«Ich habe eine Ostseele» – Tages

«Ich habe eine Ostseele»

Von Hannes Nussbaumer.

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Catalin Dorian Florescu hat den Schweizer Buchpreis 2011 verliehen bekommen. Dabei führte ihn vor dreissig Jahren ein Zufall in die Schweiz. Der gebürtige Rumäne hat erst als 15-Jähriger Deutsch gelernt.

«Auf keinen Fall darf die Entmenschlichung des Menschen vorangetrieben werden», sagt Catalin Dorian Florescu, der Schriftsteller mit der Mütze. Foto: Nicola Pitaro

«Auf keinen Fall darf die Entmenschlichung des Menschen vorangetrieben werden», sagt Catalin Dorian Florescu, der Schriftsteller mit der Mütze. Foto: Nicola Pitaro

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Zur Person

Der 44-jährige Catalin Dorian Florescu wurde am vergangenen Sonntag in Basel mit dem Schweizer Buchpreis 2011 ausgezeichnet. Der mit 50 000 Franken dotierte Preis wurde ihm für seinen jüngsten Roman «Jacob beschliesst zu lieben» verliehen. Florescu ist in Timisoara in Rumänien aufgewachsen, in die Schweiz kam er als 15-Jähriger. Er studierte Psychologie und arbeitete in der Drogenberatung, bevor er freier Schriftsteller wurde. «Jacob beschliesst zu lieben» ist Florescus fünfter Roman. Für sein Gesamtwerk erhält er den Joseph-von-Eichendorff-Literaturpreis 2012. Florescu lebt in Zürich.

Stichworte

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Bei der Übergabe des Schweizer Buchpreises bezeichneten Sie sich als einen «Obdachlosen der Geschichte, der sein Zuhause gefunden hat». Das klingt nach Drama mit Happy End.

Da schwingt natürlich der Pathos des Augenblicks mit. Es ist ja schon ein sehr spezieller Moment. Man kommt mit diesem Preis so richtig an, erhält quasi ein Obdach. Ich kann jetzt vollmundig sagen: Ja, ich bin endlich und nachhaltig in der Schweizer Literatur zu Hause. Das zu sagen, fiel mir in der Vergangenheit nicht so leicht. Nehmen Sie meine Biografie: die Kindheit in Rumänien, die erste Flucht vor dem Kommunismus, die mich und meinen Vater in den 70er-Jahren nach New York führte, der Abbruch dieser Flucht und die Rückkehr nach Rumänien, dann die zweite Ausreise, die uns in die Schweiz brachte. Da versteht man: Das Thema des Obdachs, des Wurzelschlagens, ist wichtig für mich.

Welche Erinnerungen haben Sie an die Flucht?

Die erste Flucht mit meinem Vater war eine Odyssee. Von meiner Heimatstadt Timisoara aus reisten wir nach Rom und weiter nach New York. Dort mussten wir untendurch. Mein Vater realisierte bald, dass er hier nicht glücklich werden kann. Der amerikanische Traum funktionierte in seinem Fall nicht. Also gingen wir zurück in den Kommunismus. Fünf Jahre später durfte auch die Mutter mit, die bei der ersten Ausreise vom System als Geisel zurückbehalten worden war. Nach Zürich waren wir damals nur gekommen, weil wir auf der Durchreise nach Deutschland waren. Dass wir geblieben sind, war die Folge eines Zufalls. Ich bin Schweizer Schriftsteller und Träger des Schweizer Buchpreises aufgrund eines Zufalls, der sich innerhalb weniger Minuten abgespielt hatte.

Welcher Zufall?

Mein Vater, der der Sohn schlauer rumänischer Bauern war und einen guten Instinkt fürs Überleben hatte, sprach einen wildfremden Mann auf der Strasse an und fragte ihn um Rat. Dieser half uns. Er nannte uns die Telefonnummer einer Hilfsorganisation, an die wir uns wenden sollten. Diese nahm uns dann auf.

Das war vor knapp dreissig Jahren. War es eine schwierige Ankunft?

Schwierig ist, was meine ganze Generation in Rumänien durchmachen musste. Wir hatten 1982 quasi den letzten Zug erwischt. Was danach kam, war ganz schlimm. Das trennt mich von den Rumänen. Die Erfahrungen der 80er-Jahre und auch jene der 90er-Jahre, des Aufbaus – die habe ich nicht. Darum sage ich, dass Rumänien nur zum Teil meine Heimat ist. Ich erfuhr erst später, wie schlimm es war: kein Strom, kein Wasser, keine Heizung. In der Schweiz war es nicht schwierig. Ich wurde hier angenommen. Ich erlebte nie Diskriminierung. Ich hatte aber auch Vorteile: Ich bin Europäer, bin weiss, gehe unter in der Masse, dazu floh ich vor dem Kommunismus, was hier gut ankam.

