Herausforderung Gutachten



Startseite ·
Immo ·
Job


jobwinner


alpha


·
Auto ·
Gratisinserate ·
Partnersuche


Abo ·
ePaper ·
Inserate ·
Beilagen ·
Wetter: Bern 10°bewölkt, etwas Regen

Berner Zeitung




Herausforderung Gutachten

Von Frank Urbaniok.
  •   Drucken

Der Mord an der 19-jährigen Marie wirft Fragen zu den psychiatrischen Gutachten auf. Warum braucht es sie? Wie werden sie erstellt? Und wo passieren Fehler? Fragen und Antworten von Frank Urbaniok.

1/13


Zum Gedenken: Eine Woche nachdem die Leiche von Marie gefunden wurde, veranstalten die Menschen in Lausanne einen Marche Blanche. (20. Mai 2013)
Bild: Keystone


Frank Urbaniok: Psychiater und Gutachter
Der 50-jährige Frank Urbaniok ist seit 1997 Chefarzt des Psychiatrisch-Psychologischen Dienstes der Justizdirektion des Kantons Zürich. Daneben führt er eine eigene Praxis, die sich auf komplexe psychiatrische Gutachten für externe Auftraggeber spezialisiert hat. Unter anderem erstellte er zwei Gutachten über die dreifache Kindermörderin Bianca B., die im Januar zu lebenslänglicher Haft und einer ambulanten Therapie verurteilt wurde. Mit Fotres (Forensisch Operationalisiertes Therapie- und Risiko-Evaluations-System) hat er zudem ein Instrument für Risikobeurteilungen bei Straftätern entwickelt, das mittlerweile in verschiedenen Ländern zum Einsatz kommt. (sir) (Bild: Keystone )

Artikel zum Thema

  • «Kompetenzensalat» im Strafvollzug – Marche Blanche für Marie
  • «Wenn in einem Kanton etwas passiert, ducken sich alle»
  • Vater von Marie: «Es wäre wunderschön, wenn sie die Letzte wäre»
  • So arbeitet die Berner Bewährungshilfe
  • Keine Kuscheljustiz: «Weniger Täter vorzeitig entlassen»
  • Dubois profitierte vom Gutachten eines Genfer Psychiaters

Teilen und kommentieren


Ihre E-Mail wurde abgeschickt.

Korrektur-Hinweis

Melden Sie uns sachliche oder formale Fehler.




';

} else if (google_ads.length 1) {

s += '

Google-Anzeigen

'

/*
* For text ads, append each ad to the string.
*/

for(i = 0; i

' +
google_ads[i].line1 + '

' +
google_ads[i].line2 + ' ' +
google_ads[i].line3 + '

' +
google_ads[i].visible_url + '

';
}
}
}

document.write(s);
return;
}
google_ad_client = 'pub-5337254158372699'; // substitute your client_id (pub-#)
google_ad_channel = '0343001117'; // BZ
google_ad_output = 'js';
google_max_num_ads = '2';
google_ad_type = 'text_html';
google_feedback = 'on';
// --

Der Tod der 19-jährigen Marie ist eine entsetzliche Tragödie. Sie macht betroffen – und wirft Fragen auf. Erneut stehen dabei auch der Strafvollzug, die Gerichte und die psychiatrischen Gutachten im Fokus. Im Folgenden versuche ich, auf einer übergeordneten Ebene Antworten auf offene Fragen zu finden. Die drei psychiatrischen Gutachten über Maries Mörder kann ich nicht beurteilen, weil sie mir nicht bekannt sind – ebenso wenig das Delikt an sich.

