Hundertjährige: Psychologische Stärken wichtiger als Gesundheit oder geistige …

In Deutschland hat sich die Zahl der
Hundertjährigen innerhalb von zehn Jahren
mehr als verdoppelt. Dass diese Hochaltrigen
heute geistig und körperlich fitter sind als
diejenigen früherer Generationen, belegt
eine repräsentative Untersuchung von
Forschern der Universität Heidelberg mit
Menschen im Alter von 100 Jahren in der
Stadt und Region Heidelberg. Mit der Zweiten
Heidelberger Hundertjährigen-Studie, die von
der Robert Bosch Stiftung und der Dietmar
Hopp Stiftung gefördert wurde, haben
Wissenschaftler des Instituts für
Gerontologie der Ruperto Carola ein
umfassendes Bild von Hundertjährigen und
ihrer Lebenssituation ermittelt. Dabei hat
sich gezeigt, dass für die Lebensqualität
und Zufriedenheit von Senioren mit sehr
hohem Alter psychologische Stärken wie eine
optimistische Einstellung und Lebenswillen
wichtiger sind als die geistige
Leistungsfähigkeit oder Gesundheit.

Von 2000 bis 2010 stieg die Zahl der
Menschen im Alter von 100 oder mehr Jahren
in Deutschland von rund 6.000 auf rund
13.000. Die Heidelberger Wissenschaftler
haben in den Jahren 2011 und 2012 im Rahmen
ihrer Studie 112 Hundertjährige aus
Heidelberg und Umgebung sowie ihnen
nahestehende Personen wie ihre Kinder
befragt. Dabei ging es um alltägliche
Herausforderungen, Aktivitäten, soziale
Einbindung und Lebensqualität. Die
Untersuchung schließt an die erste Studie
dieser Art aus dem Jahr 2001 an und ist
außerdem Teil eines internationalen
Netzwerks mit zwei weiteren Studien zu sehr
alten Menschen in den USA und in Portugal.
Ziel der repräsentativen Untersuchung war
es, die Herausforderungen des Alltags sowie
die Stärken der Hundertjährigen zu
beschreiben und Wege aufzuzeigen, wie sehr
alte Menschen heute und in Zukunft
unterstützt werden können.

Obwohl mehr Menschen ihren 100. Geburtstag
erleben, ist die Zahl derjenigen, die
gesundheitlich und geistig eingeschränkt
sind, nicht ebenso stark gestiegen. Im
Gegenteil: Im Vergleich zur ersten Studie
traten bei den Hundertjährigen in einigen
für die Selbstständigkeit zentralen
Funktionsbereichen prozentual Verbesserungen
ein. So sind heute beispielsweise mehr
Hundertjährige in der Lage, selbstständig zu
essen, sich um ihr Aussehen zu kümmern, zu
telefonieren, Mahlzeiten zuzubereiten oder
Geldangelegenheiten zu regeln. Inzwischen
gibt es mit 52 Prozent deutlich mehr
Hundertjährige, die keine oder nur geringe
geistige Einschränkungen aufweisen. 2001 lag
diese Zahl noch bei 41 Prozent. „Allerdings
sind die Fortschritte nicht so ausgeprägt,
dass sie sich in einer geringeren
Pflegebedürftigkeit niederschlagen“, betont
Studienleiterin Prof. Dr. Daniela Jopp:
Weiterhin ist nur jeder fünfte
Hundertjährige gesundheitlich so fit, dass
keine Leistungen der Pflegeversicherung
nötig sind.

„Trotz vielfältiger Einschränkungen und
Verluste erleben die meisten Hundertjährigen
ihr Leben als lebenswert, und mehr als 80
Prozent sind mit ihrem Leben zufrieden“,
erklärt Dr. Christoph Rott, Co-Leiter der
Studie. Eine große Rolle bei der
Lebenszufriedenheit spielen psychologische
Stärken wie eine optimistische Einstellung,
Lebenssinn und Lebenswillen. Wichtig ist
auch die so genannte Selbstwirksamkeit – die
Überzeugung, das, was man tun möchte, auch
wirklich zu können. „Wir haben Menschen
befragt, deren Leben sich dem Ende zuneigt,
dennoch zeigen sie sogar einen
durchschnittlich höheren Optimismus als
80-Jährige. Diejenigen, die trotz des nahen
Lebensendes weiterhin optimistisch in die
Zukunft schauen, zeigten sich zufriedener
mit ihrem Leben. Im Vergleich dazu sind
Gesundheit, kognitive Leistungsfähigkeit und
soziale Aspekte mit wenigen Ausnahmen
deutlich unwichtiger für die
Lebensqualität“, erklärt Christoph Rott.

Wie die Studie zeigt, leben heute 59 Prozent
der Hundertjährigen in Privathaushalten. Die
Anzahl der Hundertjährigen, die alleine
leben, hat sich im Vergleich zur ersten
Untersuchung verdoppelt. Bei der großen
Mehrheit der Hochaltrigen, die eine private
Unterkunft haben, leisten Kinder oder andere
Familienangehörige Unterstützung.
Professionelle Hilfe nutzen diese Senioren
vor allem im Haushalt, bei der Pflege wird
Hilfestellung dieser Art dagegen deutlich
seltener in Anspruch genommen als in der
amerikanischen Vergleichsstudie.

„Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse
unserer Studie, dass das Erleben von
Verlusten durch Einschränkungen
beispielsweise im gesundheitlichen Bereich
sich nur bedingt auf das Wohlbefinden
auswirkt und dass ein sehr hohes Alter auch
positive Seiten hat, beispielsweise eine
deutliche Wertschätzung des Lebens“, erklärt
Prof. Jopp. Für die zukünftige Unterstützung
sehr alter Menschen haben die Heidelberger
Wissenschaftler Handlungsempfehlungen in den
Bereichen Gesundheit, Pflege und Psychologie
sowie für soziale und gesellschaftliche
Aspekte ausgearbeitet. Dazu gehört
insbesondere die Entwicklung alternativer
Pflegestrukturen. „Dass die Pflege weiterhin
hauptsächlich durch die Kinder wahrgenommen
wird, ist in der Zukunft nicht realistisch“,
erklärt Prof. Jopp. „Außerdem sollten
Maßnahmen entwickelt werden, die bei
Hochbetagten die Bereitschaft erhöhen,
professionelle Pflegeleistungen zu nutzen.“
Eine weitere wichtige gesellschaftliche
Aufgabe ist es, mobilitätssteigernde
Maßnahmen gezielt zu fördern, da diese
zentral sind für den Erhalt der
Selbstständigkeit. Nach den Worten der
Wissenschaftler ist es ebenso wichtig,
Menschen in hohem Lebensalter zu ermutigen,
an sinnstiftenden Aktivitäten teilzunehmen,
und ihnen Möglichkeiten zur Teilhabe am
sozialen Leben zu bieten.

Quelle:

http://www.uni-heidelberg.de/presse/news2013/pm20130719_hd100_II.html

 


Lieselotte Boucsein, Wolfram Boucsein:
Qualitätssicherung in der stationären
Altenpflege unter besonderer Berücksichtigung
demenziell veränderter Bewohner
.
Pabst, Lengerich/Berlin, 284 Seiten, ISBN
978-3-89967-470-5

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