Sie kamen als 15-Jähriger und sprachen kein Deutsch. Trotzdem schafften sie wenige Jahre später die Matura und studierten Psychologie. Das tönt nach einer Bilderbuch-Integrationsgeschichte.

Sie glauben gar nicht, dass es so was gibt, nicht wahr? All die Horrorgeschichten, die man täglich lesen kann, verstellen den Blick auf die Realität. Ich glaube, dass solche Erfolgsgeschichten weit häufiger sind, als man meint. Natürlich hat mir geholfen, dass ich unbedingt Deutsch lernen wollte. Und es war nützlich, dass ich in einigen Fächern schon recht weit war. In Rumänien hatte ich seit der Primarschule Englisch und Französisch.

Anders als in Rumänien sei Ihnen in der Schweiz nie der Teufel über den Weg gelaufen, sagten Sie einmal. Wie erleben Sie die Schweiz? Angenehm, aber langweilig?

Mein Leben in Timisoara bestand daraus, dass ich am Bahnhof stand und den Dampflokomotiven zuschaute. Wir wohnten in einem Plattenbau, zusammen mit 150 anderen Familien. In zwei kleinen Zimmern mit dünnen Wänden. Man passte auf, was man sagte, weil der Nachbar mithörte. In der Nacht lauschten mein Vater und ich ganz leise Radio Freies Europa. Dann kamen wir in Zürich an. Das erste Gefühl war das einer riesigen Befreiung. Wir hatten es geschafft. Wir waren in der Freiheit. Ich erinnere mich, wie ich das erste Mal mit meinem Vater durch die Strasse ging, am Coop vorbei kam – und nur staunte. Am Anfang haftet der Blick an der Oberfläche. Man versteht ja nichts.

Wie erging es Ihnen, als sie tiefer zu blicken vermochten?

Natürlich kommt das Gefühl der Entwurzelung. Es ist aber auch so, dass Rumänen die Fähigkeit haben, sich fast chamäleonartig anzupassen. Sie sind Meister im Anpassen – weil sie das immer wieder tun mussten. Nicht nur im Kommunismus. Auch in den Jahrhunderten davor. Die Rumänen sind eine kleine Kultur an der Wegkreuzung der grossen Imperien. Leider passen sich die Rumänen auch im Schlechten an. Sie ducken sich. Deshalb hatte Rumänien lange keine Tradition der Volkserhebung. Anders als in Ungarn, in der Tschechoslowakei oder in der DDR wartete die Bevölkerung, bis sie nichts mehr zu essen hatte. Erst dann begehrte sie gegen Diktator Ceausescu auf. Auf der positiven Seite ist es so, dass die Rumänen dank dieser Fähigkeit unglaublich herzliche, aufnahmefähige Menschen sind.

Anpassungsfähigkeit als Überlebensstrategie?

So kann man es sagen. Ich selbst kann mich allerdings nicht erinnern, dass ich in den Anfangsjahren starke Gefühle der Verlorenheit hatte. Als 15-Jähriger interessierten mich die Mädchen und die Disco. Duran Duran, Frankie Goes To Hollywood, Madonna waren damals angesagt. Es gibt für alles eine Zeit, und es gibt die Klugheit, abwarten zu können. Die Frage, ob ich hier zufrieden bin, ob ich glücklich werden, mein Temperament und meine Offenheit verwirklichen kann – diese Fragen kamen später, als ich an der Uni studierte. Es sind die ewigen Fragen des Emigranten.

Sind die Schweizer gut im Umgang mit dem Fremden?

Die 80er-Jahre waren ganz anders als heute. Die Situation hat sich verschärft. Es waren damals weniger Fremde hier. Und es gab keine SVP in der heutigen Form. Aber ich wäre schlecht beraten, würde ich sagen, die Schweizer seien nicht gut im Umgang mit dem Fremden. Ich habe soeben einen Preis bekommen: einen Preis für eine Literatur mit einem Akzent. Und ich bin der dritte Buchpreisträger in Folge, der seine Wurzeln nicht in der Schweiz hat. Sosehr ich den Rechtsruck in diesem Land kritisiere und sosehr ich mich freue, dass er bei den letzten Wahlen gebremst wurde: Es ist nach wie vor so, dass sich die Mehrheit der Schweizer von humanistischen Zielen lenken lässt. Dass das so bleibt, ist ein grosses Anliegen von mir. In diesem Land darf auf keinen Fall die Entmenschlichung des Menschen vorangetrieben werden, weder auf Plakatwänden noch mit der Sprache.

