Längst nervt die Ice Bucket Challenge im Netz. Und doch ereilt viele die Nominierung zur ALS-Spendenaktion erst jetzt. Ablehnen oder mitmachen? Eine Frage der Psychologie
Es reicht. Facebook, Twitter, Instagram: Keine Timeline mehr, in der es nicht platscht, schüttet und quiekt. Einer nach dem anderen kippt sich einen Kübel voll Wasser und Eiswürfeln über den Schädel, kreischt vor selbstgemachtem Kälteschock in die Kamera. Dazu ein paar warme Worte; schließlich dient alles der guten Sache: einer Spendenaktion für Menschen, die an der seltenen Nervenerkrankung ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) leiden. Am Ende solcher Videos wird der Nächste nominiert: Auch der muss dann spenden oder sich übergießen, so die Regel. Die meisten machen beides. Just for fun.
Wer glaubt, die "Eiskübelherausforderung", wie Wikipedia die Ice Bucket Challenge mutig
übersetzt, sei längst durch, der irrt. Nachdem Prominente weltweit die Aktion angekurbelt haben, werden hierzulande viele Leute jetzt erst von Freunden nominiert.
Mitmachen oder ignorieren? Wie Sie sich am Ende entscheiden, hat viel mit Psychologie zu tun. ZEIT ONLINE hat fünf Typen und deren Mitmachwahrscheinlichkeit definiert. Auf Grundlage von Studien natürlich. Welcher Typ sind Sie?
Der Glück-Sucher
Gutes tun macht happy. Klingt banal, ist aber sogar erwiesen. Drei Psychologen aus den USA haben gerade in der Zeitschrift Current Directions in Psychological
Science den Status Quo der Spenden-Glücksforschung zusammengefasst (Dunn et al., 2014). Die wichtigste Erkenntnis: Menschen, egal welchen Alters, sind glücklicher, wenn sie einen Teil ihres Geldes für soziale Zwecke ausgeben
– und zwar unabhängig davon, wie viel sie selbst zur Verfügung haben.
Etwas Überraschendes brachte die Studie dann auch noch zutage: Die meisten denken, es mache sie glücklicher, sich selbst etwas zu gönnen. In Wahrheit feuern die Neuronen im Belohnungszentrum des Gehirns aber doller, wenn wir anderen helfen. Sogar Steuern zahlen soll die Laune heben. (Anm. d. Red.: Wir sind skeptisch). Warm-Glow-Effekt nennen Forscher diesen Effekt. Altruismus hat also eine egoistische
Komponente.
Fazit: Sie backen manchmal Kuchen für ihre Kollegen, haben einen Spenden-Dauerauftrag für eine Kinderhilfs- oder Tierschutzorganisation, machen Yoga oder Wellness und gönnen sich teures Bio-Essen? Wenn Sie spenden, wollen Sie wissen, wohin das Geld geht und selbst entscheiden, wie viel Sie geben? Dann sind Sie der Glück-Sucher-Typ.
Eiseimer-Mitmachwahrscheinlichkeit: 75 Prozent
Der Selbstinszenierer
Wer sich für die gute Sache öffentlich nass macht, macht damit Eigenwerbung. "Menschen, die sonst gern gestylt Selbstbeherrschung demonstrieren, verlieren für einen kurzen Moment ihre Fassung", sagt der Soziologe Jo Reichertz von der Uni Duisburg-Essen. "Für ein paar
Sekunden geben sie die Kontrolle ab." Genau dieser Mut bringt Sympathie-Punkte.
Eine schon etwas ältere Studie, veröffentlicht im Journal Evolutionary Psychology (Greengross Miller, 2008), offenbarte: Vor allem Menschen
mit hohem Status – Chefs, Politiker, Lehrer, Stars – wirken attraktiver, wenn sie sich mal aufs Korn nehmen. Viele Promis haben die Ice Bucket Challenge klug genutzt, um ihr Image zu polieren. Die Botschaft: Seht her, ich kann über mich lachen!
"Die
Eiskübel-Challenge ist eine super Gelegenheit, sich sympathisch darzustellen", sagt auch der Werbepsychologe Georg Felser. "Doch nicht jeder gibt sich
nur so die Blöße. Hinter der Selbstironie steckt oft eiskaltes
Kalkül." In seinem Lehrbuch-Klassiker zur Werbe- und Konsumentenpsychologiebeschreibt Felser weitere Motive, die erklären, wer wobei warum mitmacht. Besonders attraktive
Menschen stellen sich gern zur Schau. Lachend, mit freiem Oberkörper und nassem T-Shirt im Netz posieren? Die Sache mit dem Eiswasser ist perfekt für diesen Typ Mensch.
