicht abzuwerten, sondern die Funktion zu verstehen. Was ist daran nützlich? Wir benutzen Konsum als Stimmungsregulation. Wenn es uns schlecht geht, leisten wir uns etwas, ob ein Coffee to go, ein T-Shirt oder ein kleines Geschenk für den Partner. Das führt zu besserer Stimmung, rettet uns in manchen Momenten, macht uns kurzfristig glücklich. Als Psychologe sehe ich diesen verstärkenden Charakter von Konsum. Wir sind wohlhabend genug, um uns diese kleinen Dinge leisten zu können. Fromm forderte im Prinzip, in Sack und Asche zu gehen, auf Dinge völlig zu verzichten. Das hat nicht funktioniert. Aber richtig ist, dass man über die „Seinsziele“, wie ich es nenne, genauso und wahrscheinlich nachhaltiger glücklicher werden kann. Da muss man einen Kompromiss finden. Wobei in unserer Gesellschaft sich viele mit ihrem Beruf so sehr stressen, dass sie zu wenig „sind“ und zu viel „haben“ und Gefahr laufen, in einen Burn-out zu geraten.

Also es geht darum, für sich selbst die richtige Balance zwischen Haben und Sein zu finden? 

Förster: Genau. Es ist eine Angewohnheit geworden, jedes seelische Loch mit Besitztümern zu kompensieren. Wir haben vergessen, dass es andere, Erfolg versprechendere Möglichkeiten gibt, glücklich zu sein. Aber da sehe ich in der Generation der Zwanzigjährigen eine Trendwende. Sie werden spiritueller, überlegen sich schon, wie sie mit 40 mehr Freizeit rausschinden können. Sie wollen nicht so leben wie die 50-Jährigen, die zu wenig Zeit für Freunde, für die schönen Dinge, zum Sein haben.

Sie haben als Lebensziel nicht den SUV in der Großstadt. 

Förster: Das spiegelt sich auch in den Statistiken wider. Deshalb ist die Autoindustrie besorgt, weil diese Käuferschicht wegzubrechen scheint. Das Auto hat nicht mehr den Statuscharakter wie für alle Generationen vorher. Die jungen Leute machen auch keine Führerscheine mehr. Sie verzichten. Auch auf Fleisch. Sie sind auch im Studium extrem darauf bedacht, Spaß zu haben. Es kommt dauernd die Nachfrage, wie man zwar möglichst viel verdient, aber auch Zeit hat zu leben.

Sie beschreiben im Buch das Bedürfnis nach Selbstbeschränkung, ethisch vernünftigem und nachhaltigem Konsum. Es gibt neue Modelle des Teilens und Tauschens. Aber verlangt nicht unsere Wirtschaftsordnung den Kaufrausch? 

Förster: Das Problem kriege ich als Psychologe nicht gut gelöst. Aber es gibt Wirtschaftswissenschaftler, die das besser durchdringen und sagen: Man könnte sich andere Märkte vorstellen, die mehr auf Qualität als Quantität aus sind. Wir wollen ja auch nicht völlig weg vom Genuss. Der gehobene Mittelstand setzt auf Bio, Fair Trade, Slow Food. Das ist nur ein anderer Markt, mit hochwertigen Produkten. Mit einem möglicherweise riesigen Geschäft.

Sie zitieren den Ökonomen Niko Paech, der die Vorstellung eines unbegrenzten Wachstums kritisiert: Wir betreiben Raubbau an den Ressourcen, wälzen die Kosten unserer Lebensweise auf die nächsten Generationen ab. Sie selbst schreiben: „Wir nehmen die Vernichtung des Planeten in Kauf.“ Ist die Perspektive wirklich so pessimistisch? 

Förster: Es ist keine Frage mehr, dass der Konsum, der auf den vielen Transportwegen beruht, unvernünftig ist und wahnsinnigen Schaden anrichtet: Die Nordsee-Krabben, die in Marokko gewaschen und in Rumänien verpackt werden. Die Dringlichkeit dieses moralischen Postulats ist angekommen. Der Klimagipfel hat zum ersten Mal wenigstens irgendetwas erreicht. Das heißt, wir sollten unser Verhalten ändern. Ob das die Regierungen anstoßen müssen, oder ob wir selbst das tun, ist die andere Frage.

Können wir lernen, unsere Bedürfnisse zugunsten zukünftiger Generationen zurückstellen? Sie nennen das Beispiel Rauchen. Jeder weiß, dass es extrem schädlich ist, aber trotzdem rauchen viele Menschen. Und der Gedanke, dass wir keine Fernreisen machen dürfen, damit es unseren Urenkeln gut geht, ist ja noch viel abstrakter. 

Förster: Das ist eine schwierige Aufgabe, und ich schwanke zwischen Optimismus und Pessimismus. Denn wenn sich alle Deutschen bekehren ließen, müsste man immer noch auf China gucken und auf die ganzen Schwellenländer. Die haben ganz andere Probleme, als sich einzuschränken. Aber es liegt im Prinzip in der menschlichen Natur, solche Aufgaben auch zu bewältigen. Von verschiedenen Richtungen und Disziplinen aus: Wir brauchen überzeugende Wissenschaften, schnelle Reaktionen der Regierungen, eine Wirtschaftsform, die diesen Wandel gestaltet - und jeder muss bei sich anfangen. Um noch in den Spiegel gucken zu können.

