Interview mit Glücksbuch-Autor Manfred Lütz Wie Sie von ganz alleine glücklich …

"Jeder ist seines Glückes Schmied." Hinter dieser alten Binse steckt jede Menge Wahrheit. Der Psychiater und Psychotherapeut Manfred Lütz verrät im Interview, wie man ganz ohne Hilfe glücklich werden kann.

Was ist Glück? Kein Philosoph, der etwas auf sich hält, hat sich nicht an der Lösung dieses Lebensrätsels versucht. Das lange Regal der Glücksliteratur hat der Psychiater, Physiotherapeut und Theologe Manfred Lütz nun mit einem neuen Werk bereichert. Lütz glaubt, dass man auch ohne Hilfe, ganz unvermeidlich, glücklich werden kann.

Ob Geburtstag, Prüfung oder Autokauf: Bei jeder Gelegenheit wünschen die Leute einander Glück. Warum glauben wir, im Dauerglückszustand leben zu müssen?

Glückwünsche sind so alt wie die Menschheit. Schon der griechische Philosoph Aristoteles hat gesagt: Alle Menschen streben nach Glück. Ein Problem der letzten Jahre ist indes, dass immer mehr Glücksratgeber und selbst ernannte Glücksgurus auftauchen, die behaupten, sie wüssten, wie das Glück machbar sei. Und wenn dann irgendein Autor beschreibt, wie er persönlich glücklich wurde, lässt das den Leser traurig zurück, weil der ja leider nicht der Autor ist. Deshalb sind diese Glücksratgeber Anleitungen zum Unglücklichsein. In Wirklichkeit gibt es nämlich sieben Milliarden unterschiedliche Wege zum Glück – so viele Wege wie Menschen auf dem Planeten.

Manfred Lütz leitet als Chefarzt das Alexianer-Krankenhaus in Köln, eine psychiatrische Klinik. Er ist Psychiater, Psychotherapeut, Theologe und Autor mehrerer Bestseller.

Sein jüngstes Werk heißt: Wie Sie unvermeidlich glücklich werden. Eine Psychologie des Gelingens. Gütersloher Verlagshaus, 2015. 192 Seiten. 17,99 Euro.

Jetzt haben Sie selbst ein Glücksbuch geschrieben. Ist das nicht ein Widerspruch?

Mein Buch ist eher ein Anti-Ratgeber. Es beschreibt unter anderem die ganz unterschiedlichen Wege, die die gescheitesten Menschen der Welt zum Glück gewiesen haben, und dann kann der Leser selbst aussuchen, was zu ihm passt. Ich behaupte eben nicht, ich allein wüsste, wo’s langgeht.

Ihr Buch heißt: „Wie Sie unvermeidlich glücklich werden“: Das hört sich so an, als hätten Sie sehr wohl einen Schlüssel zum Glück.

Der Titel ist natürlich ein bisschen ironisch gemeint, hat aber einen ernsten Kern: Der Philosoph Karl Jaspers hat gesagt, die Grenzsituationen menschlicher Existenz – Leid, Schuld, Kampf, Tod – sind unvermeidlich. Wenn man also zeigen könnte, wie man in diesen unvermeidlichen Situationen glücklich sein kann, dann kann man unvermeidlich glücklich werden. Das ist ja logisch. Nur wenn man sicher sein kann, auch in den Krisensituationen seines Lebens nicht ins Nichts zu fallen, kann man tiefer glücklich sein.

Ist das nicht viel verlangt, bei schweren Schicksalsschlägen, etwa beim Tod eines Freundes, ans Glück zu denken?

Im vergangenen Jahr habe ich Jehuda Bacon kennengelernt, der Auschwitz überlebte. Er hat tatsächlich gesagt, man könne im Leid einen Sinn erleben und sogar für Momente glücklich sein. Ein anderes Beispiel: Vor mehr als 30 Jahren habe ich eine Gruppe von behinderten und nichtbehinderten Jugendlichen gegründet. Dazu gehörten drei Brüder, die alle Muskelschwund hatten, im Rollstuhl saßen und nacheinander starben. Bei der Beerdigung des letzten Bruders sagte mir die Mutter beiläufig, sie würden jetzt ein behindertes Kind adoptieren. Da hatte ich fast Tränen in den Augen: Diese Eltern hatten die Sorge um ihre Söhne als sinnvoll erlebt. Und sie wollten ihre dabei erworbenen Fähigkeiten auch anderen Menschen zugutekommen lassen. Wer Menschen in Not hilft, erlebt das als sinnvoll, und das macht glücklich.