Zudem mag jeder Leute, die ihm ähnlich sind. Der Eiswasser-Schock vereint alle, die mitmachen. Dazu kommt der beiläufig mitgelieferte Einblick ins Privatleben: Meist sind im Hintergrund der Videos Garagen, Gärten, Haustiere, Kinder und ähnliches zu sehen. Am Ende steht jeder da wie ein begossener Pudel. Peinlich? Ja. Aber auch sehr sympathisch.
Fazit: Sie haben mehr als 300 Facebook-Freunde, ihr Instagram-Profil ist öffentlich, Sie gehen regelmäßig ins Fitnessstudio und präsentieren das Ergebnis beim Beachvolleyball am Strand? Dann sind Sie vermutlich der Selbstinzenierer-Typ. Das ist übrigens nicht böse gemeint.
Eiseimer-Mitmachwahrscheinlichkeit: 90 Prozent
Der Eindruck-Schinder
Sich mit Eiswasser übergießen, ist die eine Sache. Eigentlich ist der Deal: Entweder du spendest ODER du musst unter die Eisdusche. Aber fast alle spenden inzwischen UND machen die Mutprobe. Die Botschaft an alle da draußen: "Ich engagiere mich sozial!"
Allerdings lässt die Teilnahme an der Netz-Aktion nicht unbedingt auf das soziale Engagement im Alltag schließen. Soziologen von der Temple University in Philadelphia stellten fest: Menschen zeigen in sozialen Netzwerken ihre
Wunsch-Identität (Zhao, Grasmuck Martin, 2008). In Wahrheit sind sie oft ganz anders.
Erfolg der Eiseimer-Aktion
Allein in Deutschland seien im Laufe der Ice Bucket Challenge schon mehr als 260.000 Euro an Spenden eingegangen, sagt Thomas Meyer, Leiter der ALS-Ambulanz der Berliner Charité. "Das ist eine 200-fache Steigerung gegenüber dem gleichen Zeitraum im Vorjahr."
Dieses Engagement ist wichtig, denn allein die Berliner Ambulanz braucht eine halbe Million Euro im Jahr. Krankenkassen würden nur ein Drittel der Behandlungskosten zahlen. Die Forschung finanziere die Charité weitgehend über Stiftungen und Spenden.
In den USA sind seit Beginn der Aktion knapp 90 Millionen Dollar zusammen gekommen; wie viel davon am Ende wirklich ALS-Kranke erreicht, einmal dahingestellt.
Ohne sich besonders anzustrengen, lässt sich online ein Selbstbild konstruieren; in Fall der Ice Bucket Challenge als sozial engagierter Bürger. Dazu noch der ein oder andere Gefällt-mir-Klick auf der Seite einer Hilfsorganisation und schon zeigt das Ganze Wirkung. Nicht ihre große Hilfsbereitschaft
treibt diesen Typ zum Handeln an, sondern das Motiv, anderen ein positives
Bild von sich zu vermitteln. Psychologen nennen das Impressionsmanagement.
Echte Altruisten schauen weniger auf die Außenwirkung ihres Handelns. Das zeigte kürzlich ein Experiment kanadischer Konsumforscher (Kristofferson, White Peloza, 2014). Sie baten 130 Versuchspersonen
darum, eine von zwei Petitionen zu unterschreiben – öffentlich oder anonym. Knapp 80 Prozent der anonymen Unterzeichner wollten die
Aktion anschließend auch aktiv unterstützen und freiwillig Briefe
für eine Mailing-Kampagne eintüten. Von den Teilnehmern, die öffentlich unterschrieben hatten, war dazu nur rund die Hälfte bereit.
Der Wunsch, andere zu beeindrucken, verstärkte sich unter den namentlich bekannten Unterzeichnern durch die Teilnahme sogar noch. Diejenigen, die anonym blieben, gaben hinterher dagegen oft an, dass ihnen gradliniges konsequentes Verhalten wichtig sei. Nach dem Motto: "Ich habe unterschrieben, also helfe ich jetzt auch."
Fazit: Wenn Ihre Eltern sich zu Besuch ankündigen, putzen Sie die ganze Wohnung. Aber auch erst dann. Zur Arbeit ziehen Sie immer ein Kostüm oder einen Anzug an, obwohl Sie es privat lieber casual mögen. Die Sache ist eindeutig: Sie sind ein Eindruck-Schinder. Ist aber nicht schlimm. Es dient am Ende trotzdem der guten Sache.
Eiseimer-Mitmachwahrscheinlichkeit: 65 Prozent