Weshalb braucht es Gutachten?
Psychiatrische Gutachten haben drei Aufgaben. Erstens die Beurteilung der Schuldfähigkeit. Zweitens die Gefährlichkeit eines Täters einzuschätzen. Drittens die Prüfung, ob und – falls ja – welche therapeutischen Massnahmen sich eignen, um eine deutlich vorhandene Rückfallgefahr zu senken. Dabei ist die professionelle und sorgfältige Risikobeurteilung für die Verhinderung von Straftaten absolut zentral. Nur wenn man das Risiko einer Person kennt, kann man abschätzen, welche Massnahmen im konkreten Fall passend sind.

Für viele Fälle reichen einfache Massnahmen wie etwa ein Rayonverbot oder die Wegnahme von Waffen. Spezifischer sind niederfrequente Therapien oder aber – bei einem hohen Therapiebedarf – intensive, mehrjährige Therapien. Zuletzt gibt es unbehandelbare, hochgefährliche Straftäter. Diese kleine Gruppe muss frühzeitig erkannt und dann langfristig oder gar lebenslang gesichert werden. Es gilt der Grundsatz der Verhältnismässigkeit: so viel wie nötig und so wenig wie möglich.

Sind Gutachter Richter in Weiss?
Der Gutachter entscheidet nicht, sondern liefert immer nur Grundlagen für den Entscheid des Gerichts oder der Vollzugsbehörde. Sollen diese die Einschätzungen besser selbst vornehmen – sozusagen «nach Gefühl»? Nein, denn diesen Personen fehlen die fachlichen Grundlagen für die Risikobeurteilungen. Selbstverständlich muss alles dafür getan werden, dass die Psychiater qualitativ hochstehend sind. Nur so lässt sich die Fehlerquote von Gutachten minimieren.

Können Psychiater menschliches Verhalten vorhersagen?
Nein. Sie können aber ermitteln, was wahrscheinliche und was unwahrscheinliche Verhaltensweisen eines Menschen sind. Und damit verbunden: wie hoch sein Risiko für eine bestimmte Straftat ist. Solche Wahrscheinlichkeitsaussagen sind – moderne Methoden zur Risikoanalyse vorausgesetzt – sehr zuverlässig. Denn Menschen erfinden sich nicht jeden Tag neu. Insbesondere für prägnante Charakterzüge gilt: Weil sie prägnant sind, drücken sie ins Verhalten durch – eher früher als später und eher häufiger als selten. Wer etwa extrem ordentlich ist, wird diese Eigenschaft nicht plötzlich verlieren. Und die extreme Ordentlichkeit wird sich im Verhalten zeigen. Genauso verhält es sich mit prägnanten risikorelevanten Charakterzügen eines Täters.

Wie wird ein Gutachten erstellt?
Es gibt zwei wesentliche Informationsquellen: die Analyse der Tat(en) und die Analyse der Person. Das, was ein Mensch tut und wie er es tut, sagt etwas darüber aus, wie er denkt, fühlt, wahrnimmt und funktioniert. Deswegen ist die genaue Tatmusteranalyse von grosser Bedeutung. Es ist kein Zufall, ob der Täter das Delikt akribisch geplant oder ob er aus dem Moment entschieden hat, ob er ein Messer oder eine Schusswaffe benutzt, das Opfer zuvor beleidigt oder nicht beleidigt hat. Der Gutachter muss jedes einzelne Tatdetail analysieren. Und er muss den Täter mit all seinen gefährlichen Eigenschaften – auch risikorelevante Persönlichkeitsmerkmale genannt – kennen lernen. Neben den Aussagen des Täters kann sich der Gutachter meist auf eine Vielzahl weiterer Informationen stützen. Etwa auf die Auskünfte der Angehörigen oder auf Dokumente wie Schulberichte.

Kann sich ein Täter total verstellen?
Wenn der Gutachter alle Informationsquellen sorgfältig bearbeitet, ist es nahezu unmöglich, dass der Täter einen komplett anderen Charakter vorspielen kann. Schliesslich muss das, was der Täter sagt, mit den – objektiven – Tatmerkmalen und den anderen Informationen zu seiner Person übereinstimmen. Wenn er versucht, eine haltlose Lügen-geschichte zu erzählen, produziert er zwangsläufig Widersprüche. Ein erfahrener Gutachter sollte das erkennen.