Glücklich wird man demnach nicht allein, sondern in Gemeinschaft mit anderen?

Glück ist kein Egotrip. Das wussten schon die griechischen Philosophen.

Aber Glück ein Leben lang, so schrieb der Dichter George Bernard Shaw, sei die Hölle auf Erden

Das stimmt. Deswegen ist es ein Irrweg, wenn die Glücksratgeber immer die Maximierung von Glücksgefühlen propagieren. Glücksgefühle kann man am sichersten mit Heroin produzieren – allerdings mit üblen Nebenwirkungen. Man könnte sich auch eine Elektrode ins Glückszentrum im Hirn einpflanzen lassen und wäre dann dauernd happy. Aber ich habe nie jemanden getroffen, der das wirklich wollte.

Und wie findet jeder Mensch – jeder einzelne der sieben Milliarden – seinen eigenen Weg zum Glück?

Indem er selbstbewusst überlegt, wie und wann er selbst schon einmal glücklich war und dann versucht, so eine Situation wieder herzustellen. Wenn man sich immer nur unerreichbare Ziele setzt, führt das geradewegs ins Unglücklichsein. Paul Watzlawick hat das das Utopiesyndrom genannt. Dazu gehört die um sich greifende Casting-Mentalität. Wenn man sich dauernd mit anderen vergleicht, die eben andere Fähigkeiten haben, kann man die eigenen Fähigkeiten nicht mehr wertschätzen.

Nun gibt es auch psychische Zustände, etwa Depressionen, in denen ein Betroffener nicht so ohne weiteres das helle Licht des Glückssterns strahlen sieht.

Ich habe der psychologischen Situation im Buch ein eigenes Kapitel gewidmet: Das große Problem ist, dass die Leute heute oft nicht mehr zwischen psychischen Störungen und Lebenskrisen unterscheiden. Nehmen Sie etwa diese Burn-out-Welle: In der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen ist Burn-out als Krankheit gar nicht vorgesehen. Unter diesem Begriff laufen einerseits Befindlichkeitsstörungen und Lebenskrisen, die gar keine Krankheiten sind, andererseits psychische Störungen. Psychische Störungen, zum Beispiel Depressionen, kann man heutzutage sehr gut behandeln; aber wie man glücklich wird, dazu wissen Psychotherapeuten auch nicht mehr als ein altes Mütterchen vom Lande.

Was ist Glück, nach Ihrer Definition?

Glücksdefinitionen machen unglücklich. Denn Glück ist sehr persönlich, und wenn man einer Glücksdefinition glaubt, dann muss man das eigene Glück für eine schlechtere Form von Glück halten. Wenn Sie sagen: Ich bin glücklich, dann kann niemand genau verstehen, was Sie mit dieser Buchstabenkombination meinen, denn Sie verbinden das mit bestimmten Gerüchen, bestimmten Melodien, bestimmten Menschen, die niemand sonst genauso erlebt hat.

Das Wort Glück wird im Deutschen recht wahllos gebraucht. Andere Sprachen unterscheiden präziser zwischen dem Zufallsglück, etwa beim Glücksspiel, und dem gefühlten Glück. Die Römer hatten viele Adjektive: fortunatus, felix, beatus. Haben wir Deutschen ein schwierigeres Verhältnis zum Glück?

Das weiß ich nicht. Auch die Engländer unterscheiden ja zwischen „luck“ und „happiness“. Luck, das Zufallsglück, das haben schon die griechischen Philosophen erkannt, ist nicht das eigentliche Glück. Ohnehin ist das Glück etwas Innerliches. Wenn das Glück etwas Äußerliches wäre, sagte der griechische Philosoph Heraklit, dann müsste man Ochsen glücklich nennen, wenn die genug Erbsen zum Fressen haben. Glück ist Seelenruhe. Und die findet jeder etwas anders: Manche sind glücklich, wenn um sie herum Ruhe herrscht, wenn niemand stört, kein Telefon klingelt. Andere macht so etwas kreuzunglücklich. Wenn es gesetzlich verboten würde, in seiner Freizeit dienstlich angerufen zu werden, dann wäre das zum Beispiel für die Bundeskanzlerin ganz sicher ein Unglück.

Das Gespräch führte Barbara Klimke.



























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