Interkultureller Test zum Belohnungsaufschub

Psychologen der Universität Osnabrück verglichen die Ergebnisse von deutschen und kamerunischen Kindern im klassischen „Marshmallow-Test“ von Walter Mischel.


Wird es mein Kind zu etwas bringen? Wird es sein Leben erfolgreich meistern? Diese Fragen stellen sich wohl alle Eltern. Eine vorsichtige Prognose des akademischen, emotionalen und sozialen Erfolgs einer Person lässt sich aus dem sogenannten „Marshmallow-Test“ von Walter Mischel ableiten: In diesem wird einem Kind ein Marshmallow vor die Nase gelegt mit der Information: „Du kannst die Süßigkeit jetzt essen – oder du wartest noch 15 Minuten, dann bekommst du zwei Marshmallows“. Je länger ein Kind in der Lage ist, der Verlockung zu widerstehen, je größer also seine Fähigkeit zum Belohnungsaufschub, desto besser wird es durchs Leben kommen, so die wissenschaftlich gut abgesicherte Prognose.

Belohnungsaufschub interkulturell

Wissenschaftler des Niedersächsischen Instituts für frühkindliche Bildung und Entwicklung sowie der Universitäten Osnabrück, Bielefeld, Frankfurt und Gießen testeten in einer aktuellen Studie nun 125 Kinder aus Deutschland und 76 kamerunische Nso-Kinder auf ihre Fähigkeit zum Belohnungsaufschub im Marshmallow-Test. Das Volk der Nso, zu dem rund 130.000 Menschen gehören, siedelt im Nordwesten Kameruns und zeichnet sich durch eine reiche Tradition aus.

Überlegenheit kamerunischer Kinder

Die getesteten deutschen Kinder bestätigten die Untersuchungsergebnisse vieler früherer Studien in westlichen Ländern: Nur etwa 30 Prozent von ihnen konnten der süßen Versuchung widerstehen. Im Gegensatz dazu schafften es fast 70 Prozent der kamerunischen Kinder, sich selbst zu disziplinieren und auf die größere Belohnung zu warten.

Kulturelle Unterschiede in der Erziehung

Die Forscher erklären sich dieses erstaunliche Ergebnisse mit den grundsätzlich unterschiedlichen Erziehungs- und Sozialisationsvorstellungen in westlichen Gesellschaften und denen in Afrika, Asien oder auch Südamerika. In letzteren würden Kinder von Anfang an sehr viel stärker zur Emotionskontrolle erzogen und stellten ihre persönlichen Bedürfnisse nicht so stark in den Vordergrund. Grundlage dafür sei das dort vorherrschende relationale kulturelle Modell, in dem die soziale Gemeinschaft im Mittelpunkt steht und die Erwachsenen gegenüber ihren Kindern eine klar definierte hierarchische „Expertenrolle“ einnehmen. Beim in westlichen Mittel- und Oberschichtsfamilien vorherrschenden kulturellen Modell der psychologischen Autonomie hingegen stehe das Kind im Mittelpunkt und werde die Ausbildung der Eigenständigkeit, Individualität und freien Willensäußerung gefördert. Ein Ansatz, der, wie die Ergebnisse der Studie zeigen, nicht in jeder Hinsicht günstig ist.

14. Juli 2015
Quelle: Informationsdienst Wissenschaft
Foto: © pololia – Fotolia.com

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