Doch je nach Grundproblematik kann es einzelne Informationen geben, die der Täter zu verschleiern vermag. Ein typisches Beispiel sind gefährliche Fantasien, die sich im Inneren des Täters abspielen. Wenn solche Fantasien für die Gefährlichkeit eine grosse Rolle spielen, wird es schwierig, wenn der Täter hier bewusst lügt. Auch hier kann der Psychiater zwar das Risiko, total über den Tisch gezogen zu werden, mithilfe von Plausibilitätsprüfungen reduzieren. Aber in einem solchen Fall ist das Täuschungsrisiko grösser als in Fällen, in denen die Problematik viel direkter am Verhalten messbar ist.

Sicher ist: Die meisten Fehlbeurteilungen beruhen nicht auf dem hier beschriebenen Restrisiko für Täuschungen – sondern auf Qualitätsmängeln der psychiatrischen Gutachten.

Wie steht es um die Qualität der Gutachten?
Als ich 1997 den Psychiatrischen Dienst in Zürich übernahm, machten wir eine Studie zur Gutachtenqualität. Das Ergebnis war erschütternd. So hatten fast 50 Prozent der damaligen Gutachter die Akten nicht gelesen und verliessen sich allein auf die Aussagen des Täters. Mittlerweile hat sich vieles verbessert. Doch die Qualitätsunterschiede zwischen verschiedenen Gutachtern und verschiedenen Regionen der Schweiz sind leider immer noch erheblich. Zur Situation in der Westschweiz, wo sich der Fall Marie ereignet hat, kann ich mich nicht äussern.

Wo liegen die Hauptprobleme?
Der Bedarf an Risikoeinschätzungen ist in den letzten 15 Jahren enorm gestiegen und übersteigt das Angebot an hoch qualifizierten Gutachtern. Zwar hat die Zahl der Gutachter zugenommen. Doch es ist eine Illusion, zu glauben, dass beliebig viele Psychiater für diesen «High-End-Bereich» qualifiziert werden können. Deshalb wäre es wichtig, unterschiedliche Kategorien von Gutachten zu schaffen, sodass die komplexen und folgenschweren Beurteilungen nur den besonders qualifizieren Experten vorbehalten bleiben. Nur so viel: Weder bestimmte formale Titel noch die Zugehörigkeit zu bestimmten Institutionen wie beispielsweise Universitäten sind eine Garantie für eine besonders hohe Gutachterqualität.

Welches sind in den Gutachten die grössten Fehlerquellen?
Es gibt drei Problempunkte. Erstens: die Person des Gutachters. Es gibt sehr gute, gute, durchschnittliche und mangelhafte Gutachter. Zweitens: die Informationen. Unvollständige Informationen erhöhen die Unsicherheit. Hier spielt zum Teil der übertriebene Datenschutz eine Rolle, zum Teil aber auch mangelnde Sorgfalt und Bequemlichkeit mancher Gutachter, wenn etwa wichtige Drittpersonen nicht befragt oder Akten nur oberflächlich gelesen werden. Drittens: die Methodik. Es gibt statistische Instrumente, die zum Screening eingesetzt werden, und solche, die zur Qualitätssicherung für das genaue Verständnis des gesamten Falles in all seinen Facetten dienen. Der Einsatz solcher Instrumente verringert die Fehlermöglichkeiten. Zu viele Gutachter wenden derzeit noch nicht die besten Methoden an.

Beweist ein Rückfall die Fehlerhaftigkeit eines Gutachtens?
Es gibt Gutachter, die Fehlerquoten von 50 oder gar 80 Prozent haben. Nicht immer hat das katastrophale Folgen, aber inakzeptabel ist es allemal. Sehr gut qualifizierte Gutachter, die mit den besten Methoden arbeiten, haben die geringsten Fehlerquoten. Sie sind vergleichbar mit den Erfolgsraten anderer Bereiche der Spitzenmedizin. Leider gibt es in der Medizin aber fast nie Erfolgsraten von 100 Prozent.

