Internet-Abhängigkeit – Onlinesucht kann in den Genen liegen

Dass Menschen Tag und Nacht surfen, chatten oder am Computer spielen und in der realen Welt nicht mehr klar kommen, kann an einer genetischen Mutation liegen. Das haben Bonner Forscher nachgewiesen. Frauen sind von der Gen-Mutation öfter betroffen.

Eine Genmutation könnte manche Menschen anfälliger für die Internetsucht machen. Sie verändert den Stoffwechsel wichtiger Signalstoffe im Gehirn und fördert dadurch das suchttypische Verhalten, wie ein deutsches Forscherteam jetzt erstmals nachgewiesen hat. Es stellte fest, dass Internetsüchtige häufiger diese Mutation tragen als Menschen, die Onlinemedien in normalem Maß nutzen. „Es zeigt sich, dass Internetsucht kein Hirngespinst ist“, sagt Christian Montag von der Universität Bonn. Ähnlich wie bei Nikotin- oder Alkoholabhängigkeit gebe es offenbar auch bei der Internetsucht molekulargenetische Zusammenhänge.

Bestätige sich dies in weiteren Studien, könne diese Mutation auch als Marker dienen, um das Online-Suchtverhalten zu diagnostizieren und besser behandeln zu können, berichten die Forscher der Universitäten Bonn und Mannheim im Fachmagazin „Journal of Addiction Medicine“.

Kaum Aktivitäten außerhalb der virtuellen Welt

Als internetsüchtig gilt ein Mensch, der nicht mehr ohne das Internet und die Onlinemedien auskommt und dessen Persönlichkeit auch abseits des Rechners durch diese Abhängigkeit geprägt ist, wie die Forscher erklären. Stundenlang surft er im Netz, spielt Onlinespiele oder besucht die Seiten sozialer Netzwerke. Der Süchtige schafft es dabei nicht mehr, seine Zeit im Netz zu begrenzen oder auf das Internet zu verzichten - ähnlich wie bei einem Alkoholabhängigen, der nicht mehr ohne Alkohol auskommt. Aktivitäten außerhalb der virtuellen Welt finden kaum mehr statt, die Betroffenen ziehen sich oft von anderen Menschen zurück und vernachlässigen ihren sonstigen Alltag.

Ob für diese Form der Sucht auch biologische Faktoren, beispielsweise ein geänderter Hirnstoffwechsel oder Genveränderungen, eine Rolle spielen, sei bisher unklar gewesen, sagen die Wissenschaftler.

132 Internetsüchtige genetisch untersucht

Für ihre Studie befragten die Forscher zunächst 843 Menschen zu ihrem Internetverhalten, um potenziell Süchtige zu finden. Nach Auswertung der Fragebögen zeigte sich, dass 132 Frauen und Männer ein problematisches Verhalten im Umgang mit dem Online-Medium aufwiesen: Sie befassten sich auch im Alltag gedanklich ständig mit dem Internet und fühlten sich in ihrem Wohlbefinden stark beeinträchtigt, wenn sie darauf verzichten mussten. Im nächsten Schritt verglichen die Forscher das Erbgut der 132 problematischen Internetnutzer mit gesunden Kontrollpersonen.

Die Analyse ergab, dass bei den Internetsüchtigen deutlich häufiger Abweichungen an einer bestimmten Genregion auftraten. Es sei bekannt, dass eine Mutation an den Genen dieses Rezeptors das Suchtverhalten fördere, beispielsweise auch bei der Nikotinabhängigkeit.

Mutation betrifft besonders oft Frauen

Interessanterweise trat die Genmutation besonders häufig bei den weiblichen Internetsüchtigen auf, wie die Forscher berichten. Bisher ging man davon aus, dass eher Männer als Frauen zu Online-Suchtverhalten neigen. „Möglicherweise ist der geschlechtsspezifische genetische Befund auf eine spezielle Untergruppe der Internetabhängigkeit, wie zum Beispiel die Nutzung von sozialen Netzwerken oder Ähnlichem zurückzuführen“, vermutet Montag.

