HAUTNAH-Interview Nr. 45 mit dem Dozenten und Berater Ulrich B. Wagner …

HAUTNAH-Interview Nr. 45 mit dem Dozenten und Berater Ulrich B. Wagner – Teil 2

Jun 20 2011 • Themenserien • 27 Views • Keine Kommentare

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Ulrich B. Wagner ist studierter Rechtswissenschaftler, Soziologe und Psychologe. Er ist einerseits geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Kommunikation, Coaching und Managementberatung (ikcm), sowie auch Dozent an der European School of Design in den Bereichen Kommunikationstheorie sowie Werbe- und Konsumentenpsychologie. Der erste Teil des Interviews ging in erster Linie um Herrn Wagners Lehrtätigkeit an der Hochschule sowie um die Erkenntnisse der Kommunikationswissenschaft. Der zweite Teil des Interviews geht stärker auf die Umsetzung der Theorie in die Praxis und auf Herrn Wagners Beratertätigkeit in der freien Wirtschaft ein. (Zum Audio-Podcast / den ersten Teil finden Sie hier.)


Willkommen zu dem zweiten Teil unseres Interviews. Herr Wagner, wie bekommen Sie die gerade gehörten Erkenntnisse, die Theorie aus Ihrer Lehrtätigkeit über die Kommunikation und deren Veränderung, hinüber in die Geschäftswelt und in Ihre Beratungs- und Coachingtätigkeit? Wie vermitteln Sie das Unternehmen und den Menschen? Bitte erläutern Sie uns doch kurz Ihren Ansatz.

Über dieses Thema habe ich kürzlich auch schon in meiner Kolumne auf AGITANO geschrieben. Unsere Beratung ist sehr stark umsetzungsgetrieben – wir beschreiben das auch als Umsetzungsbegleitung und als Umsetzungsberatung. Wir versuchen uns da von anderen Instituten und Beratungsgesellschaften abzugrenzen, die eher theoretisch-analytisch an solche Problemstellungen herangehen. Wir sagen und gehen davon aus – und das beweist uns auch die Praxis – dass im Grunde alles Wissen bereits in den Unternehmen beziehungsweise den Menschen vorhanden ist. Es muss nur geborgen werden. So verstehen wir uns salopp ausgedrückt auch eher als Hebammen und Geburtshelfer der Veränderung. Wir helfen im Grunde nur, den Anstoß zu geben, die Scheuklappen abzulegen und den Horizont zu erweitern. Die Idee und das Wissen, um nachher eine nachhaltige Veränderung durchzusetzen, ist in den Menschen schon drinnen. Sie sind meistens nur gelähmt, das heißt man muss sie also wieder handlungsfähig machen und nicht „behandeln“. Das ist immer die große Gefahr, dass viele Managementberater oder Coaches anfangen, ihre Klienten wie Patienten zu behandeln. Damit entmündigt man im Grunde seinen Kunden und macht für ihn die Arbeit. So bekommt man aber nie eine Nachhaltigkeit in eine Veränderung hinein. Nur durch die aktive Selbstbewegung kann Veränderung überhaupt gelingen.

 

Bedeutet dass nun, dass ein Hauptbereich Ihrer Beratungstätigkeit eigentlich das Coaching der Angestellten und des Managements ist? Und Innerhalb des Coachings dann die Psychologie und das Motivationstraining, damit man überhaupt die Menschen erreicht und für den Veränderungsprozess mitnehmen kann?

Jein. Also ich finde Psychologie und Wirtschaft immer sehr gefährlich, wenn man es nicht klar definiert. Eine Psychologisierung der Alltagswelt aber auch der Unternehmenswelt finde ich grenzwertig. Das sollte man auch tunlichst vermeiden. Psychologie hat ihre großen Vorteile, das ist absolut richtig, aber es geht jetzt nicht um eine Pathologisierung [= Diagnostizieren einer krankhaften Störung] der Alltagswelt. Das wollte ich damit nur abgrenzen. Es geht also nicht, dass man sagt, das sind kranke Systeme oder der gleichen und der Psychologe heilt das. Das ist Quatsch und darf auch so nicht rüberkommen. Aber das Bild des Psychologen bei Otto-Normalverbrauchern und vielen anderen ist aber immer noch das des Nervenarztes. Das ist der Herr Freud, der alle auf die Couch legt. Das ist es aber auf gar keinen Fall! Psychologie ist sehr hilfreich, auch bei Unternehmensprozessen, weil die Hauptsache, an denen Dinge in Unternehmen scheitern, ist: es menschelt. Sie können noch so gute Prozesse und Abläufe definieren, am Ende des Tages haben Sie es doch immer wieder mit Menschen zu tun, die Sie erst einmal überzeugen müssen, dass das, was da an Veränderungsprozessen stattfindet auch sinnhaft ist, für sie auch gut ist und Sie müssen die Leute dazu bringen, dass sie sich verpflichten, mitzugehen. Das hat schon viel mit Psychologie zu tun. Aber ich sage, fast noch mehr mit Soziologie. Weil es geht um Gruppen, nicht um Einzelne. Psychologie beschäftigt sich ja vorrangig mit dem einzelnen Individuum, während die Soziologie und die Sozialpsychologie ihren Fokus auf Gruppenprozesse legt. Daher übernehme ich auch viele Konzepte vor allem aus der Soziologie.