Am Ende sei nur entscheidend, «ob du Mitmensch warst oder Gegenmensch». So endet ein Text von Ihnen. Die Schweizer: ein Volk von Mit- oder von Gegenmenschen?

Jeder von uns ist beides. Jeder war mal Gegenmensch. Jeder ist immer wieder Mitmensch. Es geht vor allem um eines: sich wahrzunehmen. Sich zu fragen: Wer bin ich und wie kann ich mich gegen die Entmenschlichung wehren? Die Entmenschlichung droht dauernd. Da braucht es gar keine besonderen Umstände, keine Flüchtlinge, keine Plakate mit schwarzen Schafen. Wir entmenschlichen uns gegenüber unserem Partner, gegenüber unserem Arbeitgeber. Oder er sich gegenüber uns. Doch ich möchte betonen: Die Schweizer sind mehrheitlich sehr mitmenschliche Leute.

Es gebe in der Schweiz einen Zwang zur Postkartenidylle, schrieben Sie jüngst. Ziehen die Schweizer die imaginierte Idylle der Realität vor?

Es gibt solche, die das machen, ja. Vor allem aber wird das mit den Schweizern gemacht. Die Idyll-Schweiz ist eine Projektion des Auslands. Wenn ich in Rumänien kritisch bin mit der Schweiz, wenn ich dort von den knapp 30 Prozent SVP-Wählern, von den Amokläufen mit Armeewaffen und von der Selbstmordrate rede, dann kommt die Rückfrage: Wie hoch ist die Arbeitslosigkeit bei euch? Drei Prozent? Was kritisierst du da? Du lebst im Paradies! Ich sage dann: Es ist eine Pflicht, kritisch zu sein. Wenn man nicht mehr kritisch ist, dann ist das Denken am Ende. Doch richtig verstanden werde ich nicht. Das Idyll-Bild ist vor allem eine Projektion von aussen.

Die Schweiz selbst kultiviert das Idyll-Bild aber ebenfalls . . .

Das stimmt, und damit habe ich als Schriftsteller ein Problem. Nicht umsonst reise ich für meine Geschichten so oft in den Osten. Es stimmt, ich begegne hier nie dem Teufel. Ich würde ihn sofort fragen, ob er mir eine Story habe. Diesen charmanten, giftigen, leibhaftigen Teufel des Ostens gibt es hier nicht, so wenig, wie es das weite, wilde, karge Land gibt,, in dem es ihm gefällt. Die Schweiz ist ein gezähmtes Land. Und das ist ein Problem. Eine Postkarte verschafft mir keine Geschichte. Geschichten entstehen dort, wo es wild ist.

Zu wie vielen Teilen sind Sie heute Schweizer, zu wie vielen Rumäne?

Ich sehe mich als Menschen, der aus verschiedenen Flüssigkeiten besteht, die sich allmählich vermengen. Oft sagen mir Freunde, sie könnten nicht erkennen, wo bei mir das Rumänische ende und das Schweizerische beginne. Ich neige zur Korrektheit und Strukturiertheit des Schweizers. Und ich habe den Humor und die Impulsivität des Rumänen. Ich glaube, ich habe eine Ostseele.

Die grosse Frage stellt sich also weiterhin: Wo gehöre ich hin?

Sie stellt sich immer. Doch es gibt etwas, das ihr die Dringlichkeit nimmt: die grosse Liebe. Diese habe ich hier in Zürich gefunden. Damit habe ich hier auch mein Zuhause gefunden. Seiher betrachte ich alles andere viel gelassener.

Haben Sie den Schweizer Pass?

Ich habe mich Ende der 90er-Jahre einbürgern lassen. Doch wichtiger als die Frage, ob ich ein Ex- oder Immer-Noch-Fremder bin, ist, ob ich hier ernst genommen werde, ob man mir zuhört. Und zwar nicht, weil ich von aussen komme, weil man etwas Exotisches in mir sieht, sondern weil ich dazugehöre.

Warum tragen Sie stets eine Mütze?

Ich gebe eine poetische Antwort: So, wie andere eine Hühnerfarm betreiben, betreibe ich eine Geschichtenfarm. Hier unter der Mütze ist der Brutkasten. Hin und wieder hebe ich sie – dann kommt eine Geschichte raus. Daraus entsteht dann ein Buch. Vor zwei Jahren kam «Jacob beschliesst zu lieben» hervor. Mal schauen, welche rauskommt, wenn ich jetzt dann wieder die Kappe hebe.

(Tages-Anzeiger)

Erstellt: 26.11.2011, 14:08 Uhr


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