Oft findet man bei schweren Rückfällen von Straftätern Fehler in den Gutachten. Es gibt aber auch Rückfälle, in denen alles richtig gemacht wurde. Wenn das Rückfallrisiko bei 20 Tätern korrekt mit 5 Prozent bezeichnet wird, dann heisst das, dass einer von 20 Tätern rückfällig wird und 19 nicht. Der eine rückfällige Täter war dann – trotz des Rückfalls – richtig eingeschätzt worden. Der Rückfall allein ist also kein Beweis für einen Gutachtenfehler. Aber nach schweren Rückfällen muss schonungslos geklärt werden, ob es solche Fehler gab oder nicht.

Wie beeinflussen die Auftraggeber der Gutachten deren Qualität?
Für das Qualitätsmanagement von Gutachten ist von grosser Bedeutung, dass qualifizierte Auftraggeber in der Lage sind, gute von schlechten Gutachten zu unterscheiden. Um die Qualität der Gutachten zu steigern, reicht es daher nicht aus, sich auf Aus- und Fortbildung der Gutachter zu konzentrieren. Heute werden noch zu viele Gutachten von schlechter Qualität durch die auftraggebenden Richter, Staatsanwälte und Vollzugsbehörden akzeptiert und klaglos bezahlt – obwohl man lernen könnte, die Qualität von Gutachten zu beurteilen.

Welche Fehler kommen bei der Beurteilung von Beziehungstaten häufig vor?
Im Fall von Claude D. handelt es sich um eine sogenannte Beziehungstat, weil Täter und Opfer durch eine Beziehung verbunden waren. Leider ist bei Gutachtern nach wie vor die Meinung weit verbreitet, dass Beziehungstäter immer eine günstige Prognose haben, weil der Grund – nämlich die Beziehung – nach einem Tötungsdelikt weggefallen ist. Das ist falsch: Es gibt zwei völlig verschiedene Typen von Beziehungstaten.

Der erste Typ: Wenn der Grund für die Beziehungstat eine ungünstige Beziehungskonstellation ist, in die das Paar verstrickt war und die sich so kaum je wiederholen wird, dann ist das Rückfallrisiko gering. Das Problem war die spezifische Situation und nicht die Person.

Der zweite Typ: Ein extrem kränkbarer und eifersüchtiger Mann übt Kontrolle über seine Frau aus. Das geht solange gut, als sie sich fügt. Doch dann wird sie selbstständiger oder will sich gar von ihm trennen. Das löst beim Ehemann eine unbändige Wut und Rachefantasien aus. Er tötet seine Frau. Hier ist nicht die Situation das Problem, das Problem sind vielmehr die risikorelevanten Persönlichkeitseigenschaften der Täter: extreme Kränkbarkeit, absolutes Kontrollbedürfnis, Auslösbarkeit extremer Wut. Wenn sich an diesen Eigenschaften nichts ändert, sind die gleichen Probleme in der nächsten Beziehung programmiert. Die Prognose ist schlecht.

Ob dieser Fehler beim Fall Marie eine Rolle gespielt hat, kann aus der Entfernung nicht beantwortet werden. Diese Frage steht aber im Raum. Denn alle drei Gutachten, die erstellt wurden, stellten offensichtlich übereinstimmend sehr negative Persönlichkeitseigenschaften des Täters fest. Bei der Bewertung der Gefährlichkeit dieser Eigenschaften kamen sie jedoch zu unterschiedlichen Bewertungen. (Tages-Anzeiger)

Erstellt: 23.05.2013, 06:57 Uhr


Ihre E-Mail wurde abgeschickt.

Leave a Reply