Im Gehirn des Narzissten

Krankhaft Selbstverliebte sind schwer zu therapieren. Forscher der Berliner Charité haben in ihren Kopf geschaut und Auffälligkeiten entdeckt: Es fehlt an grauer Masse im Empathie-Sektor.

Selbstverliebte Chefs, herzlose Lebenspartner oder Kollegen, die bei der leisesten Kritik an die Decke gehen. Fast inflationär werden sie inzwischen als Narzissten bezeichnet. Manche Kritiker sehen die westlichen Gesellschaften schon lange auf dem Weg ins narzisstische Zeitalter – und werten sogar die jüngste Bankenkrise als Auswuchs davon. Im streng medizinischen Sinn ist Narzissmus dagegen schwer zu greifen.

Forscher der Berliner Charité konnten ihn nun im Gehirn verorten. Einige ganz spezielle Hirnstrukturen sehen bei Narzissten messbar anders aus – und viele davon haben mit der Steuerung von Empathie zu tun, berichten sie im Journal of Psychiatric Research. Die Gruppe um Stefan Röpke von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie untersuchte 34 Probanden. Die Hälfte von ihnen litt unter einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung nach US-Definition, die andere bildete eine gleichaltrige Kontrollgruppe.

Wenig Mitgefühl

„Bereits in einer Vorstudie konnten wir zeigen, dass Patienten mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung ein Defizit im Mitfühlen, also bei der emotionalen Empathie aufweisen“, sagt Stefan Röpke. Da Narzissten in der Selbsteinschätzung eingeschränkt sind, nutzten die Wissenschaftler neben Fragebögen auch Bilder von Menschen in emotionalen Situationen und Filmclips. Die Patienten sollten diese Bilder und Szenen einschätzen.

Als Sitz für Empathie-Bewusstsein im menschlichen Gehirn gelten bestimmte Netzwerke, die ihren Sitz teilweise in der Großhirnrinde haben. Das ist die äußere Schicht des Gehirns, die von Furchen und Windungen durchzogen ist. Diese Partie ist ein Teil der grauen Hirnsubstanz. Für ihre Studie scannten die Wissenschaftler mit Hilfe eines Magnetresonanztomographen (MRT) die Gehirne aller 34 Probanden. Dabei beobachten sie bei den Patienten mit narzisstischer Störung eine auffällige Struktur vor allem in der linken Inselregion: Die Nervenzellschicht war dort messbar dünner. Aber auch an anderen Stellen des Gehirns zeigten sich Unterschiede beim Volumen der grauen Hirnsubstanz: beidseits in der unteren und mittleren Stirnwindung, dazu im rechten vorderen und linken mittleren Cingulum sowie im Prä- und Postzentralen Gyrus. Weiterhin zeigten die Forscher, dass das Ausmaß an Empathie direkt mit der Dicke der Großhirnrinde zusammenhing.

Kann man also künftig ein MRT-Bild des Gehirns zur Diagnose von Narzissmus nutzen? „Nein“, sagt Stefan Röpke sehr deutlich. Erst müssten die Gehirnstrukturen noch viel besser verstanden werden. „Es ist auch nicht klar, ob die Großhirnrinde an dieser Stelle immer schon dünner war. Oder ob sich das erst im Laufe des Lebens entwickelt hat.“ Das MRT sei eine Momentaufnahme.

Bis jetzt herrscht keine Klarheit darüber, ob Narzissten die Störung mit auf die Welt bringen – oder ob die Hirnareale durch selbstbezogenes Verhalten von Kindesbeinen an schlicht verkümmern. Nach der Theorie der Psychoanalytiker liegt eine Ich-Störung zugrunde. „Als Basis gilt ein Mangel an Selbstwertgefühl, der dann überkompensiert wird“, sagt Wolfgang Maier, Präsident der Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Die Ursachen werden oft in der Kindheit gesucht – bei den Eltern. Sowohl das Überbehüten als auch die Vernachlässigung von Kindern gelten als Risikofaktoren. Ohne das konsequente Setzen natürlicher Grenzen durch Belohnungen und Bestrafung könne sich das Ich schwer finden, sagt Maier. Zusätzliche Entwertungen durch die Eltern könnten diesen Effekt noch verstärken.

Männer eher betroffen

Die seelische Störung trifft vor allem Männer. „Frauen sind vielleicht schon von Natur aus warmherziger – als Mütter bildeten sie Empathiefähigkeit häufig noch einmal deutlicher aus als Männer“, sagt Maier. Es existieren auch Vermutungen, dass Narzissmus eine Erb-Komponente hat. Genetische Marker hat man bislang aber noch nicht gefunden. Und es gibt für das Verständnis des Narzissmus noch ein Problem: Narzissten gehen selten zum Arzt. Denn wer sich pausenlos für den Größten hält, wird kaum Hilfe suchen. „Meist geht es um andere Anzeichen“, sagt Wolfgang Maier. „Zum Beispiel, wenn Narzissten massive Wutanfälle nach Enttäuschungen bekommen oder andere Menschen völlig missachten, nur weil sie ihnen keine Anerkennung gezollt haben“. Das könne bis zum Mobbing gehen.

Ganz typisch für pathologische Narzissten sind Probleme in Partnerschaften und im Job“, ergänzt Charité-Forscher Röpke. „Andere Menschen empfinden Narzissten oft als kalt und unnahbar.“ Mitmenschen, seien es Freundinnen, Ehefrauen, Kinder oder Kollegen, lassen sich das Verhalten oft nicht lange bieten. „Narzissten verarbeiten diese Ablehnung häufig indirekt – mit einer Flucht in den Alkohol oder ein anderes Suchtmittel. Oder aber sie entwickeln eine Depression oder Angsterkrankung“, sagt Röpke. Diese Symptome könnten dann behandelt werden. Um an den Narzissmus als Wurzel zu kommen, müsse aber die Einsicht des Betroffenen vorliegen.

Doch selbst wenn ein Patient eine Therapie wünscht, ist sie schwierig. Fehlabläufe im Gehirnstoffwechsel sind bei Narzissten noch nicht nachgewiesen. Wenn Neurotransmitter gar nicht erst aus der Bahn gerieten, nutzten Psychopharmaka auch nichts. Weder Verhaltenstherapien mit Methoden zur Selbstbild-Korrektur noch Psychoanalyse böten sich bisher als Königsweg an. Selbst erfahrene Ärzte und Psychologen beißen sich an den Narzissten die Zähne aus.

Und was ist mit der Theorie von der narzisstischen Gesellschaft? Wolfgang Maier grenzt diesen Begriff deutlich vom krankhaften Narzissmus ab. „Es gibt jedoch viele Berufsgruppen, die narzisstische Neigungen fördern“, sagt er. Eine große Rolle spielten dabei Bewunderung und Applaus – sei es in der Politik, in der Kunst oder in Medien. „Im Grunde wird narzisstisches Verhalten dort gezüchtet. Das System zwingt die Menschen förmlich da hinein. Nur für die Bankenkrise will Maier den gesellschaftlichen Narzissmus nicht Pate stehen lassen. „Die Ursachen sehe ich da eher in einem irregeleiteten Belohnungssystem“, sagt er. „Die Ökonomisierung der Werte hat alles überlagert, selbst Verantwortungsstrukturen.“

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