Jeder kann bei sich anfangen - aber Sie schildern auch die Kluft zwischen hehren Absichten und Verhalten: Warum kauft man ein T-Shirt für zwei Euro, obwohl man weiß, dass es nicht unter menschenwürdigen Bedingungen produziert sein kann? 

Förster: Wir Menschen sind unheimlich gut im Verdrängen. Das Bewusstsein ist da, aber wir handeln trotzdem nicht danach. Das sind Automatismen, die uns gewohnheitsmäßig verführen: Das haben wir uns jetzt verdient, wir hatten einen schweren Tag, das steht uns gut. Dann guckt man nicht aufs Etikett. Aber es hat immerhin eine Entwicklung begonnen, auch Recycling zum Markt zu machen. Ein anderer Weg wäre: Wir müssen lernen, dass wir nicht Mengen brauchen, um genießen, uns freuen zu können. Qualität sollte Quantität schlagen. Dazu gehört auch der Stolz, etwas Faires gekauft zu haben, kein schlechtes Gewissen haben zu müssen. An dieses Gefühl müssen wir appellieren. Auch die Öko-Industrie ist gefragt, Produkte so ansprechend zu machen, dass man sie auch kaufen will. Die Jutetüten waren nicht so attraktiv, dass sie massentauglich wurden.

Dafür kaufen viele Markenartikel, obwohl man weiß, dass es die gleiche Qualität viel günstiger geben würde. 

Förster: Da geht es um Prestige. Viele Markenfirmen lassen in furchtbaren Fabriken produzieren, das Produkt wäre so viel wert wie ein HM-Pullover. Aber es steht eben eine Marke drauf. Objekte zeigen an, wer wir sind. Je größer das Auto, desto wichtiger sind wir. Dieser Mechanismus funktioniert in unserer materialistischen Gesellschaft immer noch. Das zeigen auch Studien. Menschen wollen sich durch Markenware aufwerten.

Das heißt, ethischer Konsum müsste in der gesellschaftlichen Wahrnehmung Prestige bekommen. 

Förster: Und das passiert ja auch schon. In der Kölner Südstadt, wo ich wohne, werden die Biomärkte immer schicker. Das funktioniert. Allerdings bedeutet es auch Überteuerung, wenn man für eine Packung mit 24 Teebeuteln - Ayurveda, bio, fair - 12 Euro zahlt. Das sind neue Statusprodukte. Aber im Prinzip wäre ein Wertewandel wichtig.

Sie schreiben: „Wir leben in fetten Zeiten.“ Es gibt auch Armut in Deutschland, aber die meisten Familien leben sorgenfrei, die Kinderzimmer sind voll. Sind wir in der Lage zu teilen, abzugeben? 

Förster: Das würde ich mir wünschen. Das war auch über Jahrhunderte normales Verhalten. Man hat Töpfe, den Rasenmäher verliehen. Darauf könnte man zurückkommen, mit Mietfahrrädern, Mietautos. Wie bei Büchern aus der Bücherei. Im Moment ist die Einstellung: Wir müssen alles selbst haben. Auch in Familien, die wenig Geld haben. Wenn wir Flüchtlinge sehen, die nur eine Plastiktüte mitbringen, können wir sehr dankbar sein. Das ist auch ein Konzept der Psychologie. Man sollte sich doch einmal sagen: Ich bin dankbar, dass ich mir diesen Coffee to go für vier Euro leisten kann. Das ist nicht selbstverständlich. Wir Deutsche sind im Vergleich zu fast allen Nationen wahnsinnig reich. Aber wir sehen uns als bedürftig an. Ich hätte immer gern ein größeres Haus und ein größeres Auto und komme schlecht drauf. Aber wie vielen Milliarden geht es schlechter als uns?

Sie schildern: Altruismus - anderen Gutes zu tun - macht glücklich. Man fühlt sich gut, wenn man abgibt. 

Förster: Das sind erstaunliche neue Forschungsergebnisse. Man hat in Firmen Leuten nahegelegt, ihren Bonus zu spenden. Wer gespendet hat, dem ging es tatsächlich nachhaltig besser. Ökonomen würden sagen: Mehr ist mehr. Aber wir haben eben nicht nur materialistische Werte, sondern sind auch verwurzelt in einer religiösen Tradition, dankbar sein zu müssen und Bedürftigen zu helfen. Das lasse ich auch in der systemischen Beratung und Therapie mit einfließen: Ich sage Leuten: Spenden Sie mal was. Die sagen mir später: Das hat sich richtig gut angefühlt.

Jens Förster: Was das Haben mit dem Sein macht. Pattloch, 336 S., 19,99 Euro.

Zur Person

Prof. Dr. Jens Förster, Jahrgang 1965, aufgewachsen in Lübbecke/Ostwestfalen, studierte Psychologie in Trier und Operngesang an der Musikhochschule des Saarlandes. Als „postdoc“ besuchte er die Columbia University New York. Er lehrte an der Jacobs University Bremen, in Amsterdam und übernahm 2014 eine Professur in Bochum. Veröffentlichungen: „Unser Autopilot. Von der Motivationspsychologie lernen“ und „Kleine Einführung in das Schubladendenken“. Förster lebt mit seinem Partner in Köln. Er ist auch als Kabarettist und Chansonnier tätig.

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