 

Sie haben gerade gesagt, es menschelt in Unternehmen und dass das eine der Haupt-Störensquellen und Ansatzpunkte ist, an denen man die Veränderungsprozesse festmachen muss. Was sind denn da die größten Schwierigkeiten beim „menscheln“, die Ihnen in Unternehmen in der Regel begegnen? Vielleicht können Sie das kurz näher erklären?

Das kann jetzt leicht so rüber kommen, als ob der Mensch stören würde. Nein, der Mensch stört nicht! Nein, wir wollen ja nicht die Menschen abschaffen. Wenn ich meine, es menschelt, dann ist es so, dass immer noch recht häufig versucht wird, viele Prozesse und Veränderungen von oben nach unten durchzuprügeln – die so genannten Top-Down-Prozesse. Man beschließt irgendwo im Top-Management, das und das und das muss sich ändern, dann werden schöne Verhaltenscodizes geschrieben, dann werden Anweisungen gegeben und dann wird das nach unten weitergegeben, ohne die Leute frühzeitig und im Vorfeld schon einzubinden. Das finde ich aus zwei Gründen gefährlich: Erstens, wenn man die Leute nicht fragt und sie nicht mitbestimmen lässt, entstehen automatisch Widerstände, eine Reaktanz, weil über die Leute hinweg und herab entschieden wird. Die Menschen werden also in einem gewissen Sinn dazu gezwungen, gewisse Dinge mitzugehen. In Unternehmen begegne ich allerdings in diesem Zusammenhang häufig den Ängsten, dass wenn man die Mitarbeiter frühzeitig in die Prozesse mit einbeziehen würde, dann habe man irgendwann eine schier endlose Rede-, Diskussions- und Versammlungskultur. Das könne man sich gar nicht leisten! Das meine ich aber gar nicht. Man kann diese Dinge auf ein Minimum beschränken, aber man sollte die Leute frühzeitig informieren und mit ins Boot nehmen. Dadurch kann man die Reaktanz herunterfahren, aber auch – und das ist fast genauso wichtig – die Mitarbeiter haben zweitens zudem häufig auch sehr gute Ideen. Sie bringen ihr Wissen aus ihrer alltäglichen Arbeit mit hinein. Da kommen teilweise noch Anregungen hinzu, die andernfalls verloren gehen würden. Wenn wir also in Unternehmen hineingehen, dann machen wir Workshops mit den von der Veränderung Betroffenen, informieren sie, moderieren die Diskussionsrunden und versuchen dann, deren Ideen ziel- und lösungsorientiert mit einzubringen. Die Praxis zeigt uns den Erfolg dieses Ansatzes. Und die Unternehmen sind uns meistens auch sehr dankbar, dass wir bereits im Vorfeld viele Widerstände ausräumen können und dann auch wirklich das entsteht, was man für Veränderungen benötigt: ein Commitment – eine Verpflichtung, so einen Prozess auch mitzutragen.

 

Machen Sie dann parallel auch so etwas wie Trainings zur Steigerung der Teammentalität, des Teamzusammenhalts und der Gruppendynamik?

Das entsteht automatisch, sage ich einmal. Dafür muss man nicht in den Hochseilgarten wechseln oder eine Floßfahrt veranstalten. So schön solche Veranstaltungen auch sind, das sind schöne Events für Mitarbeiter, aber als Teamentwicklungselement sind sie für mich eher fragwürdig. Weil, wie bekomme ich jetzt das Teamempfinden von der Floßfahrt in das Unternehmen übertragen? Das hält vielleicht auch 2-3 Wochen an, man hat richtig Spaß und Gaudi gehabt, aber der Alltag frisst uns auf. Da finde ich es spannender, so eine Teamentwicklung in einen Veränderungsprozess mit einzubinden: „Ihr seid ein Team und Ihr könnt diese Probleme gemeinsam mit uns lösen.“ Damit lernt man, sich im Team zu verstehen, im Team aber auch unterschiedlicher Meinung zu sein und auch eine gute Konfliktkultur herauszuarbeiten. Ein Team bedeutet ja nicht, dass man immer der gleichen Meinung sein muss. Ich habe einmal lapidar formuliert, „Harmonie verblödet“. Wenn es keine Streitkultur gibt, gibt es auch keine Veränderungen und auch keine Verbesserungen. Wir versuchen immer, Konflikten aus dem Weg zu gehen. Ich sage immer, wir lieben Konflikte. Weil durch Konflikte werden Dinge ja auch nach oben gespült, lassen sich Meinungen und Standpunkte von einander abgrenzen. Das bedeutet jetzt nicht, dass man sich die Köpfe einschlagen oder mit kommunikativer Totschlägerei spielen muss. Man muss lernen – und das ist Teamentwicklung für mich – den anderen in seiner Andersartigkeit zu akzeptieren, zu schätzen, aber auch für mich nutzbar zu machen.

