In Out
Mo., 11.06.2012
Beim Public Viewing können die Fußballfans ihre Gefühle besser verarbeiten. Foto: Malte Christians
Beim Public Viewing durchleben Fußballfans ähnliche Gefühlswirrungen wie bei einer Beerdigung.
«Nicht umsonst steht "Public Viewing" im Englischen auch für eine "Totenaufbahrung". Die Menschen wollen beim Public Viewing ihre Emotionen exzessiv ausleben und miteinander teilen dürfen. Genau darum geht es auch bei einer Beerdigung», sagte der Psychologe Steffen Fliegel von der Gesellschaft für Klinische Psychologie und Beratung Münster in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. «Verliert Deutschland das Fußballspiel, kann die dadurch erzeugte Traurigkeit im Rudelgucken mit vielen Menschen geteilt und so besser losgelassen werden. Diese Teilhabe am sozialen Geschehen ist ein menschliches Grundbedürfnis.» Und wenn Deutschland gewinne, sei die Freude in der Gruppe größer.
Dabei ziehe Rudelgucken gerade zur Europameisterschaft auch viele Menschen an, die sich eigentlich gar nicht für Fußball interessierten. «Durch die gemeinsam erlebte Freude, Trauer und das nationale Gefühl haben Menschen einen besseren Ausgleich für aktuelle Belastungen wie zum Beispiel Stress am Arbeitsplatz oder die negativen Auswirkungen der aktuellen Finanzkrise», unterstrich Fliegel. Diesen Trend habe es auch früher schon gegeben und er sei nicht auf junge Menschen beschränkt. «Damals hat man sich halt nur vor dem heimischen Fernseher mit Freunden und Verwandten getroffen. Heute ist es durch die Leinwand-Übertragung möglich, Public Viewing wie in einem Stadion mit sehr vielen Menschen zu veranstalten.»
Zwar wolle er nicht so weit gehen zu sagen, Rudelgucken mache süchtig, betonte Fliegel. «Aber unabhängig davon, ob Deutschland beim Fußballspiel gewinnt oder verliert, gilt bei der Psychologie des Rudelguckens: Je intensiver eine Person Gefühle beim Public Viewing erlebt, desto wahrscheinlicher ist es, dass diese Person wieder daran teilnehmen wird.»
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