Generell seien noch Studien mit mehr Probanden erforderlich, um den Zusammenhang zwischen der Mutation und dem Internetsuchtverhalten weiter zu untersuchen. „Wenn solche Zusammenhänge besser verstanden sind, ergeben sich daraus außerdem wichtige Anhaltspunkte für bessere Therapien“, sagt der Forscher.






Laut einer Studie im Auftrag der Drogenbeauftragten der Bundesregierung aus dem Jahr 2011 gelten 560.000 Deutsche als Internetsüchtig. Das sind rund ein Prozent der Bevölkerung. Am häufigsten wurde die Sucht bei Mädchen zwischen 14 und 16 Jahren, (4,9 Prozent) festgestellt. Sie verbringen besonders viel Zeit in sozialen Netzwerken. Bei den gleichaltrigen Jungen gelten 3,1 Prozent als abhängig. Mit zunehmendem Alter steige allerdings das Suchtrisiko bei Männern.

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An welchen sechs Kriterien Internetsucht erkennbar ist, hat das Deutsche Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) zusammengefasst. In Online-Broschüren auf www.computersuchthilfe.info des DZSKJ stehen außerdem Tests, mit denen Jugendliche und Erwachsene herausfinden können, ob sie süchtig oder gefährdet sind. Lesen Sie hier die Kriterien.

1. Es besteht ein starker Wunsch oder eine Art innerer Zwang, der jeweiligen Aktivität im Internet (Chatten, Rollenspiele, Onlinesex) nachzugehen.

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2. Der Beginn, die Dauer und die Beendigung dieser Tätigkeiten können nur noch schlecht oder gar nicht mehr kontrolliert werden (Kontrollverlust).

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3. Bei Verzicht auf diese Aktivitäten treten Entzugszeichen wie innere Unruhe, Gereiztheit, Aggressivität oder andere deutliche Veränderungen der Gefühle und/oder des Körperempfindens auf.

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4. Um die ursprüngliche Wirkung (angenehme Gefühle, Entspannung etc.) des spezifischen Internetgebrauchs zu erreichen, muss immer länger und/oder mit immer intensiveren Reizen der Internetaktivität nachgegangen werden (Toleranzentwicklung). Im Umkehrschluss werden die ursprünglich positiven Empfindungen kaum noch oder nur noch in geringer Ausprägung und/oder für sehr kurze Dauer erreicht.

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5. Durch den erhöhten Zeitaufwand für die Computernutzung werden andere Interessen vernachlässigt oder gar nicht mehr als solche wahrgenommen. Oder anders ausgedrückt: Aktivitäten in der virtuellen Welt werden wichtiger als die Aktivitäten in der Realität.

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6. Obwohl bereits schädliche Folgen des übermäßigen Computergebrauchs auftreten, wird dieser fortgesetzt.
Dies können psychosoziale Folgen sein (wie beispielsweise Probleme am Arbeits- oder Ausbildungsplatz, Konflikte oder Trennungen in Partnerschaften, finanzielle Probleme, Vernachlässigung des Haushalts und von Behördengängen, Vereinsamung, soziale Isolation).
Oder auch körperliche Folgen (wie Erschöpfung, massive Muskelverspannungen, regelmäßig Schwielen an den Handballen, Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Abmagerung /Fettsucht, allgemeine körperliche/hygienische Vernachlässigung, Schmerzen in den Handgelenken und Sehnenscheidenentzündungen, Tagesmüdigkeit mit Leistungseinbußen).

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Werden mindestens drei der sechs Kriterien erfüllt, ist eine Computersucht anzunehmen. In diesem Fall ist die Grenze der Selbsthilfe erreicht und eine professionelle Unterstützung könnte vonnöten sein.

Quelle: Deutsches Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ). (Bild: dpa)

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