Harald Martenstein ist ein kluger Mann

Mein Dienstag

Reaktanz: Das Wort trage ich nun schon seit Wochen im Kopf spazieren. Manchmal übe ich in Gedanken den Satz: „Da bin ich Reaktist.“ Aber irgendwie klingt das sogar stumm noch komisch.

Gefunden habe ich den Begriff in einem „Zeit“-Artikel von Harald Martenstein zum Thema Mainstream („Der Sog der Masse“, Ausgabe 10.11.). Das Wort stammt aus der Psychologie und bedeutet, dass Menschen auf Verbote oder Druck reagieren, indem sie das Gegenteil von dem machen, was man von ihnen erwartet. Die Bandbreite ist dabei eine große: vom mutigen Querdenker bis zum pubertären Njet. Wobei man sich vor Überinterpretationen hüten sollte: Nicht jeder schlampige Teenager ist Reaktist. (In meinem Fall hat man sich nach Jahren ohne Veränderung auf „schlicht faul“ geeinigt. Das nur so nebenbei, damit es später keine Enttäuschungen gibt.) Echte Reaktanz hingegen ist psychohygienisch wichtig. Sie zeigt zum Beispiel an, wenn etwas zu viel wird. Wer den Siegeszug der Faymann-Parodie Failmann verfolgt, weiß, wovon die Rede ist: Zu Anfang war es witzig, dann kam ein eigener Song, inzwischen gibt es täglich auf Twitter den Schlagabtausch mit „Krone“-Innenpolitik-Chef Claus Pandi. Da will man gar nicht wissen, was noch kommen kann.

Reaktisten machen aber auch noch andere Sachen wie: jemanden verteidigen, weil sich der Rest über ihn lustig macht. Daher: Danke „Österreich“! Die, ähm, mitfühlenden Grasser-Interviews haben Reaktisten einiges erspart. Umgekehrt führt Reaktanz dazu, dass man populäre Helden vom Sockel rüttelt. Ich probiere daher den Satz: Harald Martenstein wird überschätzt. „Manchmal schreibe ich Sachen, die ich nicht wirklich denke“, schreibt Martenstein in der „Zeit“. Hm. Martenstein ist Mainstream. Aber halt ein kluger Mann.

 

E-Mails an: ulrike.weiser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2011)

Leave a Reply