Identität Woher stammt das Ich?

Identität Woher stammt das Ich?

Von Martin Hubert


Die Dresdner Künstlerin Johanna Roggan bewegt sich am 11.11.2013 in einer komplett verspiegelten 2,60 x 1,00 x 0,60 Meter Kiste in der Performance-Installation EmotiCam im Rahmen der Pressekonferenz des 17. CYNETART-Festival 2013.

Aus wie vielen Teilen besteht das Ich? (picture-alliance/dpa)

Psychologie. - Wer von sich spricht, der benutzt gerne das Wort "Ich". Aber weder Philosophen noch Psychologen konnten sich bisher darauf einigen, was unter diesem "Ich" zu verstehen ist. In den letzten Jahren haben vor allem Hirnforscher den Zweifel verstärkt, ob es so etwas wie ein einheitliches Ich überhaupt gibt. Aktuelle Forschungsergebnisse werfen nun ein neues Licht auf diese uralte Frage.

Das Knistern und Knattern von Nervenzellen im Gehirn, die sich entladen und Signale untereinander austauschen. Milliarden solcher Signale fließen permanent im Gehirn zwischen verschiedensten Hirnregionen hin und her. Lässt sich in diesem Labyrinth verorten, was den Menschen tagtäglich begleitet: sein "Ich"? Tatsächlich finden Neurowissenschaftler zahlreiche Regionen im Gehirn, die mit unterschiedlichen Ichleistungen zusammenhängen. Gerhard Roth, Hirnforscher an der Universität Bremen:

"Wir haben ein Wahrnehmungs-Ich, ein Gedächtnis-Ich, ein emotionales Ich und viele Unter-Iche und die können auch relativ unabhängig voneinander ausfallen. Man kann zum Beispiel das autobiographische Gedächtnis verlieren. Dann erlebe ich mich zwar als körperliche Einheit, aber ich weiß nicht mehr, wer ich bin. Man kann das Wahrnehmungs-Ich zerstören, dann weiß ich nicht mehr, was das alles bedeutet, was ich sehe und höre, oder ich beziehe es nicht mehr auf mich."

Allerdings glauben Hirnforscher wie Gerhard Roth auch, dass diese verschiedenen Ichleistungen so unabhängig voneinander arbeiten, dass es unsinnig wäre, von einem einheitlichen Ich zu sprechen.

"Es gibt nicht das Ich-Zentrum: insofern ist es nicht 'das Ich'!"

Auch die Vorstellung, über die Lebensgeschichte hinweg eine Identität zu bewahren, sei falsch. In Wirklichkeit würde das Ich nicht nur nach Zuständigkeiten zerfallen, sondern sich auch mit der Zeit verändern. Die Idee eines einheitlichen, substanziellen und stabilen Ich sei eine Illusion. Nun aber liefert der deutschkanadische Neurowissenschaftler Georg Northoff neue Indizien in dieser alten Frage.

Gehirnareal misst Stabilität der Identität

Hirnforscher wissen seit geraumer Zeit, dass die einzelnen Ichregionen nicht wahllos im Gehirn verteilt sind, sondern sich an der Mittellinie des Gehirns entlangziehen. Sie scheinen also einen größeren zusammenhängenden Komplex zu bilden. Northoff verglich zunächst die persönliche Stabilität von 17 gesunden Menschen und die von 17 Borderline-Patienten. Wie impulsiv waren sie im Verlauf der Zeit, wie dauerhaft ihre Beziehungen, wie konstant ihre Wertvorstellungen?

"Borderline-Patienten sind bekannt dafür, dass sie extrem instabile Wertepräferenzen haben, also: heute liebe ich Computer, morgen hasse ich Computer, heute lese ich die Frankfurter Allgemeine, morgen hasse ich sie. Das ist ein typisches instabiles Wertepräferenzmuster und das spiegelt eine tiefere Instabilität des Selbst wieder. Während bei uns sind die Wertepräferenzen relativ stabil, bei gesunden Probanden. Damit kann man dann auch so ein Stück die Identität des Selbst im Verlauf der Zeit erfassen."

Die Frage war, ob sich die Testpersonen mit stabiler und instabiler Persönlichkeit auch neuronal gesehen eindeutig voneinander unterschieden. Georg Northoff untersuchte die Testpersonen daher im Kernspintomographen. Die Ergebnisse waren eindeutig:

"Wir haben gefunden, dass in der Tat gerade Regionen in der hinteren Mittellinie eine starke Beziehung speziell zu Identitätsdimensionen aufweisen."

Je stabiler die Identität der Testpersonen war, umso besser reagierte der hintere Teils dieser Mittellinienregion auf Reize. Northoff versteht den Befund so: Das Gehirn besitzt ein Areal, das feststellen kann, wie stark die persönliche Identität ist. Es dient sozusagen als innerer Maßstab für die Ich-Identität. Wer hier starke Schwankungen verkraften muss, hat psychische Probleme. Insofern sei es zwar richtig, so Northoff, dass ein Mensch sein persönliches Ich im Lauf des Lebens verändere. Ab einer bestimmten Grenze bedrohe das jedoch seine Identität. Ein einheitlichen Ich – ist es also doch keine Illusion? Sitzt es vielmehr irgendwo im mittleren, hinteren Teil des Gehirns? Georg Northoffs Befund entfacht die alte Diskussion neu.

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