 

Noch kurz zu etwas anderem: Sie hatten vorhin angedeutet, dass wir in Ihrer Kolumne auf AGITANO, dem Wirtschaftsforum für den Mittelstand, demnächst wieder etwas Neues erwarten können. Geben Sie uns einen Vorgeschmack?

In meiner nächsten Kolumne geht es darum, dass man Handeln soll, dass man sich aktiv selber bewegen muss, damit Veränderung klappt. Ich beziehe mich dabei auf ein Experiment an der Universität Innsbruck, das in den 1950er Jahren lief. Man hat damals Probanden Umkehrbrillen aufgesetzt, mit denen Sie die Welt nur noch umgedreht, auf dem Kopf stehend wahrgenommen haben. Man hatte nun festgestellt, dass das Gehirn so intelligent ist, dass es diese Information spätestens nach sechs Tagen umrechnen kann – also die Welt wieder richtig herum gesehen wird. Das ist sehr, sehr spannend, weil – und jetzt kommt die große Einschränkung – nur diejenigen Menschen mit den Umkehrbrillen haben die Welt wieder richtig herum gesehen, die sich frei und aktiv bewegen konnten: Laufen, Radfahren, Fechten. Bei denen wurde das dann umgerechnet. Bei Probanden, die sich nicht frei bewegen konnten, sondern in Rollstühlen durch die Gegend gefahren, also „behandelt“ wurden, stellte sich diese Wirkung nicht ein. Das sollten wir uns in den Hinterkopf einbrennen: Wir müssen etwas tun, wir müssen uns bewegen, wir dürfen nicht nur darüber nachdenken, sondern wir müssen wirklich aktiv etwas tun, um Dinge zu verändern. Aber es wird sich allgemein auch in Zukunft in meiner Kolumne viel über Kommunikation und Konfliktmanagement und diese Dinge drehen.

 

Abschließende Frage: Was steht auf Ihrem Wunschzettel an die Bundesregierung – mal angenommen, Sie dürften einen schreiben? Was wünschen Sie sich für die Gesellschaft oder auch für den Wirtschaftsstandort Deutschland?

Eine schwierige Frage. Ich würde mir das alles, was ich den Unternehmen immer anrate, mir auch gerne einmal von der Politik wünschen. Die Mitbürger wirklich als das anzuerkennen und zu respektieren, was wir auch sind: mündige Bürger. Dass wir Bürgerrechte haben und auch einmal dagegen sein können. Das muss dann nicht gleich herunter geschimpft werden, wie das beispielsweise bei Stuttgart 21 der Fall war. Oder wie das mit dem Atomausstieg passiert ist, als sich der Minister Brüderle laut einer zwar dann anschließend dementierten Pressemitteilung vor Atomkraftvertreter hingestellt und gesagt hat, das machen wir jetzt nur so, weil (Landtags-)Wahlen anstehen, aber hintenrum dann sagt, keine Angst, wir knicken da nicht ein. Das finde ich eine Frechheit und zeigt die Arroganz der Macht. Einfach zu sagen, „wir wissen schon, was gut für Euch ist“ und „mit Euch sprechen wir erst wieder, wenn Wahlen sind“. Das finde ich ganz, ganz schrecklich. Ich würde mir da einfach mehr Transparenz, Offenheit, Achtung und auch mehr Respekt vor dem wünschen, was wir haben. Wir können sehr stolz darauf sein, dass wir eine so gute Demokratie hier in Deutschland haben, dass wir immer noch ein sehr gutes – wenn auch stark reduziertes – Sozialwesen haben, das sollten wir hüten. Und das ist dann auch meine Bitte an die Politik, nehmt doch die Leute wieder wahr, sprecht mit ihnen, traut Euch! Die können Euch auch vielleicht den einen oder anderen Tipp geben. Ich frage mich da manchmal, ob der eine oder andere Politiker mit den Jahren nicht einfach die Realität verloren hat. Ob er einfach nur noch das denkt und wiedergibt, was man in diesen Kreisen eben so wiedergibt, oder ob er wirklich noch weiß, was jeder einzelne von uns denkt und was er sich wünscht…

 

Dem schließe ich mich gerne an. Herr Wagner, vielen Dank für das sehr interessante Gespräch!

Nichts zu Danken Herr Brümmer.

 

(Das Interview führte Marc Brümmer von der AGITANO-Redaktion.)

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